Shanice Craft bei der Leichtathletik-EM:Angstfrei hinein in die deutsche Tradition

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"Beim Diskus müssen für den DLV die Medaillen geholt werden": Shanice Craft weiß, was gefordert wird. (Foto: dpa)

"Ich glaube, ich bin eher ein Wettkampf-Typ": Diskuswerferin Shanice Craft ist die erste Athletin aus der deutschen Nachwuchs-Fraktion, die bei der Leichtathletik-EM in Zürich eine Medaille gewinnt. Mit 21 Jahren weiß sie schon genau, was sie tun muss.

Von Johannes Knuth, Zürich

Mit großen Verdiensten gehen neue Verpflichtungen einher, das hat die Diskuswerferin Shanice Craft am Samstagabend im Züricher Letzigrund gelernt. Craft hatte soeben das Diskusfinale bei der Leichtathletik-EM als Dritte abgeschlossen, und weil das Publikum ihr nun Aufmerksamkeit schenkte, verteilte sie im Stadion Autogramme. "Naja", sagte Craft später, "so viele musste ich jetzt nicht geben. Aber ich war ja auch noch nie Dritte bei einer EM."

Shanice Craft, 21, hat noch ein wenig Zeit, an ihrem Bekanntheitsgrad zu arbeiten. Bronze und 64,33 Meter sind jedenfalls kein schlechter Anfang. An Siegerin Sandra Perkovic aus Kroatien kam Craft nicht heran, Perkovic schleuderte den Diskus auf enorme 71,08 Meter. Silber sicherte sich die Französin Mélina Robert-Michon (65,33). Aber den Rest des Feldes ließ Craft hinter sich, darunter ihre Mannschaftskollegen Anna Rüh (Vierte/62,46) und Julia Fischer (61,20). Für ein internationales Debüt bei den Erwachsenen war das ein beachtlicher Einstand.

Es sind mal wieder die Werfer, die dem deutschen Verband das Gros der Medaillen spendieren: Robert Harting, David Storl, Linda Stahl, Shanice Craft, letztere in Diensten der MTG Mannheim. So gesehen ist Craft eine seltene Spezies. Sie hat nicht die Ausbildung an einem der bekannten Wurf-Standorte in Ostdeutschland genossen. Sie hat sich in Mannheim ihr Umfeld geschaffen. Als die ersten Erfolge kamen, sah sie keinen Anlass ihre Heimtrainer zu verlassen, die sie auf ein ansprechendes Niveau gehievt hatten. Craft greift zudem auf die Ressourcen des Olympiastützpunkts Heidelberg zurück. Das reicht. Sie weiß offensichtlich recht genau, was sie braucht und was nicht.

Das galt auch für den Wettkampf in Zürich. "Locker bleiben", sagte sie sich vor dem Finale. Das klang simpel, doch bei einer EM ist es gar nicht so einfach, sich auf seine Stärken, auf das Wesentliche zu besinnen. Alle übrigen Faktoren, die äußeren Bedingungen auszublenden. Craft blieb dennoch ruhig, sie eröffnete den Wettkampf als Zweite, fiel auf Rang vier zurück, kletterte zurück in die Medaillenränge. "Ich bin im Training manchmal verhalten", sagte sie, "ich glaube, ich bin eher ein Wettkampf-Typ". Bei manchem DLV-Athleten war dieses Verhältnis in der Vergangenheit gerne umgekehrt.

Shanice Craft darf sich jetzt nicht mehr nur Wettkampf-Typ nennen. Sondern auch Medaillen-Typ. Der erste, den die aufstrebende, junge DLV-Fraktion in Zürich stellt. "Da ist schon ein Umbruch, viele Junge kommen hoch," berichtet sie, "man kennt sich von den Nachwuchs-Meisterschaften, da ist etwas zusammengewachsen." Craft selbst hat daran ihren Anteil. Wenn sie bei den Juniorinnen bei einer Meisterschaft auftauchte, gewann sie meistens, zuletzt Gold bei der Jugend-WM 2012 - allerdings im Kugelstoßen, ihrer Zweitdisziplin. Mittlerweile betreibt sie diese nur noch zum Ausgleich. "Das hat was Therapeutisches", sagt Craft, wenn es im Diskustraining mal nicht läuft. Was bei einem Wettkampf-Typen ab und zu vorkommt.

Shanice Craft steht erst am Beginn einer vielleicht langen Karriere, aber sie merkt schon jetzt, wie rasend die Erwartungen wachsen. Craft hat in Zürich ja nicht irgendeine Medaille gewonnen. Es ist eine Diskuswurf-Medaille, und damit geht in Deutschland die Pflicht einher, eines Tages die Linie der Diskus-Könige fortzuführen. Craft war noch ein Kind, als Lars Riedl und Franka Dietzsch regierten, bei den Männern ist seit Jahren Robert Harting ein Gold-Bringer. Die 21-Jährige muss nur in die Ergebnislisten gucken, um festzustellen: "Beim Diskus müssen für den DLV die Medaillen geholt werden."

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Wobei die Titel bei den kommenden Großereignissen erst einmal für Sandra Perkovic vorgemerkt sind. 71,08 Meter warf die Kroatin in Zürich den Diskus. Man muss bis ins Jahr 1992 zurückspulen, um eine vergleichbare Weite zu finden. Derartige Zeitsprünge wecken in der Leichtathletik selten Vertrauen, Perkovic aber hatte kein Problem damit, noch weiter zurückzugehen: ins Jahr 1988, zum Weltrekord von 76,80 Metern, den DDR-Werferin Gabriele Reinsch in der damals dopingverseuchten Zeit aufgestellt hatte.

"Das ist weit weg, aber es hat jemand geschafft. Wer weiß, vielleicht schafft das eines Tages wieder jemand?", sagte Perkovic. Die Kroatin war einst positiv auf die Substanz Methylhexanamin getestet worden, was noch weniger Vertrauen weckt. Sie bemerkte das wohl und beschwichtigte hastig: "Der Rekord war in den achtziger Jahren, da will ich ihn auch lassen."

Shanice Craft ergänzte später: "Ich glaube nicht, dass man das mit sauberen Mitteln werfen kann." Sie beschäftigt sich jetzt erst einmal mit den 65 Metern, in dieser Region will sie sich stabilisieren, das Fundament legen für größere Weiten. Nebenbei wird sie ihre Ausbildung bei der Polizei beenden, sie will irgendwann studieren. Und weitere Medaillen? "Ja klar, ich bin ja jetzt bei den Großen angekommen", sagte Craft. Ganz locker.

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