Handball in Flensburg:Skandinavisch by Nature

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Unbesiegt in die WM-Pause: Dieses Kunststück gelang den Handballern der SG Flensburg-Handewitt. (Foto: dpa)

Den Trainer gewechselt, die Mannschaft verjüngt, trotzdem gelingt der SG Flensburg-Handewitt eine Hinrunde ohne Punktverlust. Die meisten Spieler reisen jetzt zur WM - doch keiner zum deutschen Team.

Von Jörg Marwedel, Flensburg

An jene drei Spiele, in denen ein Punktverlust konkret hätte werden können, erinnert sich Maik Machulla noch ganz genau. Vor dem geistigen Auge des Trainers der SG Flensburg-Handewitt läuft bei Bedarf dann ein Film ab: Wie die Magdeburger beim Stand von 26:25 in letzter Sekunde noch einmal den Pfosten treffen. Wie die Wetzlarer kurz vor Schluss erneut ausglichen, ehe Hampus Wanne per Siebenmeter 46 Sekunden vor dem Ende zum 30:29 trifft. Und auch gegen Hannover-Burgdorf steuert der schwedische Linksaußen in der 60. Minute mit einer wunderbaren Luftnummer - bekannt als Kempa-Trick - den Treffer zum 29:28 bei, ehe Torwart Torbjörn Bergerud im Gegenzug noch eine Attacke pariert.

Drei Mal hätte es schief gehen können, drei Mal ist nichts passiert, So glückte den Flensburgern, was selbst den Fußballern von Borussia Dortmund nicht vergönnt war: eine makellose Hinrunde; der BVB musste sich kurz vor Liga-Halbzeit bei Fortuna Düsseldorf mit 1:2 geschlagen geben. Kurz vor der WM-Pause (Eröffnungsspiel Deutschland gegen Korea am 10. Januar in Berlin) haben die Handballer mit der Rückrunde bereits begonnen, die Flensburger siegten auch gegen Minden (35:29) und am zweiten Weihnachtstag standesgemäß 30:18 beim Tabellenletzten Eulen Ludwigshafen. Eine Marke ist der SG aber nun nicht mehr zu nehmen: Als dritter Klub nach dem TBV Lemgo (2002/2003) und dem THW Kiel, der die Saison 2011/2012 sogar mit 68:0 Punkten beendete, können die Norddeutschen auf eine verlustpunktfreie Hinrunde verweisen. Und saisonübergreifend haben sie gar schon 26 Ligaspiele siegreich absolviert. Dierk Schmäschke, der Geschäftsführer, zog schon nach dem Heimspiel gegen Minden die Bilanz: "2018 war in der Geschichte der SG ein tolles Jahr mit der deutschen Meisterschaft, vielen Rekorden und einer tollen Integration vieler neuer Spieler."

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Das Verrückte ist nur: Während die übrigen Spitzenklubs THW Kiel, Rhein Neckar Löwen oder Füchse Berlin drei bis vier Spieler fürs deutsche WM-Aufgebot abstellen, ist aus Flensburg kein einziger Profi dabei. Holger Glandorf, 35, der Weltmeister von 2007, hat mit seinem Rückzug eine "clevere Entscheidung" getroffen, wie Machulla findet. Drei Vereins-Wettbewerbe seien genug in seinem Alter, behaupten Glandorf und sein Trainer unisono. Kreisläufer Johannes Golla, 21, der im Sommer aus Melsungen kam und prächtig einschlug, stand zwar im erweiterten WM-Aufgebot, hat aber das Pech, dass gerade diese Position herausragend besetzt ist mit Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler (beide Kiel) und Jannik Kohlbacher (RN Löwen). Dennoch werden vermutlich zehn Spieler aus Flensburg an der WM teilnehmen, ein absoluter Spitzenwert. Sie spielen allerdings für Dänemark, Schweden und Norwegen.

"Wir sind das Tor zu Skandinavien", sagt Schmäschke. Bis auf Glandorf, Golla, Marius Steinhauser sowie Torwart Buric (Bosnien-Herzegowina) kommen alle SG-Profis aus dem Norden Europas. Selbst die Zuschauer kommen zu gut 15 Prozent aus den nördlichen Nachbarländern in die Flens-Arena (6300 Plätze), besonders natürlich die Dänen. 33 dänische Spieler traten insgesamt für das Team aus der deutsch-dänischen Grenzstadt an. Selbst der Hauptsponsor ist - wie einige andere der 180 Unternehmen im "Klub der 100" - aus Dänemark. Und auch das "Kompetenzteam" mit dem früheren Flensburger Profi Glenn Solberg und einem Scouting-Netzwerk, zu dem Norwegens Nationaltrainer Christian Berge zählt, ist skandinavisch.

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Trotzdem überrascht es, wie problemarm die Verjüngung des Meisters abläuft. Im September hatte Machulla, 41, die Mannschaft wegen der Abgänge diverser Leistungsträgern noch als "Wundertüte" bezeichnet. Praktisch alle Neuen "haben eingeschlagen", sagt er heute. Vor der Saison habe er "tiefgestapelt, weil die Automatismen anfangs noch nicht so klappten". Doch bald stellte sich heraus, dass das neue Torhüterpaar Buric/Bergerud harmonierte und den schwedischen Weltklassetorwart Mattias Andersson ersetzen konnte, der mit 40 seine Laufbahn beendete. Anstelle des nach zehn Jahren in die dänische Heimat zurückgekehrten Regisseurs Thomas Mogensen spielte sich Jim Gottfridsson in den Vordergrund, der Rückraumspieler Magnus Röd konnte Glandorf entlasten. Und der zu Paris St. Germain abgewanderte Kreisläufer Henrik Toft Hansen wurde von seinem dänischer Landsmann Simon Hald sowie Golla beerbt.

Was aber macht das Team so stark, dass es den "kommunikativen und taktisch hervorragenden Trainer" Machulla (Zeugnis von Schmäschke) nur zweimal in dieser Saison - nämlich in der Champions League auswärts gegen Zagreb (29:31) und in Celje/Slowenien (20:23) - enttäuschte? Für Machulla ist es auch "eine Mentalitätsgeschichte", meist seien seine Spieler bereit, "einen Extra-Schritt" zu gehen.

Wichtig deshalb, dass Kapitän Tobias Karlsson, 37, seinen Vertrag noch mal ein Jahr verlängert. Er ist der Integrator und hält die Abwehr brillant zusammen. Um seinen Kapitän herum entwickelte Trainer Machulla seine eigene Geschichte: Nahtlos hat er den Schweden Ljubomir Vranjes beerbt, dessen Assistent er fünf Jahre lang war. In Flensburg heißt es, er habe schnell seinen eigenen Stil gefunden.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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