Sechzigs Skandale (6):Vom Kapitän zum Revoluzzer

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Die Teamkollegen hielten zu ihm: Manfred Schwabl (Mitte) wird von Harald Cerny (re.) geherzt, Daniel Borimirow trägt Nasenpflaster und Fingerverband. (Foto: Bernd Müller/Imago)

Als die Löwen 1997 erstmals in den Uefa-Cup einziehen, kommt es zwischen dem damaligen Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser und Führungsspieler Manfred Schwabl zum Bruch - wegen zweier konkurrierender Saisonabschlussfeiern.

Von Stefan Galler, München

Fußball-Drittligist TSV 1860 München hat Sascha Mölders erst aus dem Kader gestrichen, worauf der ehemalige Torjäger und seine Fans über die sozialen Medien zurückschossen, dann wurde der Vertrag aufgelöst. Zoff bei den Löwen - nichts Neues: In dieser Serie blickt die SZ auf die schönsten Geschichten aus dem Tratsch- und Streitverein zurück.

Es gehörte immer schon zu den Gepflogenheiten beim TSV München von 1860, dass man selbst in jenen Phasen, in denen es mal ausnahmsweise lief wie geschmiert, nicht etwa in kollektiven Jubel verfiel und den Erfolg in inniger Harmonie auskostete, sondern dann erst recht aufeinander losging. Das war beispielsweise auch der Fall, als man drei Jahre nach der Rückkehr in die Bundesliga 1997 erstmals in den Uefa-Cup einzog. In jenem Jahr trug sich die "Feten-Affäre" zu, die in einem fast epochalen Streit zwischen dem damaligen Klubpräsidenten Karl-Heinz Wildmoser und Mannschaftskapitän Manfred Schwabl gipfelte. Mit dem Resultat, dass Schwabl den Verein verlassen musste und kurz danach seine Karriere beendete. Und Wildmosers Ruf als gutmütig-gemütlicher Urbayer erste Risse bekam.

Heute blickt Schwabl "ohne Groll", wie er es ausdrückt, auf das Zerwürfnis zurück. Und doch kann er sich auch nach fast 25 Jahren noch an alle Details erinnern, was nahelegt, dass ihn die Vorgänge noch immer nicht kalt lassen. So erzählt der heutige Präsident der SpVgg Unterhaching, wie er vor allem wegen der nahenden Abschiede von Sechzig-Ikonen wie Thomas Miller, Rainer Berg und Bernhard Trares im Frühling 1997 eine Saisonabschlussfeier organisierte, weil vom Verein keine entsprechenden Tendenzen zu erkennen waren. "Also habe ich für den Abend nach dem letzten Spiel ein Lokal in Oberföhring gemietet für 60 bis 70 Leute, eine Band bestellt, Geschenke für die scheidenden Spieler und Rosen für die Damen", sagt Schwabl.

Schwabl lädt nach Oberföhring ein, Wildmoser bittet in den Goldenen Hirschen in Solln

Vor dem letzten Bundesligaspieltag fand ausgerechnet im Münchner Olympiastadion das Champions-League-Finale statt, in dem Borussia Dortmund etwas überraschend Juventus Turin besiegte. Damit war klar, dass auch Rang sieben in der Bundesliga für den internationalen Wettbewerb reichen würde und Sechzig die Uefa-Cup-Qualifikation in der Tasche hatte, ganz egal, wie das letzte Heimspiel gegen Werder Bremen auch ausgehen mochte. Nun trat plötzlich doch der Boss auf den Plan und bat die ganze Mannschaft in den Goldenen Hirschen in München-Solln, exakt zur gleichen Zeit wie Schwabls Reservierung. "Das hat er bestimmt nicht für unsere Spieler gemacht, die den Verein verlassen haben, sondern nur, weil er vor den Sponsoren nicht blöd dastehen wollte", sagt Schwabl, der sich sogleich Rückendeckung von den Kameraden holte: "Alle haben gesagt, sie wollen auf unsere eigene Feier kommen." Lediglich Trainer Werner Lorant blieb neutral, "aber nur, weil er für den Abend eine Einladung ins Sportstudio hatte".

Schon zwei Tage vor dem Spiel habe Wildmoser dann bei seinem Kapitän angerufen: "Er ist völlig ausgerastet, hat mich als Revoluzzer beschimpft", erzählt Schwabl, der dann prompt das finale Match gegen Bremen von der Bank aus erlebte. Mittlerweile hatte der Klub auch den Druck auf die anderen Spieler erhöht, so dass letztlich nur Schwabl und Jens Jeremies, dessen Wechsel zum FC Bayern bereits feststand, der Wildmoser-Sause fernblieben. Aber die Kollegen ließen ihren Spielführer nicht völlig hängen, nach dem Hauptgang und bevor der mächtige Oberlöwe seine Rede hielt, verabschiedete sich der gesamte Kader in Richtung Oberföhring und ließ einen schnaubenden Präsidenten zurück.

Für Wildmoser war das Tischtuch zerschnitten, er wollte Schwabl nie wieder im blauen Trikot sehen. "Zwei Wochen vorher hatte ich einen neuen Vertrag unterschrieben, jetzt war ich plötzlich nicht mehr tragbar. Mir ist meine Rolle als Kapitän auf die Füße gefallen", sagt der heute 55-Jährige. Nach dem Sommerurlaub kam Schwabl zum Trainingsauftakt, durfte jedoch nicht mehr mittun, sondern musste abseits des Teams laufen. "Masseur Hodrius sprang ein, damit sie elf gegen elf spielen konnten, während ich eine Runde nach der anderen rannte."

Später versöhnen sich die Streithähne, dann kracht es wieder - diesmal wegen des Grünwalder Stadions

Obwohl sich damals bei einer Umfrage unter 3000 Löwen-Anhängern deutlich mehr als 90 Prozent pro Schwabl aussprachen, wurde der Vertrag letztlich aufgelöst. Der damals 31-Jährige heuerte beim italienischen Zweitligisten Treviso an, man stornierte den Vertrag jedoch wieder, noch ehe er ein Spiel bestritten hatte - die Sehnsucht nach seinem geliebten Bayern war einfach zu groß. Schwabl beendete seine Laufbahn.

Wildmoser und er versöhnten sich später - und hätten um ein Haar ein großes Projekt auf den Weg gebracht: Schwabl ließ eine Machbarkeitsstudie für den bundesligatauglichen Ausbau des Grünwalder Stadions erstellen, nach Vorbild Millerntor auf St. Pauli und inklusive Vip-Bereich und Tiefgarage. "Ich habe selbst 300 000 Mark investiert und Wildmoser war total begeistert. Wenn das Stadion komme, lassen wir eine Blasmusik vom Baureferat in der Blumenstraße bis zu meiner Wirtschaft in Hinterbrühl laufen, hat er damals gesagt." Doch der Traum platzte, weil Deutschland die Weltmeisterschaft 2006 zugesprochen bekam und München eine Arena in Fröttmaning. "Ab da hat keiner mehr mit mir geredet, es hieß nur, dass Schwabls Scheinpläne nix bringen", sagt der Haching-Präsident und wirkt jetzt doch ein bisschen gekränkt. "Wildmoser hat mich zweimal auflaufen lassen."

Bisher erschienen: Marvin Pourié (10.12.), Karsten Wettberg (14.12.), Stefan Ziffzer (15.12.), Gabor Kiraly (17.12.), Max Merkel (24.12.).

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