Sebastian Vettel vor dem zweiten WM-Titel:Gnadenloser Fast-Schon-Weltmeister

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Sebastian Vettel kann schon am Sonntag wieder Weltmeister werden. Das liegt nicht nur an seinem Talent auf der Rennstrecke - auch hinter der Boxengasse hat der Deutsche es geschafft, für klare Verhältnisse zu sorgen: Vettel besitzt innerhalb des Red-Bull-Teams eine ungeheure Durchsetzungskraft.

Elmar Brümmer

Die Anreise zum möglicherweise bereits entscheidenden Rennen dieser Formel-1-Saison ist von weisen Ratschlägen begleitet. "Vergessen Sie nicht Ihr Glückslos", raten resolute Damen am Changi-Flughafen von Singapur. Und am Bankomaten gibt es im Display noch eine Tageslosung: "Mach' alles richtig. Dann wirst Du einige Menschen befriedigen - und den Rest erstaunen." Während die Maschine die Dollars ausspuckt, stellt sich die Frage: Halten die Banker im Stadtstaat Aktien am Nachtspektakel der Formel 1, oder wählt wirklich nur der Zufall einen Spruch aus, der so perfekt zum Vorhaben von Sebastian Vettel und Red Bull zu passen scheint?

Dieser junge Mann ist kein Tourist beim Schüleraustausch, sondern der Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel. Im Hintergrund ein Plakat der Rennstrecke von Singapur, das Vettel im Fahrerlager passiert. (Foto: dpa)

Es ist nicht das "Ob", das die Formel 1 vor der möglichen Titel-Entscheidung im 14. von 19 WM-Läufen bewegt, auch das "Wie" dürfte nach den beiden letzten Risiko-Siegen von Sebastian Vettel hinreichend beantwortet sein. Es geht nur noch um das "Wann".

Das sicherste Rechenmodell: Vettel feiert seinen Sieg in Singapur, Mark Webber und Jenson Button belegen höchstens den dritten Platz, Fernando Alonso ist nicht besser platziert als Vierter. Das klingt nach einer ziemlich vagen Hochrechnung - aber diese Konstellation gab es in dieser Saison so ähnlich bereits zweimal. Vettel hat derzeit 112 Zähler Vorsprung auf Alonso; will der 24-Jährige schon an diesem Wochenende als jüngster Titelverteidiger der Formel 1 wieder Sportgeschichte schreiben, müsste er Sonntagnacht 125 Punkte Abstand zum Nächstbesten haben.

"Mein Ziel ist es, die Leistung zu optimieren, und mich nicht um ein paar tausend rechnerische Möglichkeiten zu kümmern", sagt Vettel in der Talkrunde am Donnerstag, "ich weiß ja, dass alle darüber reden. Aber dazu müssten schon bestimmte Konstellationen eintreten. Wir versuchen, dieses Wochenende als normalen Job zu betrachten. Unser Ziel war es immer, den Titel zu verteidigen, und nicht, den Titel schon in Singapur zu holen." Vettels Teamchef Christian Horner sagt, es sei eine größere Herausforderung, den Titel zu verteidigen: "Es ist eine Sache, den Titel zu holen, es ist eine andere, dort oben zu bleiben."

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:Wo der Fast-Weltmeister weint

Der Große Preis von Monza bringt selbst die gnadenlosesten Fahrer zum Weinen, diesmal Sebastian Vettel. Michael Schumacher nennt seine kritisierte Fahrweise "einfach Racing", Niki Lauda trägt das teuerste Ersatzteil der Formel 1 und Fernando Alonso hat ein Problem mit seinem Ego.

Elmar Brümmer, Monza

Der eigentliche Vettel-Faktor liegt nicht im Talent auf der Rennstrecke - auch hinter der Boxengasse hat er es nach dem Überraschungs-Coup im letztjährigen Finale geschafft, für klare Verhältnisse zu sorgen. In der internen Besprechung besitzt er eine ungeheure Durchsetzungskraft, seinem Teampartner Mark Webber hat er in dieser Saison keine Chance gelassen. Nach Siegen führt Vettel mit acht zu null, nach Pole-Positionen zehn zu drei. Horner schiebt das auf die Erfahrung der vergangenen Saison, in der Vettel zu Beginn des entscheidenden Drittels scheinbar schon alles verspielt hatte, sich dann aber mit dosiertem Risiko auch von technischen Unzulänglichkeiten nicht mehr bremsen ließ - und am Ende eiskalt die Schwächen der Konkurrenz ausnutzte.

Eine zuverlässige Gnadenlosigkeit, die Vettel mit seinem Dienstwagen teilt, den er "Kinky Kylie" getauft hat. Als einziger Fahrer hat er bislang alle 778 möglichen Rennrunden drehen können. Und selbst sich auflösende Reifen oder zickende KERS-Batterien sorgen nicht für Ausfallerscheinungen, ganz im Gegensatz zur vergangenen Saison, als ihm drei sicher scheinende Siege durch die anfällige Technik geraubt wurden. Vettel und Red Bull haben, wie man in der Formel 1 durchaus angemessen sagt, den richtigen Drive gefunden. "Ich denke, Sebastian hat einen phänomenalen Lauf hingelegt", sagt Horner, "seine Beständigkeit ist bemerkenswert." Pause, dann: "Und er wird immer noch stärker und stärker."

Den Trend zur Anfälligkeit bei Red Bull umgedreht, sich eine Ausnahmestellung im Cockpit verschafft zu haben, in alle wichtigen Management-Entscheidungen einbezogen zu werden, sich langfristig zu binden (bis mindestens 2014) - all das erinnert im Zusammenspiel mit einer sich rapide beschleunigenden Cleverness an das Vorbild Schumacher und Ferrari. Der Österreicher Franz Tost, der Vettel schon in der BMW-Nachwuchsförderung erlebt hat und bei Toro Rosso sein erster Formel-1-Teamchef war, sagt: "Die Aufgabe eines Spitzenfahrers ist es, Schwächen im Team auszumachen und dann so viel Druck auszuüben, dass diese abgestellt werden."

Zum Eigenlob tendiert der Fast-Schon-Weltmeister selten, mit konstruktiver Selbstkritik geht er viel lieber um. "Wir haben alle gemeinsam eine Menge gelernt", sagt Vettel, "wir haben uns in jenen Belangen verbessert, in denen die Konkurrenz voraus war." Dabei geht es nicht nur um den Teamgeist, sondern auch um ein geschultes Risikobewusstsein bei der Technik. Im Zusammenspiel haben Vettel und seine Mannschaft beides auf eine neue Ebene gehoben.

Damit ist das Nummer-Eins-Team zum Trendsetter geworden, die Konkurrenz wittert natürlich angeblich überhöhten finanziellen Einsatz. Konstrukteur Adrian Newey, in der Radikalität seines Tuns ein Bruder im Geiste des jungen deutschen Rennfahrers, ahnt daher bereits Vettels Taktik: "Er will den Titel nicht einfach so einfahren. Er will ihn sich verdienen."

© SZ vom 23.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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