Schwimm-WM:Jede Geste unter Beobachtung

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Rivalen im Wasser, vorsichtige Annäherung an Land: Den Australier Mack Horton (l.) verbindet eine olympische Vorgeschichte mit Sun Yang. (Foto: Getty Images)
  • Das Verhältnis zweier Schwimmer zueinander sorgt selten für Aufregung - bei dem Australier Mack Horton und dem Chinesen Sun Yang ist das anders.
  • Bei Olympia nannte Horton seinen Konkurrenten einen "Doping-Betrüger", Yang wurde für ein Doping-Vergehen nur rückwirkend bestraft und durfte in Rio an den Start gehen.
  • Nun wird Yang in Budapest Weltmeister vor Horton und umarmt ihn besonders herzlich. Ihr Verhältnis erzählt vieles über ihren gemeinsamen Sport.

Von Claudio Catuogno, Budapest

Werden sich die beiden die Hand geben? Sich umarmen gar? Bleibt es bei einem Kopfnicken? Oder tritt der Konflikt offen zu Tage, wie beim letzten Mal? Die Frage, wie zwei Schwimmer miteinander umgehen, die sich nicht mögen, ist oft nicht mehr als eine Randnotiz, zumal bei einer Weltmeisterschaft, wo alle paar Minuten neue Sieger und neue Verlierer aus dem Becken steigen. Mögen sich halt mal zwei mal nicht. So what.

Doch am Sonntagabend, im ersten Finale der Beckenschwimmer bei der WM in Budapest, war das anders: Da wetteiferten der Chinese Sun Yang, 25, und der Australier Mack Horton, 21, um den Titel über 400 Meter Freistil. Sun Yang gewann in 3:41,38 Minuten, Horton holte mit Abstand Silber, 3:43,85. Der Chinese kletterte auf die Leine und machte eine Triumphgeste - ganz bewusst in Richtung des Australiers? Dann schlug sich Sun Yang bis zur Athletentribüne durch, schnappte sich eine China-Fahne und ging auf eine Ehrenrunde - weil diese Revanche besonders süß schmeckte? Der Teil des Publikums, der die Vorgeschichte kannte, blickte auf jedes Detail.

Aber dann: Überraschung. Sun Yang nahm den Konkurrenten nach der Siegerehrung besonders herzlich in den Arm, und als sich die beiden mit dem Bronze-Gewinner Gabriele Detti, 22, aus Italien (3:43,93) vor den Fotografen aufstellten, wollte Sun Horton erneut an sich drücken. Später, auf der Pressekonferenz, erklärte Sun: "Es ist eine lange Zeit seit Rio vergangen. Wir haben uns beide beruhigt. Es ist okay."

So reden Sportler normalerweise nicht übereinander

Die Geschichte der Spannungen zwischen Sun Yang und Mack Horton ist tatsächlich keine Privatsache. Sie erzählt etwas über jeden Einzelnen, vor allem aber erzählt sie etwas über ihren gemeinsamen Sport, das Schwimmen. Letzten Sommer in Rio waren sie auf der größten Bühne aufeinandergetroffen: bei Olympia in Rio, ebenfalls über 400 Meter Freistil. Horton hatte Sun Yang am Tag vor dem Rennen einen "Doping-Betrüger" genannt. So reden Sportler normalerweise nicht übereinander, Horton allerdings wählte seine Worte bewusst: "Hinter den Kulissen wird viel über Doping geredet, aber kaum einer äußert sich öffentlich dazu. Für mich fühlt es sich aber einfach nicht richtig an, wenn ich auf dieser Bühne gegen jemanden antrete, der schon einmal positiv getestet wurde."

Das wurde Sun Yang tatsächlich: Im Mai 2014 war er bei den chinesischen Meisterschaften mit dem Stimulansmittel Trimetazidin erwischt worden. Chinas Schwimmverband hielt drei Monate Sperre für angemessen. Rückwirkend. Raus kam das alles erst, als Sun längst wieder schwamm. Er habe nichts gegen Sun Yang im Speziellen, ließ Mack Horton in Rio wissen, er habe etwas gegen "alle, die erwischt wurden und nun wieder mitschwimmen". Nach dem Olympia-Finale wiederholte Horton all das auch auf der Pressekonferenz, Sun Yang neben sich. Horton saß in der Mitte. Er hatte Gold gewonnen, Sun Yang nur Silber.

Diesmal war es also wieder umgekehrt. Sun Yang, der Weltmeister, saß in der Mitte. Neben ihm saß nur die Übersetzerin. Der Schwimm-Weltverband Fina lädt neuerdings nur noch den "Hero of the Day" zur Gesprächsrunde, Silber- und Bronzegewinner würden ja meistens eh kaum etwas gefragt, heißt es zur Begründung. Dabei hat Horton, allen Umarmungen zum Trotz, auch weiterhin eine Menge zu sagen.

Vor dem Rennen hatte er wieder von einem "Duell von sauberen Athleten und denen, die positiv getestet wurden" gesprochen. Das mag die Realität nur teilweise abbilden: Dass Sportler erwischt und dann so milde bestraft werden, dass sie bei der nächsten Heldenmesse gleich wieder dabei sind, ist ja nur ein Teil des Problems. Der andere ist, dass so viele Mittel kursieren, die von keinem Dopingtest detektiert werden können. Und trotzdem: Das Publikum daran zu erinnern, dass nicht jeder "Hero of the Day" automatisch ein Held sein muss, das ist durchaus ein Verdienst.

Ob die Niederlage gegen einen überführten Doper besonders schmerze, wurde Horton von Journalisten gefragt: "Hmmm, die Zeit schmerzt möglicherweise noch ein bisschen mehr." Und dass ausgerechnet der australische Coach Denis Cotterell, der einst Grant Hackett zur Schwimm-Legende formte, Sun Yang regelmäßig zum Wintertrainingslager empfängt? Dazu Horton: "Sie treffen ja alle meine wunden Punkte!"

Horton trägt außerhalb des Pools eine Brille, er wirkt wie ein Student, der sich ins Körpertuning-Business verirrt hat. Man muss das wohl aushalten können: der Außenseiter zu sein.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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