Schwimm-EM:Schokoladentage

Lesezeit: 4 min

Die spätberufene Wasserspringerin Christin Steuer feiert ihre zwei EM-Titel als Lohn für ihre Beharrlichkeit. Christian Kubusch gewinnt Silber.

Claudio Catuogno, Budapest

Christin Steuer hat bis zum Schluss nicht nach oben geschaut auf die Buchstaben und die Zahlen. Obwohl sie jetzt immer aufdringlicher in die heraufziehende Nacht leuchteten, gelb auf schwarz, und obwohl alle anderen längst hinauf starrten, die Italienerin, die Russin. Auch Lutz Buschkow mochte den Blick nicht mehr abwenden, der Cheftrainer der deutschen Wasserspringer, er hielt den Kopf schräg und sagte: "Das zubbelt jetzt schon an den Nerven."

Christin Steuer und Nora Subschinski bei einem Sprung vom 10-Meter-Turm: Das Duo gewinnt die Goldmedaille. (Foto: AP)

Aber Christin Steuer schaut nie auf die Anzeigetafel zwischen ihren Sprüngen, sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Stufen, die zehn Meter hinauf zum Turm führen, auf ihren Körper, das Wasser, den Beckenrand. Anderthalb Stunden lang. Man kann kaum ermessen, wie viel Beherrschung es erfordert, nicht doch mal kurz hinaufzulinsen auf den Zwischenstand. Andererseits: Selbstbeherrschung ist der Wesenskern einer erfolgreichen Wasserspringerin. Und ein Sprung - dieses kompositorische Wunderwerk aus Salti, Schrauben und gestrecktem Eintauchen - wird ja nicht dadurch besser, dass man weiß: Es könnte der Sprung zu Gold sein.

Christin Steuer ist 27 inzwischen, sie war zweimal bei Olympischen Spielen dabei, sie gewann Bronzemedaillen bei der EM 2006 und der WM 2007, jeweils im Springen vom Zehn-Meter-Turm. Das ist jetzt seit mehr als 15 Jahren ihr Alltag: Sie steigt ganz nach oben und springt wieder hinunter. Aber dieser eine kleine Schritt hinauf auf die oberste Stufe eines Medaillen-Podiums, der war ihr doch immer verwehrt geblieben: "Ich habe immer nur davon geträumt, mal ganz oben zu stehen."

Training am Hydraulikturm

Und nun ist sie also gleich zweimal dort oben gestanden bei den Europameisterschaften in Budapest. Am späten Donnerstagabend, als längst die Motten um die Flutlichter tanzten, nach ihrem Sieg im Einzel vom Turm. Und am Freitagmittag schon wieder, in der gleißenden Mittagssonne, diesmal neben ihrer Partnerin Nora Subschinski aus Berlin. Die beiden hatten das Synchonspringen gewonnen vor Iulia Prokopchuk/Alina Chaplenko (Ukraine) und Monique Gladding/Megan Sylvester (Großbritannien).

Die Geschichte der ersten beiden Goldmedaillen für die deutschen Wasserspringer in Budapest war zunächst einmal die Geschichte dieser 1,69 Meter großen Athletin Christin Steuer, die in der Nähe von Dresden lebt, in Leipzig trainiert und für Riesa startet. Die sich laut Buschkow "durch ihre Routine, ihre Nervenstärke, und ihre grazile Eleganz" auszeichnet. Und, was nicht selten den Wettkampf entscheidet in diesem Wirbel aus verdrehten Körpern: durch ihre "hohen Eintaucheffekte". Ein perfekter Sprung endet nicht an der Wasseroberfläche: Nach dem Aufprall betreiben die Athleten noch eine Menge Aufwand, damit die Luft, die sie mit in die Tiefe ziehen, nicht in einer großen Blase zurück nach oben steigt.

Uwe Fischer, der Christin Steuer in Leipzig trainiert, betonte in seiner Analyse vor allem die Konstanz, mit der Steuer zu springen in der Lage ist: "Sie hat eigentlich nur einen schlechten Sprung, und das ist immer der erste." Der zweieinhalbfache Delfinsalto gehechtet, der liegt ihr halt nicht. Steuer selbst wiederum empfand diese beiden Titel vor allem als Lohn für ihre Beharrlichkeit: "Ich bin ja hier schon eine von den älteren Leuten, und wie sagt man immer: Wer lange durchhält, der hat irgendwann auch die größten Erfolge."

Für Lutz Buschkow erzählen die Medaillen allerdings auch davon, wie sich seine hübsche Nischensportart in all ihrer ästhetischen Strenge doch auch permanent weiterentwickelt. Und wie die Deutschen dabei mit voranschreiten. Nach Olympia in Peking wurden die Schwierigkeiten vieler Sprünge vom Weltverband neu bewertet, das setzte Anreize, noch komplexere Flugkombinationen zu erlernen. Im Leistungszentrum in Berlin haben sie inzwischen einen Hydraulikturm angeschafft, den man auf jede Höhe zwischen 80 Zentimetern und sechseinhalb Metern einstellen kann - so tasten sich die Athleten kontinuierlich an ihre Aufgaben heran.

Sie haben in Berlin auch eine Trockensprunganlage mit Schaumstoffquadern, sie haben eine Art Bungee-Seil unter der Decke hängen, damit nicht jeder Versuch wirklich im Wasser endet. Denn jeder ungeschickte Aufprall aus zehn Metern Höhe birgt Risiken, die man eher im Motorsport vermuten würde als im Wasserspringen. Und doch führt all der Aufwand am Ende nur dazu, dass die Deutschen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen immer neue chinesische Sprungtalente bestaunen, und dass man, wie Buschkow sagt, "dann schon einen Schokoladentag erwischen muss, um auch gegen die zu bestehen", EM-Titel hin oder her. Christin Steuer weiß jetzt immerhin, wie sich das anfühlt, so ein Schokoladentag im Wasserspringen.

Der Magdeburger Christian Kubusch hat über 800 Meter überraschend die Silbermedaille gewonnen. Der deutsche Meister kam am Freitag nach 7:49,12 Minuten ins Ziel und verbesserte seinen deutsche Rekord vom 20. April 2008. Der 22-Jährige aus Magdeburg musste sich erst im Schlussspurt knapp dem Franzosen Sebastien Rouault geschlagen geben, der bereits die 1500 Meter gewonnen hatte. Bronze gewann Samuel Pizzetti aus Italien.

Christian Kubusch (Mitte) gewinnt Silber, er muss sich nur Sebastien Rouault (links) geschlagen geben. (Foto: REUTERS)

Die Russin Anastasia Tschaun hat sich den Titel über 200 m Brust gesichert. Tschaun verwies in 2:23,50 Sekunden die Norwegerin Sara Nordenstam (2:24,42) und die Dänin Rikke Pedersen (2:24,99) auf die Plätze zwei und drei. Weltrekordlerin Sarah Sjoeström hat ihren Titel über 100 m Schmetterling erfolgreich verteidigt. Die Schwedin gewann in 57,32 Sekunden vor der Britin Francesca Halsall (57,40). Dritte wurde die 32 Jahre alte Schwedin Therese Alshammar (57,80).

Alain Bernard ist Europameister über 100 Meter Freistil. Der Titelverteidiger aus Frankreich schlug nach 48,49 Sekunden als Erster an. Silber holte sich mit 3/100 Sekunden Rückstand der Russe Jewgeni Lagunow vor William Meynard (48,56) aus Frankreich. 200-Meter-Europameister Paul Biedermann (Halle/Saale) hatte ebenso wie Steffen Deibler (Hamburg) auf einen Start verzichtet. Der Hamburger Markus Deibler war im Halbfinale ausgeschieden.

Silke Lippok aus Pforzheim ist über 200 Meter Freistil ins Finale geschwommen. Die 16-Jährige wurde im Halbfinale in 1:58,29 Minuten Siebte. Als Schnellste zog Federica Pellegrini (Italien/1:56,23 in den Endlauf an diesem Samstag ein. Daniela Samulski hat das Finale über 50 Meter Rücken erreicht. Die Vize-Weltmeisterin aus Essen schlug am Freitag nach 28,19 Sekunden an - das reichte für Platz drei. Halbfinal-Schnellste war die Weißrussin Alexandra Herasimenja in 27,98 Sekunden. Der Hamburger Stefan Deibler scheiterte hingegen über 100 Meter Schmetterling als Halbfinal-Neunter in 52,92 Sekunden.

© SZ vom 14.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: