Schiebung im Fußball:"Idiot! 4:1 sollte es sein!"

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Gerichtstermin zum Wettskandal: Filippo Di Pierro, der italienische Trainer des Club Deportivo Eldense, wird dem Richter vorgeführt. (Foto: Manuel Lorenzo/imago)
  • Der Fall des spanischen CD Eldense zeigt, wie eng die Vernetzung mit der Kriminalität sein kann: Über den Klub operierten nach Aktenlage gleich zwei Mafia-Banden.
  • Das Prinzip: Über manipulierte Spiele werden Millionen am globalen Wettmarkt ergaunert und schmutzige Gelder gewaschen.
  • Die Verdachtslage beginnt mit einem 0:4 Mitte Februar beim B-Team des Erstligisten FC Villarreal.

Von Thomas Kistner, Elda/München

Hunderte Bewohner von Elda waren am Dienstag vor den lokalen Justizpalast gezogen. Mit Pfiffen und "Mafioso"-Rufen empfingen sie vier Männer, die gefesselt in das sandsteinfarbene Gebäude geführt wurden. Dann trudelten, von Anwälten flankiert, die Spieler des Drittliga-Klubs Deportivo Eldense ein. Elda, ein 50 000-Seelen-Ort bei Alicante, ist ins Zentrum des spanischen Fußballs gerückt. Und in den Fokus der Strafjustiz.

Das mutmaßliche Delikt fand drei Tage zuvor statt. Eldense trat bei der B-Auswahl des FC Barcelona an, ein Spiel der Segunda División B; es galt, den Abstieg zu verhindern. Doch der sportliche Aspekt kümmerte kaum einen Akteur. Barcelonas Junioren durften spielen, wie sie wollten, im Strafraum ging ihnen auch Eldenses Torwart geschmeidig aus dem Weg. Barça siegte 12:0 (8:0), aber die Anstrengung des Tages vollbrachte ein Gästestürmer: Maiqui Fernandez presste nach Abpfiff eine Träne raus und wurde von mitfühlenden Gegnern umarmt. Noch wusste ja keiner, dass er bald im Gefängnis sitzen würde.

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Während die Branche überlegte, ob Eldense versehentlich die Pelota-Truppe nach Katalonien entsandt hatte, brach sich der Betrugsverdacht Bahn. Auf Ungereimtheiten bei Eldense hatten Wettfahnder die spanische Polizei schon Anfang März hingewiesen. Sie blieb untätig.

Aber beim 0:12 kam ein klangvoller Name ins Spiel: Barcelona. Mehr öffentliche Unruhe stifteten Eldense-Profis, die nach der Slapstick-Nummer in diversen Medien auspackten. Cheik Saad behauptete, einige Teamkollegen hätten viel Geld durch Wetten verdient. Und der deutsche Profi David Azin berichtete, der Co-Trainer habe im Hotel informiert, das Spiel müsse mit mehr als fünf Toren verloren gehen. Wer nicht mitmache, müsse auf die Bank. Wie Azin, der kurzfristig aus dem Kader gestrichen worden war.

In Elda gab es, nur über diese Saison, sieben Trainer, 52 Spieler

Beim Zugriff stellte die Polizei jede Menge WhatsApp-Protokolle sicher. Jetzt hat der Profifußball einen neuerlichen Wettskandal. Zeigt doch das Projekt Eldense demonstrativ, wie eng die Vernetzung des Sports mit der Kriminalität sein kann: Über den Klub operierten nach Aktenlage gleich zwei Mafia-Banden. Ein als Investmentfonds auftretender Kreis mit Draht zur kalabrischen Mafiagang 'Ndrangheta - und nebendran chinesische Wettpaten.

Das Geschäftsprinzip klingt vertraut: Der Geldgeber kapert einen klammen Profiklub und bringt sportliches Führungspersonal mit. Coach, Manager, Spieler. In Elda gab es, nur über diese Saison, sieben Trainer, 52 Spieler. Die Neuen machen die Regeln. Über manipulierte Spiele werden Millionen am globalen Wettmarkt ergaunert und schmutzige Gelder gewaschen; Letzteres auch über fingierte Transferdeals.

Den Heilsbringer bei Eldense mimte Nobile Capuani. Die schillernde Herkunft des Süditalieners scherte niemanden. Capuani war Jugendcoach in L'Aquila; der italienische Drittligist war unter Sportdirektor Ercole di Nicola im großen Calcio-Wettskandal 2014/15 untergegangen. Die Strafjustiz in Catanzaro hob ein Netzwerk aus Funktionären, Fußballern und Banden aus, darunter Chinesen und Leute nahe an 'Ndrangheta. Es gab über 50 Verhaftungen, 30 Dritt- und Viertligisten waren betroffen. Di Nicola saß vier Monate hinter Gittern. Der Nationalverband FIGC verbannte ihn, Capuani und auch den Sportdirektor von Barletta Calcio, Salvatore Casapulla - auch dieser taucht in Eldense wieder auf.

Capuani ging Ende 2015 nach Spanien und dockte bei CD Jumilla nahe Murcia an, doch die Drittliga-Kicker waren nicht mal zu verlieren bereit, als der Investor mit Gehaltsstopp drohte. So kann man nicht arbeiten: Capuani zog nach Elda um, stets im Schatten blieben di Nicola und Casapulla.

Zu den Mitbringseln der Italiener zählte neben Spielern der Coach Filippo Di Pierro, der Landsmann Capuani nun auch in den städtischen Karzer begleitete. Während die Betroffenen alle Vorwürfe bestreiten, zeigt die Beleglage ein klares Bild. Auch Investoren aus China hatten bereits Geld und geneigte Spieler in Eldense, beide Gruppen wollten nun Rendite sehen. Im Zeitalter der Live-Wetten ist das kein Problem, gesetzt wird ja während des Spiels.

Die Verdachtslage beginnt mit einem 0:4 Mitte Februar beim B-Team des Erstligisten FC Villarreal. Der Auftrag - mindestens drei Tore, Niederlage mit mindestens zwei Toren - wurde erfüllt und trug jedem Beteiligten angeblich 60 000 Euro ein. Glatt über die Bühne ging auch der nächste Auswärtscoup am 5. März, ein 0:5 bei Atlético Baleares. Nur wurden jetzt internationale Wettfahnder stutzig. Die Dinge wiederholten sich ja: Hohe Wetteinsätze auf passende Ergebnisse, die dem Spielverlauf widersprachen; mit dabei Trainer und Profis, die bereits aktenkundig waren.

In Elda fragten sie sich indes: Warum mit allen teilen? Die Asiaten und ihre Spieler wollten Mitte März bei UE Cornellà die Italiener ausbooten. Aber die kippten den vereinbarten Halbzeitstand (0:2- oder 1:3) zu ihren Gunsten: 0:3. Nur der bestellte Endstand von 1:4 trat nicht ein. Eldenses Emanuel Mendy, der eine Einladung zum Spielbetrug via WhatsApp abgelehnte, verhinderte vorm Abpfiff das letzte Gegentor - und wurde per Mail beschimpft: "Idiot! 4:1 sollte es sein!" Spielverlauf und Kommunikation nähren den Verdacht, dass auch Akteure von Cornellà mitmischten.

Nun koordinierten sich die Gruppen wieder. In Barcelona setzten die Italiener auf eine Niederlage mit vier oder mehr Toren. Klare Ansage, aber nicht so auffällig wie die angebliche Bestellung der Chinesen: Ein 0:8 zur Halbzeit, dann weitere Tore per Live-Wette. Jeder Akteur soll bis zu 150 000 Euro nach Hause getragen haben.

Andreas Krannich, Chef des Frühwarnsystems Sportradar, bestätigt der SZ, man habe "mehrere Spiele identifiziert" und an die Behörden gemeldet. Gewöhnlich kommentiert Sportradar so etwas nicht, aber die Spanier haben ihre Reports ohnehin an die Medien weitergereicht. Dabei war die Justiz erst aufgeschreckt, als der Name Barcelona ins Spiel kam.

Weil die Guardia Civil lange untätig blieb, übernahm die Nationalpolizei. Und: Dies ist keine isolierte Affäre. Was auch der Umstand zeigt, dass zu den lautesten Whistleblowern in Elda Profis zählen, die erst im Januar kamen - und früher selbst bei verschobenen Spielen auf dem Platz standen. Der Senegalese Mendy mit Daugava Riga, der Mauretanier Cheik mit dem FK Ventspils in Lettland. Wer Täter und wer Opfer ist, müssen die Behörden klären. Experte Krannich sagt: "Wir sitzen auf einer Bombe."

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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