Herausforderer Viswanathan Anand, 44, hat die dritte Partie der Schach-WM im russischen Sotschi in großem Stil gewonnen. Nach den Worten des norwegischen Weltmeisters Magnus Carlsen, 23, war es hingegen "die Art von Partie, bei der von Beginn an alles falsch lief".
Der Reihe nach: Zunächst hatten beide Schachgenies ihre Züge flott abgespult. Auch Anands Bauerndurchbruch im 12. Zug (12.b5, siehe Notation) konnte allenfalls Laien verblüffen, denn so hatten in den vergangenen Jahren schon andere Großmeister gespielt. Als Kompensation für den geopferten Bauern platzierte der Inder nach nur wenigen Zügen einen gefährlichen Freibauern auf der vorletzten Reihe; für Carlsen muss der kleine Bauer mit zunehmender Spieldauer wie ein Monster gewirkt haben, schließlich war er nur noch ein Feld entfernt von der Umwandlung in eine neue Dame.
Bislang war dieser asymmetrische Stellungstyp unter Experten als unklar eingeschätzt worden, weil sich auch Schwarz - wie Carlsen in diesem Fall - einen Freibauern schaffen könnte. Anand muss jedoch mit seinen Sekundanten in den vergangenen Wochen zu einer anderen Bewertung der Lage gelangt sein. Nach der Partie verriet er, dass er es in der Vorbereitung auf genau diesen Stellungstyp abgesehen hätte: "Den Unterschied macht die Bauernstellung, mein Bauer auf c7 schränkt ihn mehr ein als mich seiner auf a3."
Neuland nach dem 17. Zug
Sogar die Position nach dem 24. Zug hatten der Inder und die Seinen schon zuvor analysiert. Für Carlsen indes war schon nach dem 17. Zug Neuland erreicht: Anands trickreiches Springermanöver (17.Sg5) hatte er wohl nicht mehr auf dem Plan (obwohl es im Jahr 2013 von Großmeister Aronjan gespielt worden war). Über 32 Minuten grübelte Carlsen, bevor er antwortete.
Der Weltmeister, ungewohnt knapp an Ideen und zunehmend auch an Bedenkzeit, geriet unter Druck. Ihm schien einfach nichts einzufallen, wie er Anands Freibauern neutralisieren könnte. Mag sein, dass sich gegen Ende bei Carlsen zwei, drei Ungenauigkeiten einschlichen, aber der entscheidende Fehler lag woanders: Hinterher lobte der augenscheinlich enttäuschte Carlsen Anands "gute Vorbereitung", er selbst hingegen bereue es, diese Eröffnung gewählt zu haben. "Man kann es kaum schlechter machen."
Oder: Man kann es nicht besser machen als Anand in dieser dritten Partie. Mit zwei enorm starken Turmzügen (26.Tc6 und 28.Ta1) erstickte er jegliche Chancen auf Gegenspiel. Am Ende schlug Carlsen den "Monsterbauern" mit seinem Läufer, aber dies war nur noch Agonie. Der Läufer ging verloren und mit ihm entscheidendes Material. In hoffnungsloser Lage gab Carlsen nach 34 Zügen auf.
Carlsen: "Selbstzerfleischung vermeiden"
In der Pressekonferenz wollte einer wissen, wie es sich für Anand anfühle, nach so langer Zeit mal wieder eine Turnierpartie gegen Carlsen gewonnen zu haben. "Ich bin offensichtlich ziemlich entspannt." Und Carlsen? Das Wichtigste sei erst einmal, "Selbstzerfleischung zu vermeiden", sagte der Weltmeister.
Nach drei von zwölf zu spielenden Partien steht es 1,5:1,5 unentschieden. Die vierte Partie wird Carlsen am Mittwoch mit Weiß eröffnen.
Notation:
Anand - Carlsen (3. WM-Partie)
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.Sc3 Le7 5.Lf4 0-0 6.e3 Sbd7 7.c5 c6 8.Ld3 b6 9.b4 a5 10.a3 La6 11.Lxa6 Txa6 12.b5 cxb5 13.c6 Dc8 14.c7 b4 15.Sb5 a4 16.Tc1 Se4 17.Sg5 Sdf6 18.Sxe4 Sxe4 19.f3 Ta5 20.fxe4 Txb5 21.Dxa4 Ta5 22.Dc6 bxa3 23.exd5 Txd5 24.Dxb6 Dd7 25.0-0 Tc8 26.Tc6 g5 27.Lg3 Lb4 28.Ta1 La5 29.Da6 Lxc7 30.Dc4 e5 31.Lxe5 Txe5 32.dxe5 De7 33.e6 Kf8 34.Tc1 1:0.