Schach und Russland:Pattsituation

Lesezeit: 4 min

Sergej Karjakin, Großmeister und einst WM-Herausforderer, hier am 16. März mit Russland-T-Shirt bei einer Simultanpartie in Krasnogorsk. (Foto: Anton Denisov/SNA/Imago)

Nirgendwo ist Schach so populär wie in Russland, und von keinem Land ist der Schachsport so abhängig. Das Resultat sind vage Distanzierungen zum Kriegsgeschehen in der Ukraine - und ein Weltverbandspräsident, der es sich mit allen Seiten verscherzt.

Von Benjamin Markthaler

Es ist nicht einfach, Pawel Eljanow zu erreichen. Manchmal müsse er eben doch noch seinen "normalen" Verpflichtungen nachgehen, sagt er. Eljanow gibt Schachstunden - obwohl um ihn herum Krieg tobt. Er ist Großmeister, einer der besten ukrainischen Schachspieler, war mal Sechster in der Weltrangliste. Eigentlich sollte er seit Anfang März für den Münchener SC in der Schachbundesliga spielen, stattdessen verharrt der Ukrainer in seinem Heimatland.

"Es gibt fast keinen sicheren Ort mehr in der Ukraine", sagt er am Telefon. Aber zumindest bei ihm zu Hause sei bislang nichts passiert. Direkt nach dem Beginn der russischen Invasion sei er von Lwiw, wo er mit seiner Familie eigentlich wohnt, noch weiter in den Westen des Landes geflohen. Wenige Stunden vor dem Gespräch hatte es Angriffe auf den Flughafen von Lwiw gegeben.

SZ PlusSchach
:Vincent, der Profi

Vincent Keymer ist erst 17 Jahre alt - und bereits Deutschlands bester Schachspieler. Nun steht mit dem Ende der Schulzeit der nächste Schritt an: Er will unter die Top Ten der Welt vorstoßen.

Von Johannes Aumüller

Das Kontrastprogramm dieser Tage in Berlin: 16 Spieler sitzen sich gegenüber. Es ist Stille im Raum, alle konzentrieren sich. Die beiden Bestplatzierten des Grand-Prix-Turniers, das am Montag in Berlin gestartet ist, können sich noch für das im Sommer stattfindende WM-Kandidatenturnier in Madrid qualifizieren. Ein Ukrainer ist nicht am Start, auch Eljanow wäre nicht spielberechtigt gewesen. Dafür treten fünf Russen an. Es gibt viele Diskussionen darüber in der Schachwelt.

Der russische Weltverbandschef distanziert sich vom Krieg - seine Wiederwahl ist dennoch fraglich

Nirgendwo ist Schach so populär wie in Russland, und von keinem Land ist der Schachsport so abhängig. Auch der Präsident des Weltverbands Fide, Arkadi Dworkowitsch, ist Russe. Nach Beginn der Invasion tauchte er erst mal ab - dabei war sein Standpunkt zum Krieg von vielen mit Spannung erwartet worden. Dworkowitsch hatte in der Vergangenheit enge Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin, war von 2008 bis 2012 sogar einer seiner fünf persönlichen Berater. Was hätte der Fide-Chef also zu diesem Angriffskrieg zu sagen?

Die Antwort vergangene Woche: "Kriege sind das Schlimmste, was man im Leben erleben kann, dieser Krieg mit eingeschlossen. Meine Gedanken sind bei der ukrainischen Zivilbevölkerung", sagte Dworkowitsch dem US-Internetportal Mother Jones. Nach langem Überlegen hat er sich offenbar gegen Putin entschieden - und für eine mögliche Fortsetzung seiner Zeit als Fide-Präsident im Sommer. Seine Stellungnahme kommt aber wohl zu spät: In Kürze beraten die europäischen Schach-Föderationen über eine gemeinsame Haltung zu Dworkowitsch. Eine Wiederwahl? Fraglich.

Arkadi Dworkowitsch hat es sich wohl mit beiden Seiten verspielt. Zwar ruderte er einen Tag nach seiner Äußerung zurück und veröffentlichte ein Statement mit Versatzstücken aus der Putin-Rhetorik, das für russische Leser linientreu und für andere möglichst unverfänglich klingen sollte. Aber auch das: zu spät. Die Reaktion von Andrei Turtschak, dem Sekretär des Generalrats der Putin-Partei Einiges Russland, war da bereits klar: Der Fide-Präsident habe sich des "nationalen Verrats" schuldig gemacht.

Verhöhnung von Kriegsopfern: Großmeister Karjakin wird für sechs Monate ausgeschlossen

Auch die Fide als Verband ließ lange auf eine klare Positionierung warten. Zwar wurden kurz nach der Invasion alle russischen Sponsoren gekündigt und der Schach-Kongress, bei dem der neue (oder alte) Fide-Präsident gewählt werden soll, ebenso wie die Schach-Olympiade, aus Russland verlegt. Auch eine Ermittlung gegen Sergej Karjakin wurde bekannt gegeben: Der Großmeister und ehemalige WM-Herausforderer hatte mehrfach Putin und den Krieg verteidigt und Kriegsopfer auf ukrainischer Seite verhöhnt. Am Dienstag gab die Fide schließlich bekannt, dass Karjakin für sechs Monate von allen Wettbewerben ausgeschlossen ist.

Alex Owetschkin
:Zwischen den Welten

Eishockey-Star Alex Owetschkin wird in Russland und den USA gleichermaßen verehrt. Sein Profilbild bei Instagram zeigt ihn weiterhin mit Putin im Kreml. Könnte er das denn überhaupt ändern?

Von Jürgen Schmieder

Wie mit allen anderen russischen Sportlern umgegangen werden soll, blieb lange offen. Erst vergangene Woche teilte der Weltverband mit, dass russische Teams von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen würden. Die individuellen Spieler dürften aber weiterhin unter neutraler Flagge antreten. So auch beim Grand Prix in Berlin.

Der Deutsche Schachbund (DSB) ist Mit-Gastgeber dieses Turniers. Am 28. Februar hatte der Verband erst eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er den Ausschluss aller Russinnen und Russen forderte. Das nahm der DSB allerdings später wieder zurück. "Durch die veränderte Situation hat sich auch unsere Position verändert", sagt Ulrich Krause, der DSB-Präsident. Damit möchte er vor allem die Reaktion vieler Russen berücksichtigen. In einem offenen Brief appellierten 44 der besten Schachspieler Russlands an Putin, den Krieg sofort zu beenden.

Russische Spieler, die den Krieg kritisieren, sollen im Sport nicht auch noch bestraft werden

Die Unterschriften der fünf Russen, die am Grand Prix in Berlin teilnehmen, sind in dem Appell nicht zu finden, was damit entschuldigt wurde, dass sie zum Zeitpunkt der Formulierung am zweiten Turnier des Grand Prix in Belgrad teilgenommen hatten. Es sei technisch nicht möglich gewesen, dass auch sie unterschreiben. Stellungnahmen gegen den Krieg machten drei von ihnen im Anschluss trotzdem öffentlich. Von den anderen beiden hat man in Berlin bislang keine öffentliche Äußerung wahrgenommen.

"Das ist das Mindeste, was man erwarten müsste", sagt Paul Meyer-Dunker, der Präsident des Berliner Schachverbands. Aber obwohl der Grand Prix in Berlin stattfindet, hätte sein Verband nichts zu sagen. "Wir sind da ganz weit weg davon, für die Fide existieren wir gar nicht", sagt Meyer-Dunker. Mehr Gewicht hätte der Deutsche Schachbund. Ulrich Krause tut sich allerdings schwer, so klare Worte zu finden. Es gehe auch darum, nicht diejenigen zu bestrafen, die sich gegen den Krieg äußerten, schließlich "könnten sie Vorbild sein für weitere Persönlichkeiten in Russland, sich ähnlich kritisch zu äußern", fügt Krause hinzu.

Entscheidungen, die nicht allen gefallen. In einem offenen Brief forderten 28 Großmeister aus der Ukraine den vollständigen Ausschluss Russlands - und den Rücktritt Dworkowitschs. Auch der ukrainische Schachverband fordert das. Eljanow schloss sich dem Brief nicht an: "Ich finde die Standpunkte von ECU und Fide sehr ausgewogen. In anderen Sportarten dürfen Russen ja auch noch spielen", begründet er die Entscheidung. Die ECU, die Europäische Schachvereinigung, hatte schon früher den Ausschluss aller Russen bekannt gegeben, auch für die Europameisterschaft, die am Sonntag startet. Das Mittelmaß zwischen Fide und ECU gefällt dem Ukrainer Eljanow. Grundsätzlich tue aber auch er sich schwer mit der Frage, welche Sanktionen die besten wären. Er kenne einige Russen, die sich schon öffentlich gegen Putin positioniert hatten. "Das ist nicht wirklich sicher in Russland, deshalb finde ich das sehr mutig", sagt Eljanow.

Wie es für ihn persönlich weitergeht, weiß der Großmeister noch nicht. Sehr gerne würde er an der EM in Slowenien teilnehmen. Gerade werde mit den Ämtern in der Ukraine geklärt, ob er eine Ausreisegenehmigung bekäme. Wenn nicht, wären elektronische Schachbretter eine Möglichkeit. Vier e-Bretter werden derzeit nach Lwiw geschickt. Eljanow ist allerdings skeptisch, ob das noch rechtzeitig gelingt. Für die Schachbundesliga sieht er das aber als eine gute Idee. Er plant trotzdem, demnächst nach München zu seinem neuen Verein zu reisen. Sobald es geht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSchach-WM in der Videoanalyse
:Carlsens weltmeisterliches Turm-Endspiel

Auch in der elften Partie siegt Magnus Carlsen und verteidigt damit seinen Titel als bester Schachspieler der Welt. Wie ihm das gelang und warum bei dieser WM auch die mentale Stärke des Norwegers entscheidend war.

Erklärt von Großmeister Stefan Kindermann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: