Wenn im Rugby die Regeln geändert werden, sind Menschenrechtler und Aktivisten normalerweise nicht alarmiert. Beim Treffen des World Rugby Councils im November geht es aber nicht um neue Punkte- oder Foulregelungen, sondern um Inklusion, Diskriminierung und Fairness. Denn der Rugby-Weltverband erwägt, Transgender-Athletinnen die Teilnahme zu verbieten. World Rugby wäre damit der erste internationale Sportverband, der einen solchen Ausschluss vornimmt. Und je nachdem, wen man fragt, wäre das ein mutiger Schritt, der die Fairness im Frauensport bewahrt - oder eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung, die gegen die Werte des Sports verstößt.
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Der Wasserspringer und Olympia-Medaillengewinner weiß, wie man elegant durch die Luft fliegt. Er spricht über Mut, Angebersprünge - und was nach einem Bauchklatscher hilft.
Transgender-Athletinnen geraten durch ihre Leistungen immer häufiger in den Fokus der Öffentlichkeit. Die neuseeländische Gewichtheberin Laurel Hubbard könnte sich für die Olympischen Spiele 2021 in Tokio qualifizieren, die Kanadierin Rachel McKinnon wurde im vergangenen Jahr Bahnrad-Weltmeisterin in der Gruppe der 35- bis 39-Jährigen. Im US-Bundesstaat Connecticut gehören Terry Miller und Andraya Yearwood zu den schnellsten Schülerinnen.
Erfolgreiche Transgender-Athletinnen bringen die binäre Sportwelt zunehmend in Verlegenheit. In kaum einem gesellschaftlichen Bereich wird so strikt zwischen den Geschlechtern getrennt wie im Sport. Wie geht also ein System, das eindeutig zwischen Mann und Frau unterscheiden möchte, mit Trans- und Intergeschlechtlichkeit um? Sportverbände auf der ganzen Welt sehen sich mit neuen, zukunftsweisenden Fragen konfrontiert. World Rugby versucht sich an einer Antwort und stößt damit weltweit auf Kritik und Unverständnis. Auch der Deutsche Rugby Verband (DRV) wehrt sich.
Im Februar traf sich die von World Rugby ins Leben gerufene "Transgender Working Group". Wissenschaftler und Anwälte nahmen daran teil, ebenso wie Vertreter von Frauenrechts- und LGBTI-Gruppen. In einem 38-seitigen Dokument, das der britischen Zeitung The Guardian vorliegt, sprach sich die Arbeitsgruppe für einen Ausschluss von Transgender-Athletinnen aus.
Grund dafür sind Bedenken, die Sicherheit der Spielerinnen nicht mehr gewährleisten zu können. Das Verletzungsrisiko sei "mindestens 20-30 Prozent" größer, wenn eine Spielerin von einer Transfrau getackelt wird, die die männliche Pubertät durchlaufen hat. Auch nach einer Hormontherapie haben Transgender-Athletinnen laut dem Dokument noch "signifikante" körperliche Vorteile und seien "25 - 50 Prozent stärker, 30 Prozent kraftvoller, 40 Prozent schwerer und etwa 15 Prozent schneller".
Die Arbeitsgruppe beruft sich dabei auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach durch die geschlechtsangleichende Hormonbehandlung weniger Muskelmasse verloren geht als zuvor angenommen. Die Studienlage ist allerdings vertrackt, was Entscheidungen bei einem ohnehin schon hochemotionalen Thema zusätzlich erschwert. Transgender-Athletinnen waren bislang kaum Forschungsgegenstand, daher wurden Ergebnisse aus Studien mit Transfrauen auf Transgender-Athletinnen übertragen. Viele Fragen bleiben dabei offen. "Wir wissen es einfach nicht!", stand auf der vorletzten Folie der Präsentation des Sportwissenschaftler Tommy Lundberg, die er beim Treffen der Arbeitsgruppe im Februar hielt.
Weil es noch Forschungslücken gibt, tun sich Sportverbände schwer damit, eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) implementierte 2004 die ersten globalen Richtlinien für trans- und intergeschlechtliche Athletinnen und Athleten. 2015 wurden diese angepasst, ein chirurgischer Eingriff ist seitdem nicht mehr nötig. Dafür müssen Transgender-Sportlerinnen in nahezu allen Sportarten einen über Monate hinweg niedrigen Testosteronspiegel von weniger als 10 nmol/l, teilweise auch 5 nmol/l nachweisen, um an Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen.
Aber selbst diese Grenzwerte sind umstritten, da Frauen in der Regel deutlich weniger Testosteron im Blut haben. Für Transgender-Männer gibt es dagegen vom IOC ausdrücklich keine Auflagen. World Rugby würde Transgender-Spieler wohl ebenfalls uneingeschränkt am Rugbysport teilnehmen lassen. Laut Guardian müssten sie sich lediglich einer körperlichen Untersuchung unterziehen und eine Einverständniserklärung unterschreiben.
Was Nicola Williams, Leiterin der Frauenrechtsgruppe "Fair Play for Women", als "bahnbrechend" bezeichnet, ist für Caroline Layt ein "Schritt zurück". Die Australierin begann im Alter von vier Jahren mit dem Rugbysport und spielte in ihrer Karriere sowohl gegen Männer als auch gegen Frauen. Der wissenschaftliche Befund, dass Transgender-Athletinnen ein Sicherheitsrisiko darstellen, habe nichts mit der Realität auf dem Spielfeld zu tun, so Layt. "Ich habe nie jemanden verletzt", sagt sie bei einem Videotelefonat.
"Ich glaube nicht, dass ich für die anderen Frauen eine größere Bedrohung dargestellt habe als sie für mich. Wir waren einfach nur Frauen, die Rugby gespielt haben." Inzwischen ist sie zurückgetreten und arbeitet als Journalistin in Sydney. Die Diskussion um einen möglichen Ausschluss von Transgender-Spielerinnen erlebte sie schon als aktive Spielerin mit. 2005 wurde erfolglos probiert, sie vom Sport fernzuhalten. "Ich denke mir einfach: Nicht schon wieder. 15 Jahre später und es gibt immer noch diese Vorurteile und Diskriminierung."
Am Vorgehen von World Rugby kritisiert Layt besonders, dass in der Arbeitsgruppe zwar viele Wissenschaftler, aber keine Transgender-Rugby-Spielerinnen vertreten waren. Mit der Wissenschaftlerin Joanna Harper war zwar eine Transfrau anwesend, Rugby spielte sie aber nie. "Es wäre schön gewesen, dort eine Transgender-Rugby-Spielerin dabei gehabt zu haben, aber ich bezweifle, dass es einen Unterschied gemacht hätte", sagte Harper dem Sportnachrichten-Portal Outsport. "Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie sich schon entschieden hatten, bevor das Treffen überhaupt einberufen wurde", sagt sie mit Blick auf den Rugby-Weltverband.
Rugby-Klubs, Spielerinnen und Spieler aus der ganzen Welt haben sich mittlerweile gegen den Ausschluss von Transfrauen ausgesprochen. Anne-Marie Kortas, Vertreterin der Deutschen Rugby-Frauen beim DRV, positioniert sich ebenfalls eindeutig. "Wir als Verband lehnen das Verbot ab und finden, dass es keinen pauschalen Ausschluss von Transgender-Frauen im Rugbysport geben darf", sagt sie am Telefon. Der Verband plane bereits, sich an World Rugby zu wenden. "Es ist einfach wichtig, zu zeigen, für was man steht und was dieser Sport für uns bedeutet."
Für Kortas kam der Vorschlag der Arbeitsgruppe überraschend, vor allem, da sich Rugby eigentlich als inklusive Sportart präsentiert. Das Spiel sei "for all shapes and sizes", so steht es sogar auf der Website des Weltverbands. "Aber das gilt dann halt auf einmal nicht mehr für Transgender-Frauen", sagt Kortas. In Deutschland sei die ganze Debatte ohnehin eine "Phantomdiskussion". Transgender-Spielerinnen mit offiziellem Spielerpass sind ihr nicht bekannt. Unabhängig davon ist für sie aber klar: "Ein Mannschaftssport, der davon lebt, dass wir unterschiedliche Körpergrößen und Stärken haben, der kann nicht anfangen, einen bestimmten Teil auszuschließen."