Rheinisches Derby:Sportliche und medizinische Pointen

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Viele Menschen, wenige Schutzmasken: Gladbacher Fans in Köln. (Foto: Nordphoto / Meuter/Imago)

Die Stadt Köln erlaubt dem FC trotz hoher Inzidenz-Werte ein Derby vor vollem Haus. Es folgt ein spektakuläres 4:1, bei dem Gladbach zwei Leckerchen in den vorweihnachtlichen Präsentkorb legt.

Von Milan Pavlovic, Köln

Schlechte Erinnerungen sind Gift für die Psyche der meisten Menschen - auch und gerade bei Sportlern. Für den 1. FC Köln war das Aufeinandertreffen mit Borussia Mönchengladbach im März 2020 von bleibender Bedeutung: Es war das erste Geisterspiel der Corona-Zeit (sieht man einmal von der Tausendschaft unbelehrbarer Gladbacher ab, die vor einem geschlossenen Tor außerhalb des Stadions wie ein gigantischer Fanknäuel ausharrte und sang). Gladbach gewann nahe Heinsberg 2:1, eine stolze Erfolgsserie des ewigen rheinischen Rivalen wurde gestoppt, und Köln blieb nach dem Ende des Lockdowns, der zwei Tage nach dem Derby in Kraft trat, 17 Liga-Spiele in Serie ohne Erfolgserlebnis.

Viele Kölner werden es deshalb als großes Glück betrachten, was am Wochenende in Müngersdorf geschah: Der FC gewann ein wildes, mitreißendes Derby mit 4:1 (0:0). Erstmals seit 1996 gelangen dem FC vier Tore gegen Gladbach. Und während landesweit die Zuschauerzahlen reduziert wurden, durfte Köln noch einmal mit voller Kapazität empfangen. Dementsprechend wurde ausgiebig gefeiert, geschunkelt und gebützt, ein unvergessliches Erlebnis fürwahr.

Ob an diesem Nachmittag neben Fußbällen auch die Vernunft mit Füßen getreten wurde, steht auf einem ganz anderen Papier.

Wie schon am 11.11. leistet sich die Stadt Köln eine Ausnahmeregel

Auf jenem waren bereits Beobachtungen zum 11.11. festgehalten worden, als Köln Karneval feierte, als gäbe es keine Pandemie oder kein Morgen. Seitdem stiegen die Inzidenzwerte in ungekannte Dimensionen, dennoch ließ es das Gesundheitsamt der Stadt zu, dass das Stadion voll besetzt wurde. Auf der Basis von Zahlen und Statistiken, die erstaunen. "Im Nachgang der Spiele", wusste der Kölner Stadt-Anzeiger zu berichten, seien insgesamt gerade mal "zehn Personen positiv getestet" - wohlgemerkt keine von ihnen habe sich bei einem Bundesligaspiel in Köln angesteckt.

Ob das auch diesmal so sein wird? Wohin man auch guckte an diesem Samstag, saßen Besucher eng an eng - die späte Ankündigung, wonach Maskenpflicht auch am Platz gelte, wurde von einem Großteil der Zuschauer nicht verstanden oder einfach nicht umgesetzt. Man muss nicht Karl Lauterbach heißen, um das grenzwertig zu finden. Es passte perfekt, dass der gesundheitspolitische Sprecher der CDU in NRW, Peter Preuß, dann auch noch im Deutschlandfunk sagte, mit dem Wissen vom Samstagvormittag wäre die Genehmigung nicht mehr erteilt worden. Da war die Virusvariante Omikron in Frankfurt gelandet.

Da staunen Dejan Ljubicic (links) und der stark aufspielende Salih Özcan (rechts): Ondrej Duda, Torschütze zum 3:1, legt eine kleine Breakdance-Einlage hin. (Foto: Marius Becker/dpa)

Wahrscheinlich wird dieses Duell mit Gladbach für eine gewisse Zeit das letzte mit vollbesetzten Rängen gewesen sein, die Zahl der Zuschauer dürfte drastisch limitiert werden. "Ich glaube nicht, dass das passieren wird", sagte Steffen Baumgart trotzdem. Der Fußball habe "sehr gute Konzepte" gegen die Corona-Krise - aber wahrscheinlich ist der neue FC-Trainer da zu optimistisch. Er fährt zum Stadion ja auch nicht mit der Bahn, in der es noch enger zugeht als später auf der Tribüne.

Als Coach liefert Baumgart weiter Beeindruckendes. Wie er den 1. FC Köln in wenigen Monaten so umgekrempelt hat, dass der Verein regelmäßig Spektakel abliefert, lässt einen staunen. Am Samstag ging nicht bloß sein Plan auf, die feinfüßigen Gladbacher in jeder Zone des Platzes zu belästigen, am allerliebsten direkt am Strafraum der Borussia. Kölns Spieler wirken mental gefestigt, selbst die verletzungsbedingte Auswechslung von Kapitän Jonas Hector schockierte das Team keineswegs. Im Gegenteil: Kurz danach gelang Dejan Ljubicic nach einer feinen Kombination über den linken Flügel das 1:0 (55.).

Gladbach trifft zweimal den Pfosten, Köln auch - aber beim FC landen die Bälle auch im Tor

Kurioserweise begann danach Gladbachs beste Phase. Zweimal rettete Kölns Ersatz-Torwart Marvin Schwäbe, einmal der Pfosten (gegen Pléa, 62.). Als Patrick Hermann zum 1:1 traf (74.), "schien die Partie zu kippen", wie Baumgart und Gästetrainer Adi Hütter unisono fanden. Doch auch jetzt verhöhnte der Spielverlauf alle Erwartungen. Das hatte mit den gewagten offensiven Wechseln zu tun, die Baumgart noch vor dem Ausgleich vorgenommen hatte - und mit Blackouts bei den Borussen.

Denn die Kölner bekamen von ihrem Angstgegner umgehend gleich zwei Geschenke: Zunächst spielte der eingewechselte Florian Neuhaus einen grotesken Fehlpass, den sich der eingewechselte Mark Uth angelte. Dessen Flachschuss trudelte vom Pfosten zum 2:1 ins Netz (77.). Nicht einmal 90 Sekunden später legte Gladbachs Innenverteidiger Nico Elvedi ein weiteres Leckerchen in den vorweihnachtlichen Präsentkorb: Er stoppte den Ball am Fünfmeterraum ungewollt für Ondrej Duda, eine Chance, die sich der Slowake nicht entgehen ließ - mit herzlicher Unterstützung von Gladbachs Keeper Yann Sommer, der den nicht allzu harten Schuss unter seinem Körper durchflutschen ließ.

Hut ab: Trainer Steffen Baumgart wird in der Südkurve gefeiert. (Foto: Moritz Müller/Imago)

Und weil eine passende sportliche Pointe fehlte, zeigte der FC ein letztes Mal, wie Aluminiumtreffer zu Toren führen können: Sebastian Andersson, eingewechselt natürlich auch er, setzte eine butterweiche Flanke des eingewechselten Louis Schaub mit einem artistischen Kopfball an die Latte, von wo der Ball auf die Linie und dann ins Tor titschte (90.+3). Nach dem Schlusspfiff wurde Baumgart aufgefordert, in die Südkurve zu kommen, die Fans wollten ihn feiern. Der Rostocker zog vor den Anhängern seine Kappe, auch das eine Überraschung, weil man geglaubt hatte, sie sei inzwischen mit seinem Kopf verwachsen.

"Ein 4:1 war das nicht", sagte Baumgart später, um klarzumachen, wie knapp das Spiel lange war. Er hatte Recht. Und lag dennoch daneben an dem Tag, an dem Köln eine keinesfalls lustige medizinische Pointe provozierte.

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