Hamburger Derby im Springreiten:Hoch hinaus

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Marvin Jüngel genoss seinen schillernden Auftritt beim Derby in Hamburg - dabei hatte er auch etwas Glück bei seinem Ritt. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Der 21-Jährige Springreiter Marvin Jüngel stellt mit dem Derbysieg in Hamburg sein Talent unter Beweis.

Von Gabriele Pochhammer

So was muss man einfach genießen: quer über die Brust das blaue Band, der Lorbeerkranz um dem Hals des Pferdes, 25 000 Hamburger auf vollgepackten Tribünen als jubelnde Kulisse - der 21-jährige Marvin Jüngel konnte nicht genug kriegen bei seinem ersten Auftritt auf ganz großer Bühne. Fünf Ehrenrunden gönnte er sich nach seinem Sieg im Hamburger Springderby vor der gleichaltrigen Dänin Caroline Rehoff-Pedersen - und er war überzeugt, die 14-jährige Balou's Erbin hätte gerne noch zehn Runden draufgelegt, so frisch habe sie sich angefühlt.

Die Fuchsstute sprang bis zuletzt kraftvoll und motiviert. Nach Überwinden des letzten der 17 Hindernisse, einer roten Backsteinmauer (aus Holz), drehte Jüngel sich nochmal um, als wollte er ganz sicher gehen. Es hatte laut geklappert, die Mauer zitterte und ein Stein schob sich raus, entschloss sich aber doch, liegen zu bleiben. Dort blieb er als Beweis: Ein bisschen Glück gehört auch dazu.

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So war Jüngels Sieg vor der Dänin auf dem Holsteiner Hengst Calvin, gesichert, sie hatte im Stechen einen Zeitfehler kassiert. Nur diese beiden waren im Normalparcours ohne Abwurf geblieben, Nullfehlerritte Nummer 160 und 161 in 123 Jahren, wie die Statistik vermerkt. Zu dem Zeitpunkt war Sonja Jüngel, Marvins Mutter und die Besitzerin von Balou's Erbin, kurzfristig von der Bildfläche verschwunden. "Sie hat sich zurückgezogen und versucht wohl, das alles zu realisieren", sagt ihr Sohn, "Morgen ist Muttis Geburtstag und ich denke, wir werden schön reinfeiern."

Ein Träumer scheint er nicht zu sein, er hat ja schon einen eigenen Betrieb

Jetzt steht Jüngel in der Derbychronik neben den ganz Großen des Springsports. Selbst wenn ein Derbysieg heute nicht mehr automatisch die Eintrittspforte für eine internationale Karriere ist, so haben doch fast alle Topreiter versucht, einmal das Blaue Band zu gewinnen. Vielen ist es gelungen, dem Brasilianer Nelson Pessoa gleich siebenmal, dem dreifachen Europameister und heutigen Luxuspferdehändler Paul Schockemöhle nie. Nur dessen Bruder Alwin war bei seinem ersten Derbysieg 1957 mit Bachus als 19-Jähriger noch jünger als nun der aktuelle Gewinner. Fast 20 Jahre später war er Olympiasieger, ein passendes Fernziel für Marvin Jüngel.

Ob der sich Olympiaträumen hingibt, sei dahingestellt. Sein Lebensweg deutet eher auf Vernunft und Pragmatismus hin. Die Eltern besaßen in Kramenz in Sachsen einen Stall mit ein paar Pferden, der Sohn hatte Spaß am Reiten und so stellten sie ihn Philipp Schober vor, nicht nur in Sachsen als erfolgreicher Springreiter und Trainer bekannt. Er erinnert sich gut an den schmächtigen Elfjährigen. "Er war ganz klein, aber ich hab' schon beim ersten Mal gesehen, dass er Talent hat", sagt Schober einen Tag nach dem Triumph in Hamburg.

Noch heute berät sich Jüngel hin und wieder mit seinem einstigen Mentor. Nach der Schule absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Bürokaufmann ("ich dachte, das ist ja auch für das Pferdegeschäft ganz wichtig"), gleich danach machte er sich mit einem eigenen Betrieb selbstständig. Er bildet Springpferde aller Altersklassen aus, gibt Reitunterricht, kauft und verkauft Pferde. Jetzt soll die Reitanlage vergrößert werden, mehr Boxen, mehr Pferde, mehr Kunden - es läuft.

Nicht wirklich überrascht war Bundestrainer Otto Becker vom Erfolg des jungen Mannes. "Wir haben den schon lange auf dem Schirm", versichert er. Jüngel steht für das System, junge Reiter systematisch an größere Aufgaben heranzuführen, ist auch für die U25-Tour beim CHIO Aachen Ende Juni qualifiziert. Und er kann schon bald auf einen Einsatz in Nationenpreisen hoffen. In Bratislava in 14 Tagen ist er zum ersten Mal dabei, diesmal noch als Reservist. Aber das muss ja nicht so bleiben.

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