Regionalliga:Gegner von der Spielekonsole

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95 Zuschauer mit personalisierten Sitzplatztickets: Beim Testspiel von Regionalligist Viktoria Aschaffenburg beim FSV Frankfurt durften sogar wieder Fans ins Stadion am Bornheimer Hang. (Foto: Jürgen Kessler/imago)

Als erster bayerischer Amateurverein spielt der SV Heimstetten wieder.

Von Christian Bernhard

Moritz Hannemanns Schnaufen war zu vernehmen, aber es hielt sich in Grenzen und hinderte ihn nicht daran, während seiner regenerativen Laufeinheit telefonisch über das "Unbeschreibliche und Surreale" Auskunft zu geben, das er am Tag zuvor erlebt hatte. Der Offensivspieler des SV Heimstetten und seine Mitspieler sind in der vergangenen Woche in einen besonderen Premieren-Genuss gekommen. Der Regionalligist bestritt als erster bayerischer Amateurverein seit der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Aussetzung des Spielbetriebs eine Partie - und das auch noch gegen Olympique Marseille. Der französische Meisterschaftszweite absolvierte ein Trainingslager in Grassau am Chiemsee und war bei der Suche nach Testspielgegnern auf die Heimstettener gestoßen.

Dass die Partie stattfinden konnte, war allerdings keine Selbstverständlichkeit. Die Anfrage für das Testspiel war schon vor Wochen über eine Agentur beim SVH eingegangen, "aber wir konnten nicht davon ausgehen, dass wir spielen dürfen", sagte Trainer Christoph Schmitt. Die Austragung war lang in der Schwebe, da nicht nur eine Sondergenehmigung vom Bayerischen Fußball-Verband (BFV) eingeholt werden, sondern auch die Bayerische Staatsregierung grünes Licht geben musste. Erst am Mittag des Spieltages und damit nur wenige Stunden vor dem Anpfiff erfuhr der Regionalligist, dass er tatsächlich in Grassau antreten dürfe. Alle mittelbar und unmittelbar Beteiligten mussten auf das Coronavirus getestet werden, die Testungen, die allesamt negativ ausfielen, erfolgten auf eigene Kosten.

Der Regionalligist, der erst drei Trainingseinheiten in den Beinen hatte, gab speziell in der ersten Hälfte eine gute Figur ab und ging dank Ensar Skrijelj sogar in Führung. Am Ende musste er sich aber doch mit 1:6 geschlagen geben. "So lange die Kräfte reichten, haben wir es ganz gut gemacht", sagte Schmitt, "vor der Pause waren wir kompakt und sind sehr gut gestanden." Ein Erlebnis war es allemal: Was die Qualität des Gegners betrifft, "war das für jeden von uns das Highlight bisher", betonte Hannemann. Der 22-Jährige spielte vor zwei Jahren noch in der Bayernliga - und stand nun zusammen mit Weltmeister Dimitri Payet auf dem Platz und hatte den langjährigen niederländischen Nationalspieler Kevin Strootman als direkten Gegenspieler. "Den kannte ich bisher nur von der Spielkonsole." Auf dem Platz ging es trotz des Klassenunterschieds ordentlich zur Sache. Hannemann sprach von einer "hitzigen ersten Halbzeit", in der es einige Reibereien und Wortgefechte gab. "Das hat uns das Gefühl gegeben, dass sie uns ernst genommen haben." Als es - auch aufgrund der Heimstettener Führung - besonders angespannt war, verordnete der Schiedsrichter eine Trinkpause.

Speziell war für den SVH auch das ganze Drumherum. Alleine beim Aufwärmen standen 15 Marseille-Offizielle am Platz, "da haben wir alle große Augen gemacht", sagte Schmitt, der natürlich auch einen Blick auf seinen renommierten Trainerkollegen Andre Villas Boas hatte. Der Portugiese, der 2011 für die Trainer-Rekord-Ablösesumme von 15 Millionen Euro von Porto zu Chelsea gewechselt war, sei sehr angenehm im Gespräch vor und nach der Partie gewesen. Die Heimstettener bekamen auch die hohen Ansprüche eines solchen Vereins mit. Obwohl die Anlage in Grassau in einem sehr guten Zustand war, war den Franzosen der Rasen auf ihrem Aufwärmplatz zu hoch - und sie wechselten kurzfristig auf einen anderen. "Der andere war halt noch einen Tick besser", erzählte Schmitt schmunzelnd. Die Heimstettener waren auch eine Art Testpilot für den FC Bayern, der am kommenden Freitag ebenfalls gegen Marseille testet. Die Partie, die zur Vorbereitung auf das Champions League-Achtelfinal-Rückspiel gegen den FC Chelsea (8. August) dient, findet ohne Zuschauer am FC Bayern Campus statt.

Kurz nach den Heimstettenern durfte auch Regionalliga-Rivale Viktoria Aschaffenburg erstmals testen - und das sogar vor Zuschauern. Die Unterfranken gastierten am Samstag beim FSV Frankfurt, der aufgrund der Corona-Bestimmungen in Hessen 95 Zuschauer mit personalisierten Sitzplatztickets ins Stadion am Bornheimer Hang lassen durfte. Auf dem Stadiongelände bestand für Spieler, Betreuer, Mitarbeiter und Zuschauer Maskenpflicht, erst am Sitzplatz angekommen durften die Zuschauer die Maske abnehmen. Alle Sitzplätze hatten den nötigen Abstand von 1,5 Metern zum nächsten Besucher, Personen aus denselben Haushalten mussten diesen auch einhalten. Der FSV testete damit sein für den Spielbetrieb erarbeitetes Hygiene- und Zuschauerkonzept. Viktoria verlor gegen das Team aus der Regionalliga Südwest mit 0:1. Weitere Testpartien dürften bald folgen: Laut BFV gibt es "positive Signale", dass alle bayerischen Klubs "bald wieder" Test- und Freundschaftsspiele durchführen können.

"Endlich wieder mal ein Spiel", sagte Viktoria-Trainer Jochen Seitz. Für seine Mannschaft sei es darum gegangen, "wieder ein Gefühl zu bekommen, auf dem Feld zu stehen und in die Abläufe reinzukommen", betonte er. Und Christoph Schmitt bekam gegen Marseille ein Gespür dafür, wer in der langen Corona-Pause körperlich fleißig und wer weniger an sich gearbeitet hatten. Schmitt nahm durchaus Unterschiede wahr, auf diejenigen mit Nachholbedarf warte nun ein "ich nenne es mal Zusatzprogramm", sagte der Trainer grinsend.

© SZ vom 27.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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