Real Madrid:Königliche Platzpatronen

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Im Dauertief: Toni Kroos (links) patzte bei Reals 0:1 in Moskau. (Foto: Tatyana Makeyeva/Reuters)

Nach einem Fehler von Toni Kroos unterliegt Real Madrid bei ZSKA Moskau 0:1 - und stellt fest, dass der Ronaldo wohl nicht zu ersetzen ist.

Von Javier Cáceres, Moskau/Berlin

Wenn es etwas gibt, was Toni Kroos demnächst gerne aus seinem Terminkalender streichen würde, dann sind es wohl Russland-Expeditionen. Vor ein paar Monaten schied er dort mit der deutschen Nationalmannschaft als Titelverteidiger bei der WM aus. Er erzielte zwar ein famoses Tor zum 2:1 gegen Schweden im vorletzten Gruppenspiel, mit dem er der DFB-Elf eine schließlich auf den Müll geworfene Chance aufs Achtelfinale gewahrt hatte. Aber in diesem Spiel hatte er vor dem 0:1 auch einen kapitalen Fehlpass gespielt - und an den erinnerte Kroos nun auch am Dienstagabend.

Im Champions-League-Duell mit Real Madrid bei ZSKA Moskau sorgte Kroos, als nicht mal zwei Minuten gespielt waren, mit einem Rückpass auf Raphael Varane für ein Gegentor, dem der Titelverteidiger inklusive Nachspielzeit fast 100 Minuten lang vergeblich hinterher rannte. ZSKA siegte 1:0 durch das Tor des kroatischen Stürmers Nikola Vlasic, dem kleinen Bruder der Weltklasse-Hochsprignerin Blanka Vlasic. Er stieß den spanischen Rekordmeister damit endgültig in die Krise.

Die Zahlen sind ernüchternd: Real rennt wettbewerbsübergreifend seit drei Spielen einem Sieg hinterher. Dem 0:3 beim FC Sevilla folgte ein Remis im Stadtderby gegen Atlético Madrid (0:0), und nun also die Pleite im Luschniki-Stadion von Moskau. Aus den ersten zehn Pflichtspielen hat Real Madrid nur fünf Siege geholt, die schlechteste Bilanz seit 17 Jahren. Vor allem aber hat Real erstmals seit 2007 in drei aufeinanderfolgenden Spielen nicht getroffen - was darauf hindeutet, dass der Verlust von Cristiano Ronaldo, der 450 Tore in 438 Spielen geschossen hatte und nun bei Juventus Turin agiert, schwerer wiegt als gedacht. In Madrid war man davon überzeugt, Ronaldos Weggang kompensieren zu können.

An Chancen mangelte es den Madrilenen in Moskau nicht, sie klagten nach 19 Torschüssen nachvollziehbar auch über Pech. Im WM-Finalstadion trafen sie drei Mal das Aluminium. "Wir haben im Moment ein kleines Problem", sagte Kroos. Real konnte immerhin diverse mildernde Umstände ins Feld führen: Kapitän Sergio Ramos wurde wegen Beschwerden an den Kniesehnen geschont; Weltfußballer Luka Modric saß, weil angeschlagen, zunächst auf der Bank; Marcelo, Isco und Gareth Bale waren wie Ramos wegen Verletzungen gar nicht erst mitgereist. Doch am Ende verfestigten sich zwei Eindrücke: Erstens, dass Real ohne Ronaldo, den Torschützenkönig der vergangenen sechs Champions-League-Jahre, nur noch "ein Panzerkreuzer mit Platzpatronen" ist, wie die Zeitung Marca ätzte. Torwart Keylor Navas gestand verblüffend unverblümt ein: "Ronaldo hat die Messlatte sehr hoch gelegt, man kann die Sonne nicht mit dem Finger verdecken." Und zweitens, dass auf den im Sommer verpflichteten Trainer Julen Lopetegui, der wenige Tage vor Beginn der WM in Russland als spanischer Nationalcoach geschasst worden war, jetzt ein turbulenter Herbst wartet.

Längst kursieren Vergleiche mit Rafael Benítez, der 2015/16 für kaum mehr als ein halbes Jahr amtieren durfte. Er wurde von Zinédine Zidane abgelöst, der in zweieinhalb Jahren danach ein erdrückendes Erbe auftürmte: Der Franzose holte drei Champions-League-Titel in Serie, die Lopetegui vorgezählt werden. Allmählich gehen dem Basken schon die Antworten aus: "Wir müssen jetzt die Galle runterschlucken", sagte der Coach, "der Fußball hat uns heute etwas genommen, doch es wird der Tag kommen, an dem er es uns wiedergibt." Der Auftritt Real Madrids wirft allerdings Fragen auf, die daran zweifeln lassen.

Denn: Der spanische Rekordmeister versuchte, den "Unfall", den Toni Kroos zu Beginn der Partie fabriziert hatte, "mit Medikamenten für Arme" zu heilen, wie der frühere argentinische Weltmeister Jorge Valdano sagte. Statt der qualitativen Überlegenheit durch assoziatives Spiel, Doppelpässe oder sonstige Genialitäten zur Geltung zu verhelfen und also "Medizin für Reiche anzuwenden" (Valdano), versuchte sich Real am Brechstangenspiel.

Die Statistiker zählten 32 Hereingaben, die von der ZSKA-Abwehr sowie dem unmittelbar vor Spielende wegen Meckerns vom Platz gestellten Torwart Igor Akinfejew neutralisiert wurden. In den Fokus gerät zunehmend auch Mittelstürmer Karim Benzema. Zu Beginn der Saison schien sich der Franzose in einen Killer verwandelt zu haben (fünf Tore in vier Spielen), nun ist er seit sechs Partien ohne Tor und spürt den Atem von Mariano im Nacken. Der hat Ronaldos Trikot mit der "7" geerbt und eine bessere Torquote als Benzema. Ob das Real-Eigengewächs, das im Sommer aus Lyon zurückbeordert wurde, am Samstag bei Deportivo Alavés, dem Tabellensechsten der spanischen Liga, in der Startelf stehen wird, ist offen: "Ich vertraue auf Benzema", sagte der ausgesprochen blass wirkende Lopetegui, dessen Kredit nur durch einen Sieg aufgefrischt werden kann.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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