Rassismus im Fußball:Palaver statt Sanktionen

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Yaya Touré (r.): Im Zweikampf mit Wassili Beresuzki von ZSKA Moskau (Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)

Yaya Touré, der in Moskau rassistisch beleidigt wurde, bringt einen Boykott der WM 2018 ins Gespräch - und wird so zum Ärgernis für die Fifa. Doch anstatt das Kernproblem zu bekämpfen, bindet der Weltverband betroffene Profis lieber medienwirksam in PR-Maßnahmen ein.

Von Thomas Kistner

Es war mal wieder "ein gutes Gespräch", am Sonntag an der Londoner Stamford Bridge, und natürlich hat der Betroffene, Yaya Touré, eingewilligt, die Anti-Rassismus-Kampagne des Gesprächspartners Jeffrey Webb "in jeder Hinsicht" zu unterstützen. So ähnlich war es auch im März abgelaufen, als Kevin-Prince Boateng bei Fifa-Chef Sepp Blatter reinschauen durfte: Ein warmer Händedruck beendete die Aufregung über ein rassistisches Geifern im Stadion, das den Deutsch-Ghanaer sogar aus Italien nach Deutschland vertrieben hatte. "Akkreditierte Medienvertreter sind eingeladen, die Ankunft und Begrüßung von Kevin-Prince Boateng um 11:30 Uhr zu fotografieren oder zu filmen", hatte die Fifa besagte PR-Nummer im Frühjahr angekündigt.

Am Sonntag also musste Yaya Touré beschwichtigt werden. Der Ivorer hatte vergangene Woche rassistische Attacken der Fans von ZSKA Moskau beim Champions-League-Gastspiel mit Manchester City angeprangert - und Schlimmes angedroht: einen Boykott der WM 2018 in Russland durch afrikanische Profis. Flott nahmen die Spielergewerkschaft FifPro und das Netzwerk Fußball gegen Rassismus in Europa (Fare) die Idee auf, Fare-Sprecher Piara Powar gab Touré "absolut recht" und hielt Brisantes fest: Die Profis seien die "einflussreichste Kraft im Fußball, und wenn alle Spieler sagen, sie kommen nicht, dann gäbe es keine WM".

Stimmt. Und damit war höchste Gefahr im Verzug. Der Fifa blüht ja neben dem Problemkreis rund um ihre Backofen-WM 2022 in Katar auch die Großbaustelle Brasilien: Im WM-Land von 2014 geht die Justiz inzwischen massiv gegen Interessen des als Kolonialmacht verrufenen Weltverbandes vor. Käme Russland dazu, wäre die Fifa endgültig von WM-Brennpunkten eingekesselt. Zudem könnte die Sache mit dem Rassismus das fromme Unterhaltungsgewerbe von innen zerfressen und ist insofern eine ernste Bedrohung des Geschäfts.

Also bieten die Funktionäre rassistisch geschmähten Spitzenspielern eine Gesprächstherapie an. Und offenbar funktioniert dieses Marketing-Konzept des Weltfußballs gegen eine Plage, die längst in der Branche wütet, besonders in Osteuropa - die aber für das Milliardenbusiness nur dann problematisch wird, wenn sie die großen Bühnen erreicht: Wenn rassistische Parolen also bei Länderspielen, Champions-League-Partien oder in den großen Ligen in Italien, Spanien, England, Frankreich oder Deutschland zu hören sind.

Dann setzt Blatter einen Fototermin für akkreditierte Anti-Rassismus-Berichterstatter an - oder sein Vize Webb von den Cayman Inseln, Blatters neuer Vertrauter im Fifa-Vorstand, spielt den Kummerkasten-Onkel für Yaya Touré. Irgendwie muss die Aufregung ums brisante Thema ja wegprotokolliert werden. Denn Sanktionen mag sich die Fußballbranche nicht auferlegen, das zeigt auch der Fall Touré. Harte Konsequenzen gibt es nicht, dafür aber nun ein großes Palaver von Fifa-Leuten und Russlands WM-Organisatoren.

Dabei dürfte das Fifa-Treffen mit den russischen Funktionären, in deren Reich rassistische Umtriebe seit wiederholten Bananen-Würfen gegen den einstigen Brasilien-Legionär Roberto Carlos ein fortwährendes Ärgernis sind, so enden, wie es die jüngsten Töne aus dem WM-Land 2018 signalisieren. ZSKA-Klubchef Jewgeni Giner behauptete öffentlich, Touré habe sich "das alles ausgedacht", und außer ihm habe "niemand etwas gehört". Was auch dem rumänischen Referee passen dürfte, der das Spiel trotz Tourés Intervention nicht unterbrach, aber einen Vermerk im Spielbericht machte. "Die Klubs werden jetzt wieder was von der Erziehung ihrer Fans reden", rügte Touré nach der Partie. Da lag er richtig, genau das wird nun in Aussicht gestellt. Nur, was soll das? Gibt es irgendwo verdeckte Hinweise, dass Rassisten gern Umerziehungskurse buchen?

Erstaunlich ist an der Sache nur, mit welcher Langmut sich die sogenannte Fußballfamilie diese Rituale antut. Tatsächlich ist ja auch die Rassismus-Debatte - oder die Frage, wie man das heikle Thema am besten auf Sparflamme hält - längst Teil des Wahlkampfes um den Fifa-Thron. Amtsinhaber Blatter will da 2015 noch mal drauf, es wäre das fünfte Mal für den dann 79-Jährigen. Den (noch nicht offiziellen) Herausforderer spielt Michel Platini. Am Wochenende, bei der Jubiläumsfeier zum 150-jährigen Bestehen des englischen Verbandes FA in London, sagte Blatter: "Wir müssen solche Teams ausschließen oder Punkte abziehen."

Aber durchfechten soll die unbequemen Verdikte nicht seine allmächtige Fifa, sondern Verbände und Ligen. Indes verteidigte Uefa-Chef Platini seine neuerdings gepflegte Geisterspiel-Politik: Allein in den letzten paar Monaten hätten nach rassistischen Umtrieben sieben Partien unter Ausschluss des Publikums stattgefunden. Nur würde er "niemals einem Team Punkte abziehen oder es aus dem Wettbewerb werfen", sagt Platini - zu bestrafen seien allein die Fans, die den Ungeist ins Stadion trügen. Mit ihren Geisterspielen täte die Uefa mehr als alle anderen. Was Blatter so sieht: "Spiele ohne Zuschauer zu spielen ist Unsinn, das richtet sich gegen den Geist des Fußballs und die Gastmannschaft." Und noch mal: "Das ist alles Unsinn."

Während ihm hier kaum zu widersprechen ist, wird das Problem wohl nur von den Betroffenen selbst zu lösen sein. Bisher sind Ankündigungen (oder Gesten wie in Mailand, als Boateng den Rasen verließ) nicht über das Stadium erster Entrüstung hinausgekommen. Echte Vorstöße, solidarische Aktionen gar, sollte man wohl nicht erwarten in einem Business, in dem es an Millionenverdienern läge, sich gegen das profitable System aufzulehnen. So bleibt es vorläufig wohl bei der Einzelgesprächs- Therapie. Fototermin garantiert.

© SZ vom 30.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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