Rassismus gegen Fußballer:Ein Symbol für die Spaltung Italiens

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Der 19-jährige Stürmer Mario Balotelli wird wegen seiner Hautfarbe ständig beleidigt. Viele warten auf eine Geste von Nationaltrainer Lippi.

Birgit Schönau

Er ist gerade mal 19 Jahre alt und ein italienisches Symbol. Ein Symbol der Rassisten und der Antirassisten, die einen schmähen ihn in den Fankurven, die anderen benennen nach ihm eine Schule. Selten hat es einen talentierten Fußballer gegeben, der das Land so spaltet wie Mario Balotelli. Oder besser gesagt: An dem sich die Spaltung Italiens so klar zeigt.

"Ich habe einen Fehler: Ich bin zu impulsiv", lautet die Selbst-Charakterisierung von Mario Balotelli, 19, null Länderspiele. (Foto: Foto: AFP)

Denn Italien teilt sich in Staatsdiener, die im Gericht zu Verona still eine Weihnachtskrippe mit schwarzen Krippenfiguren aufstellen, einfach so, als kleine Geste. Und in Politiker der Regierungspartei Lega Nord, die das lautstark verurteilen, gleichzeitig aber die Aktion "White Christmas" in einem Kaff in der Provinz Brescia begrüßen. Dort hat der Bürgermeister zur "Weißen Weihnacht" aufgerufen: Alle Ausländer ohne Papiere sollen pünktlich zu Heiligabend aus dem Ort getrieben werden.

Geboren in Palermo

In diesem Italien also, das sich nicht darauf einigen mag, ob Weihnachten weiß sein muss oder schwarz sein darf, sitzt Mario Balotelli zwischen allen Stühlen. Denn er ist schwarz. Aber er ist Italiener. Bei seinem Klub Internazionale Mailand ist er manchmal sogar der einzige Italiener im Aufgebot. So ist das im Fußball und in Italien ja schon sehr lange, die ersten Ausländer spielten hier schon um die vorletzte Jahrhundertwende als Profis.

"Wenn du Millionär bist und für Milan spielst, bist du etwas weniger Neger", hat der dunkelhäutige Niederländer Ruud Gullit einmal gesagt. Soll heißen: Wenn es darum geht, im Fußball Punkte zu machen oder gar das Publikum zu verzaubern, ist jeder Fremde willkommen. Keine Fankurve kommt beispielsweise auf die Idee, Balotellis Teamkollegen Samuel Eto'o die Beleidigungen entgegenzugrölen, die sich an jedem Spieltag über Balotelli ergießen. Auch Eto'o schießt Tore. Aber er kommt aus Kamerun und spielt für Kameruns Nationalelf.

Balotelli spielt für Italiens U-21 und möchte mit der Squadra Azzurra zur WM 2010 nach Südafrika. Das ist der Unterschied. Er muss sich anhören: "Es gibt keine italienischen Neger!" Die Ultras von Juventus Turin haben das sogar in Bordeaux intoniert und zu Hause gegen Bayern München, als Balotelli gar nicht auf dem Platz war. Dass die Juve nun aus der Champions League ausschied, entzog diesen Dumpfbrüllern wenigstens den internationalen Resonanzkörper.

Balotelli wurde in Palermo geboren, seine leiblichen Eltern stammen aus Ghana. Er wuchs bei Pflegeeltern in einem Ort bei Brescia auf. Mitten im Stammland der Lega Nord also, deren Politiker davor warnen, die Italiener riskierten angesichts der überbordenden Fremdenflut ein ähnliches Eingeborenen-Schicksal wie die nordamerikanischen Indianer, nämlich demnächst eingeschlossen zu werden in Reservaten.

Italien hat zurzeit einen Ausländeranteil von knapp sieben Prozent. Die Aufenthaltsgenehmigung ist an einen Arbeitsplatz gekoppelt. "Wir haben nichts gegen Migranten, so lange sie unsichtbar bleiben", hat der Journalist Gian Antonio Stella im Corriere della Sera geschrieben. "So lange sie uns nicht stören und keine Rechte haben. Sie dürfen nicht wie wir werden. Balotelli hat sich darüber hinweggesetzt."

Mario Balotelli hatte bei seinen italienischen Eltern eine ganz normale italienische Kindheit. Mit fünf Jahren fing er an, Fußball zu spielen, wie die meisten kleinen Italiener auf dem Platz der Kirchengemeinde. Später kamen die Probleme, denn er hatte keinen Pass. Einen Pass durfte er erst mit der Volljährigkeit beantragen. Seit dem 12. August 2008 ist Mario Balotelli auch offiziell Italiener.

Er ist einer der besten Fußballer im Land. Der FC Arsenal aus London will ihn, Ghana umwirbt ihn für die Nationalelf, er ist 1,90 Meter groß, schnell und elegant, ebenso kopfballsicher wie dribbelstark, ein Phänomen. Vergangene Woche besiegelte er für Inter die Qualifikation fürs Achtelfinale der Champions League mit seinem Tor zum 2:0 gegen den russischen Meister Rubin Kasan - einem kraftvollen Freistoß aus 35 Metern.

Viele Stürmer, wenig Tore

Dass Balotelli dennoch keinen Stammplatz hat, liegt an seinem Trainer José Mourinho. Er sei undiszipliniert, er trainiere zu wenig, sagt Mourinho. Balotelli entgegnet: "Ich habe nicht immer Lust, so viel zu trainieren." Also wird er als undiszipliniert abgestempelt, von Leuten, die Disziplin auch im Fußball für das Wichtigste halten. Neben Mourinho, dem kleinen Taktiker mit dem großen Ego, gilt das für Nationaltrainer Marcello Lippi. Die Offensivschwäche seiner Mannschaft ist ein Riesenproblem. Lippi hat eine Menge Stürmer, aber keinen, der den Ball so selbstverständlich ins Tor bringt wie Balotelli. Trotzdem weigert er sich, den Inter-Spieler zu berufen.

Stattdessen setzt Lippi auf den Brasilianer Amauri, der bei Juventus eine ausgesprochen schwache Saison spielt. Er soll demnächst einen italienischen Pass bekommen, weil seine Frau einen Urahn vom Stiefel ihr Eigen nennt. Amauri will mit 30 zu seiner ersten WM. Die Seleçao hat ihn nicht genommen. Und Lippi? Amauri ist weiß, Balotelli ist schwarz. Amauri ist noch kein Italiener. Balotelli hat nur einen Pass, den italienischen. Die Anzahl der Italiener, die Lippi dazu bewegen will, Balotelli zu berufen, wächst ständig. Die Leute wollen ihn, weil er Italien bei der WM Tore bringen kann. Und weil er ein Symbol wäre. Ein Symbol der Integration. Ein Symbol für jenes andere Italien, das angesichts der Omnipräsenz der Schreihälse in den Kurven und in der Politik zunehmend in Vergessenheit gerät.

"Ich habe einen Fehler", sagt Balotelli: "Ich bin zu impulsiv." Auf dem Platz verhöhnt er seine Gegner, er schreckt auch vor der blödesten Schwalbe nicht zurück, und wenn es zu einer Rauferei kommt, ist er einer der Aktivsten. Nein, Balotelli ist nicht unbedingt ein Symbol des Fairplay. Er ist 19 und ein Rowdy. Deshalb wird von manchen seiner Kollegen geheuchelt, die Schmähungen gegen ihn zielten nicht auf seine Hautfarbe, sondern auf sein Benehmen. Wie um zu sagen: Bei Wohlverhalten verstummen auch die Rassisten. Wie um zu sagen: Eigentlich provoziert er es ja selbst.

Lippi sollte Balotelli berufen. Es wäre eine Geste, die dem Weltmeistertrainer vor seinem angekündigten Abgang im Sommer noch einmal Grandezza verleihen würde, egal wie Italien bei der WM abschneidet. Die Geste würde bedeuten: Die Hautfarbe ist egal, die Herkunft sowieso. Wir brauchen keine Duckmäuser und keine Werbe-Ikonen, bei uns zählt nur das Talent. Nach dieser Geste hungert nicht nur Balotelli.

© SZ vom 16.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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