Zum Tod von Rainer Holzschuh:Abschied von "Mister Kicker"

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Rainer Holzschuh (li.) im Jahr 2000 bei der Auszeichnung von Oliver Kahn zum "Fußballer des Jahres". (Foto: imago)

Rainer Holzschuh hat im Fußball immer mehr als einen Sport gesehen, für ihn bildete er einen eigenen Kosmos. Mit klaren Ansichten zu Sitte und Moral prägte er als Chefredakteur und Herausgeber das Sportmagazin "Kicker".

Nachruf von Philipp Selldorf

Rainer Holzschuh hat einmal erzählt, dass ihn zu Schulzeiten besonders der Religionsunterricht geprägt habe. Allerdings nicht in der Bibel-, sondern in der Fußballkunde, denn wenn montags in der ersten Stunde der Lehrer über die christliche Weltanschauung referierte, pflegte Holzschuh unter dem Tisch heimlich den just in der Früh erschienenen Kicker zu lesen. Dass er damit ebenfalls eine Form von Religionspflege betrieb, braucht nicht in Zweifel zu stehen. Holzschuh, später 21 Jahre Chefredakteur und anschließend elf Jahre Herausgeber des mit Recht als Zentralorgan bezeichneten Kickers, hat im Fußball immer mehr als einen Sport, einen Zeitvertreib und ein Volksvergnügen gesehen. Für ihn bildete die Welt des Fußballs einen eigenen Kosmos, der in der Mitte der Gesellschaft seinen durchaus bestimmenden Platz einnimmt. Nicht zuletzt dieser ehernen Überzeugung ist das Bestehen der seit 2004 in Nürnberg ansässigen Akademie für Fußballkultur zu verdanken. Für deren Gründung hatte sich Holzschuh leidenschaftlich eingesetzt.

Nun ist der Journalist und Lobbyist, der von 1983 bis 1988 an der Seite des Bundestrainers Jupp Derwall und des Teamchefs Franz Beckenbauer auch als Pressechef des DFB fungierte, im Alter von 77 Jahren gestorben, und es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass diese überraschende Nachricht nicht nur die nationale Fußballgemeinde erschüttert innehalten lässt. Als langjähriger Präsident des Vereins der vereinten europäischen Sportmedien (ESM) ging Holzschuhs publizistische Arbeit über die deutschen Grenzen hinaus. Jahrzehnte habe er "als Gesicht des Kicker die Sportmedienlandschaft mitgeprägt", sagte Bärbel Schnell, die Geschäftsführerin des Olympia-Verlages, in dem die Zeitschrift erscheint: "Sein Wirken wird noch lange sichtbar bleiben." Zum 50. Geburtstag gratulierte, live während der WM in den USA, der Bundeskanzler Helmut Kohl.

Rainer Holzschuh bei der Verleihung des Walter-Bensemann-Preises der Deutschen Akademie für Fußballkultur. (Foto: Daniel Marr/Zink/imago)

Holzschuh war, wie Kollegen erzählen, ein verrückter Kerl, ein Fußball-Verrückter nämlich. Sein Wissen über Aufstellungen und Spielgeschehnisse war lexikalisch, jüngere Mitarbeiter hatten es deswegen nicht immer leicht mit dem Chef. Frage an die Praktikantin beim Vorstellungsgespräch: "Nennen Sie die drei Bundesliga-Spieler, deren Nachname Reinhardt lautet." Antwort: Alois, Knut, Dominik (nicht alle drei sind miteinander verwandt). Der im bayrischen Bad Kissingen geborene Holzschuh, Jurist und Major der Reserve (kein Kommisskopf), konnte einen bestimmenden Ton haben, wenn er die Redaktion führte, aber er war auch jovial und umgänglich, im Grunde, heißt es, ein Harmoniemensch. Debatten in den Konferenzen habe er mit Nachdruck gefördert, Redakteure konnten auf seine Loyalität zählen, wenn es Ärger und Druck aus der Rechtsabteilung gab. So wie 2004 bei den Enthüllungen des Kickers - und der SZ - über die Machenschaften von Borussia Dortmunds Präsident Gerd Niebaum.

Holzschuh vertrat mitunter klare Ansichten zu Sitte und Moral, das Leitmotiv war dann stets das Gemeinwohl des Fußballs, den er manchmal wie ein lebendiges Wesen darstellte. Nach der Selbstenttarnung des koksenden Trainers Christoph Daum vor 21 Jahren zog dessen Freund Holzschuh auf seine Weise betroffen die Schadensbilanz: "Verlierer ist der Fußball, der in ein Hexengericht von Schimpf und Schande geraten ist." Als quasi leibhaftiger "Mister Kicker" fühlte er sich zu präsidialen Appellen animiert ("die 20 Millionen deutschen Fußballfans haben ein Anrecht darauf, dass nicht Eigennutz, sondern Gesamtnutz vorrangig ist"), und manchmal fragte sich der Leser, warum die Redakteure nicht gelegentlich den Chefredakteur beim Redigieren seiner Texte unterstützten. Ab und an mochte man es schon für Sabotage halten, aber Kenner sagen, dies habe mit dem Respekt zu tun gehabt, den Rainer Holzschuh genossen habe.

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