Tennisspielerin Emma Raducanu:Eine Partie für das Sparschwein der Erfahrungen

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"Das ist immer noch alles neu für mich": Emma Raducanu erlebt nur einen Kurzauftritt in Indian Wells. (Foto: Charles Baus/Zuma/Imago)

Die junge Britin Emma Raducanu stieg über Nacht zur US-Open-Siegerin auf. Nun hat sie zum Auftakt in Indian Wells verloren - aber auch diese Niederlage hat ihr Gutes, findet sie.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles, Los Angeles

Aus gegebenem Anlass ein paar Dinge, die die Tennisspielerin Emma Raducanu in den vergangenen vier Wochen erlebt hat: Sie hat die US Open gewonnen. Auf der Met Gala in New York ein sehr cooles Outfit präsentiert. Schmuck des Juweliers Tiffany's präsentiert. Auf Instagram mehr als zwei Millionen Abonnenten hinzugewonnen. Eine Grußbotschaft von der Queen erhalten. Mit Catherine, Herzogin von Cambridge, ein wenig Tennis gespielt. Eine Fotostrecke der britischen Ausgabe der Modezeitschrift Vogue fertiggestellt. Die Premiere des neuen James-Bond-Abenteuers in der Royal Albert Hall in London beehrt. Vertrag mit Trainer Andrew Richardson nicht verlängert.

Und weil Raducanu am Freitagabend beim Turnier in Indian Wells 2:6, 4:6 gegen Alexandra Sasnowitsch verlor, muss auch erwähnt werden, dass ihr eine Sache in ihrem 18 Jahre alten Leben noch immer nicht gelungen ist: eine Partie auf der Frauen-Tour WTA ab der 250er-Kategorie zu gewinnen. Denn die US-Open gehören als Grand-Slam-Veranstaltung im offiziellen WTA-Kalender nicht dazu. Eine Anomalie - wie die Tatsache, dass dieser Verlust des ersten Durchgangs gegen Sasnowitsch ihr erster Satzverlust seit dem Challenger-Turnier in Chicago im August gewesen ist. Bei den US Open hatte sie inklusive Qualifikation in zehn Partien keinen einzigen Satz abgegeben.

Man sollte das alles nicht überbewerten, und genau darum hat Emma Raducanu nach der Niederlage gebeten: "Ich bin erst 18 Jahre alt, das ist immer noch alles neu für mich", sagte sie: "Ich spiele zum ersten Mal in Indian Wells und muss mich an die Bedingungen gewöhnen. Ich bin so unerfahren, ich nehme das alles mit. Ich bin froh, dass passiert ist, was heute passiert ist - davon kann ich lernen, das kommt ins Erfahrungs-Sparschwein."

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Die Reise zu den Transylvania Open Ende Oktober teilt Raducanu auf Rumänisch mit

Sie hatte tatsächlich nicht gut gespielt und wirkte schon im ersten Satz nach einem Break ihrer Gegnerin fahrig. Sasnowitsch hingegen hatte einen prächtigen Tag erwischte. Ein Beispiel lieferte der Satzball im ersten Durchgang: Raducanu war aggressiv, spielte sich vor ans Netz, setzte die Gegnerin unter Druck - doch deren Verlegenheits-Lob tropfte ins Feld. Oder in Satz zwei, als es aussah, als drohten Sasnowitsch Probleme beim Aufschlag: Angriff von Raducanu, präziser Volley - doch der Passierschlag der Belarussin war noch präziser. Schließlich der Punkt zum Matchball: Sasnowitsch erlief zwei, drei, vier, fünf wütende Schläge von Raducanu - und beendete den Punkt mit einem Rückhand-Stopp. "Sie war einfach sehr, sehr gut", sagte Raducanu danach.

Das Feld im Frauentennis ist derzeit herausragend und vor allem in der Spitze bemerkenswert ausgeglichen besetzt; in den vergangenen fünf Jahren haben 15 verschiedene Spielerinnen bei den 19 ausgetragenen Grand-Slam-Turnieren gewonnen.

Emma Raducanu ist eine jener Persönlichkeiten, die man eine global vermarktbare Athletin nennt. Die Britin, geboren in Kanada, ist die Tochter einer Chinesin (sie verkündete ihre Teilnahme an den Turnieren in Asien auf Mandarin) und eines Rumänen; die Reise zu den Transylvania Open Ende Oktober teilte sie auf Rumänisch mit. Branchenkenner schätzen, dass sie auf und neben dem Platz Einnahmen in Höhe von einer Milliarde Dollar erzielen könnte. Was bewirkt so ein abrupter Aufstieg, zumal bei einer jungen Frau, die vor den US Open allenfalls Tennisinsider kannten?

Ausflug auf den roten Teppich: Bei der Premiere des neuen James-Bond-Films "No Time to Die" gehörte Emma Raducanu zu den Berühmtheiten in der Londoner Royal Albert Hall. (Foto: Toby Melville/Reuters)

"Das Eisen ist heiß, und wir schmieden es", sagte Max Eisenbud kürzlich der New York Times. Der Manager hat bereits aus Li Na (China) und Maria Scharapowa (Russland) globale Stars gemacht. Scharapowa war bei ihrem Wimbledon-Sieg 2004 erst 17 Jahre alt: "Der Unterschied: soziale Medien. Es passiert alles in Lichtgeschwindigkeit." Der wichtigste Begriff im Wortschatz von Eisenbud, das zeigte er bereits bei Na und Scharapowa heißt "nein". Er ist ein Meister darin, Angebote abzulehnen. Aber wie nur wenige hat er auch verstanden: Profisportler definieren sich heutzutage nicht mehr nur über Trophäen im Schrank.

Das bedeutet im Fall von Raducanu: Warum nicht jetzt mit Herzogin Kate trainieren oder die Met Gala besuchen? "Ich liebe solche Erlebnisse, weiß aber auch, dass ich wieder zurück auf den Platz muss, wo ich hingehöre", sagte sie. Das Turnier in Indian Wells ist eine pandemiebedingte Ausnahme, normalerweise findet es im Frühjahr statt, es folgen nun Wettkämpfe in Osteuropa und Asien. Danach ist erst einmal Pause, und dann beginnt die Arbeit für die neue Saison. Das ist die Zeit, sich sportlich wirklich weiterzuentwickeln.

"Alles von jetzt an ist Bonus"

Raducanu ist nicht die erste Spielerin der vergangenen Jahre mit kometenhaftem Aufstieg. Naomi Osaka (Japan) und Jelena Ostapenko (Lettland) waren jeweils 20 Jahre alt bei ihren ersten Grand-Slam-Siegen, Bianca Andreescu (Kanada) beim US-Open-Triumph 2019 sogar erst 19. Dieser erste Grand-Slam-Erfolg kann eine Bürde sein, aber auch eine Befreiung. Die Tschechin Karolina Pliskova, 29, jagt diesem Titel beinahe verzweifelt hinterher. Raducanu sagt über sich: "Ich spüre keinen Druck, sondern fühle mich eher befreit. Alles von jetzt an ist Bonus."

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Profisportler heutzutage wollen oft nicht mehr nur als Athleten wahrgenommen werden. Umso wichtiger erscheint es, eine Balance zu finden zwischen Sport und dem Übrigen. Als warnendes Beispiel gilt die viermalige Grand-Slam-Siegerin Osaka, die bei den US Open erklärte, im Alter von 23 Jahren keinen Spaß am Tennis zu haben; sie hatte sich mit gesellschaftlichen Aktivitäten sehr viel an Verantwortung aufgebürdet. Raducanu sagt, dass sie zwar abseits des Platzes aktiv sein wolle - indes weniger politisch; sie wolle sich lieber dafür einsetzen, dass Leute mehr Sport treiben und sich besser ernähren. Alles andere habe Zeit, sie müsse noch lernen.

Sie klingt sehr erwachsen, wenn sie spricht, klug und überlegt. Sie weiß schon, was sie will, und so verlief auch die Trennung von Trainer Richardson. Sie hatte ihm nicht gekündigt, der Vertrag war ausgelaufen, und sie sagte recht nüchtern: "Ich brauche nun jemanden, der Erfahrung auf der Tour hat." Sie will ja nun endlich auf der WTA-Tour Matches gewinnen. Ihre nächsten Chancen: der Kremlin Cup in Moskau und danach das Turnier in Rumänien. Auch das kommt dann ins Erinnerungs-Sparschwein.

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