Radsport: Tour de France:Außer Kontrolle

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Der nächste schwere Sturz kommt bestimmt: Bei der Tour de France werden immer wieder Blut und Tränen fließen. Denn sie mehren den Ruhm von Sportlern, die den Erfolg über alles stellen - auch über das Wohl ihres Körpers.

Andreas Burkert

Wer das noch nicht miterlebt hat, würde es niemals glauben, solche Szenen wie jene vom Sonntag in Saint-Flour, dem neunten Etappenziel der Tour de France: Nach einem denkwürdigen Rennen von fünfeinhalb Stunden versuchen die Fahrer, zu den Teambussen zu gelangen.

Der Sonntag in Saint-Flour: Janez Brakjovic (links oben) wird behandelt, Jaroslav Popovich nach seinem Sturz (rechts oben), Alexandre Winokourow wird ins Krankenhaus gebracht (links unten) und Johnny Hoogerland (rechts unten) stürzt in einen Zaun. (Foto: AFP)

Aber es gelingt ihnen kaum, hinter dem Cours Chazerat ist die enge Straße verstopft mit Autos, Publikum und Medien; es gilt, Worte und Eindrücke einzufangen zu den unglaublichen Vorgängen des Tages. Manche Profis schultern ihr Velo, um irgendwie durch das Gedränge zu finden: Nassgeschwitzt, am Ende der Kräfte und auch ein bisschen wütend.

Die Tour lebt davon, so etwas wie das letzte große Abenteuer des Sports zu sein. An Tagen wie in Saint-Flour bestätigt sich, wie irrsinnig die Anforderungen sind, zum Teil liegen sie über dem Maß, das Menschen zu leisten imstande sind. Es sind auch diese Anforderungen, die eine 100 Jahre alte Tradition des Betrugs begründet haben.

Am Sonntag hat sportlicher Wagemut, der die Faszination der Tour ausmacht, zu Knochenbrüchen reihenweise geführt. Dann fuhr auch noch ein Wagen des Fernsehens zwei Ausreißer um, zwei Männer, die bei Puls 190 lange an einen der größten Tage ihrer Karriere glauben durften. Man könnte meinen, die Tour gerate außer Kontrolle.

Dabei zieht man, so makaber es klingt, fast traditionell nach der ersten Woche eine niederschmetternde Sturzbilanz. Gewöhnlich rasen sich die Sprinter über den Haufen, halsbrecherische Abfahrten produzieren bisweilen fürchterliche Bilder. Neu ist in diesem Jahr, dass sich die Klassement-Fahrer so häufig im Parterre wiederfinden.

Dies ist einerseits Folge der, wenn man so will, geschickten Streckenführung der Organisatoren, die die erste Woche in einen Krimi um Sekunden verwandelt haben. Alles liegt beisammen vor den Bergen; manche meinen, die neue Ausgeglichenheit könne gar das Ergebnis eines glaubwürdigeren Sports sein. Diese Spannung erhöht zwangsläufig den Druck auf die Podiums-Kandidaten, von denen sich, auch das ist neu, inzwischen in der Hälfte der Teams einer finden lässt.

Eine längere Sicherheitsdebatte wird der schwarze Sonntag von Saint-Flour kaum auslösen im Feld. Die Tour täte gut daran, die Anzahl der Pkw zu begrenzen und gefährliche Abschnitte sorgfältiger zu kennzeichnen. Dennoch werden immer wieder Blut und Tränen fließen. Denn sie mehren den Ruhm von Sportlern, die aus Tradition den sportlichen Erfolg über alles stellen, auch über das Wohl ihres Körpers.

© SZ vom 12.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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