Neues Team für Chris Froome:Illustre Karriere, illustrer Wechsel

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Gewann für das Team Ineos, vormals Sky, vier mal die Tour de France: Chris Froome. (Foto: Vincent Kalut/Panoramic Internati/imago)

Chris Froome schließt sich dem Rennstall Israel Start-Up Nation an. Auf seiner Abschiedsfahrt für Ineos will er zu ruhmreichen Tour-Siegern aufschließen - steckt aber auch in einem Kampf um den Führungsanspruch.

Von Barbara Klimke, München

Von seinem künftigen Arbeitgeber wurde er mit breit geöffneten Armen empfangen, wenn auch nur virtuell, wie sich das in diesen Virenzeiten gehört. "Willkommen in unserer Familie, Chris Froome", rief ihm der Rennstall Israel Start-Up Nation (ISN) auf der Homepage zu, auf Englisch und am Schluss der Eloge noch einmal auf Hebräisch: "Baruch Haba". Mit großem Stolz, so erklärte Sylvan Adams, der Miteigentümer des Radsportteams, könne er verkünden, dass Froome, 35, der "legendäre Champion" und viermalige Tour-de-France-Sieger, am 1. August einen neuen Vertrag unterschreiben werde, um im blau-weißen Trikot von INS bis zum Ende der "illustren Karriere" zu fahren.

Dieser Stichtag, der 1. August, liegt kurz vor der diesjährigen Tour de France, sofern diese, wie geplant, mit pandemiebedingter Verspätung am 29. August in die Große Schleife startet. Und trotzdem wird sich der Brite Chris Froome noch einmal auf eine Abschiedstournee begeben können für sein altes Team Ineos, früher Sky, für das er vier Mal, 2013, 2015, 2016 und 2017 die Frankreichrundfahrt gewann. Denn der spektakuläre Wechsel wird erst zur neuen Saison wirksam.

Gerüchte über die Zukunft Froomes bei Ineos waren seit Wochen zu vernehmen, auch deshalb, weil der frühere Seriensieger, der zusätzlich zweimal die Vuelta (2011 und 2017) sowie den Giro d'Italia (2018) für sich entschied, bei den Briten längst nicht mehr so unangefochten fest, wie sein Status vermuten lässt, im Sattel sitzt. Drei Tour-Sieger liefern sich bei Ineos inzwischen einen Kampf um den Führungsanspruch, rangeln Schulter an Schulter wie ein Pulk Sprinter vor dem Zielstrich um die beste Position.

In Israel kann sich der 35-Jährige im nächsten Jahr seiner Kapitänsrolle sicher sein

Zuletzt hatte Froome seine langjährige Rolle als Nummer eins im Team abtreten müssen: 2018 wurde er von seinem walisischen Teamkollegen Geraint Thomas überholt. Im vergangenen Jahr verpasste er die wichtigste Rundfahrt wegen eines horrenden Trainingsunfalls in der Vorbereitung, bei dem er sich den Oberschenkel, Rippen und Ellbogen brach. Tatenlos musste er zusehen, wie der 23 Jahre alte Kolumbianer Egan Bernal schließlich, mit einem Sektglas in der Hand, das gelbe Trikot zum Arc de Triomphe in Paris trug. Noch immer treibt Froome die ehrgeizige Jagd nach dem fünften Gesamtsieg an, mit dem er zu den ruhmreichen Pedaleuren der Geschichte aufschließen könnte, zu Anquetil, Merckx, Hinault, Indurain. In diesem Sommer, so wurde er nun zitiert, wolle er sich darauf konzentrieren, "mit dem Team Ineos eine fünfte Tour de France zu gewinnen". Aber es ist längst nicht ausgemacht, wer bei Ineos 2020 den Leader spielt. Und wer den Domestiken.

Zumal Ineos-Teamchef Dave Brailsford den Generationenkampf längst entschieden hat. "Der Vertrag von Chris läuft im Dezember aus, und wir haben uns entschieden, ihn nicht zu verlängern", erklärte der Prinzipal am Donnerstag bemerkenswert unsentimental. Selbstverständlich sei Froome, der dem Team seit zehn Jahren angehört, ein großer Champion, aber die Ansprüche, die sich daraus ableiten, will Ineos einem 35 Jahre alten Radrennfahrer nicht gewähren: Froome strebe verständlicherweise die "alleinige Mannschaftsführungsposition im nächsten Abschnitt seiner Karriere an", erläuterte Brailsford: "Und das ist etwas, was wir ihm zum jetzigen Zeitpunkt nicht garantieren können." Einen Gnadenwechsel in der Saisonmitte brachte Sir Dave trotzdem nicht über sich. Denn noch ist Froome eine Macht auf dem Rad, deshalb vermutete die britische Zeitung Telegraph schon vor Wochen, dass Ineos den viermaligen Champion wohl eher "auf die Bank setze", statt ihn bei einem rivalisierenden Team in den Sattel zu heben.

So öffnet sich bald ein weiteres Kapitel in Froomes Vita, zu der auch ein Positivtest auf Salbutamol im Herbst 2017 bei der Vuelta gehört, der wegen seines Asthmaleidens zu einem Freispruch führte. Beim Rennstall Israel Start-Up Nation (ISN) kann er sich in der nächsten Saison seiner Kapitänsrolle sicher sein. Das Team, das von dem vermögenden Investor Adams unterstützt wird, hatte erst zum Jahresende die Lizenz der früheren russischen Mannschaft Katusha übernommen. Die deutschen Fahrer André Greipel, Nils Politt und Rick Zabel werden dort künftig Froomes Kollegen sein. Und das Ziel? "Geschichte schreiben", hat Adams angekündigt. Um Froome herum soll eine Equipe entstehen, die Frankreich erobern kann.

© SZ vom 10.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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