Radprofi John Degenkolb:Meister der verpassten Siege

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John Degenkolb bei der Zieldurchfahrt der ersten Etappe in Utrecht. (Foto: dpa)
  • John Degenkolb will ein Etappensieg auf der Tour de France einfach nicht gelingen - doch sein starkes Radsport-Jahr lässt er sich nicht vermiesen.
  • Eine Hoffnung hat er noch: Die Champs-Élysées.
  • Zu den Ergebnissen der Tour geht es hier.

Von Johannes Aumüller, Gap/Valence

Nur kurz nach seiner nächsten knappen Niederlage gibt sich John Degenkolb schon wieder ganz entspannt. Er sitzt im Vorgarten des Hotel sur Pins nahe Valence, hinter ihm sprenkelt eine Fontäne in den Brunnen, und dann sagt er solche Sätze wie: "Am Ende ist das alles hier doch nur ein Spiel und ein Spaß."

Es ist keine drei Stunden her, da hat Degenkolb wieder einen Etappensieg bei der Tour de France verpasst, Landsmann André Greipel aus Rostock war auf der Zielgerade schneller. Degenkolb ist dann erst einmal wortlos davongefahren, sichtlich enttäuscht, aber er hat danach allerhand tun können, um die Enttäuschung schnell wieder in den Griff zu bekommen. Er hat es ausgenutzt, dass seine Giant-Mannschaft in der üblichen Unterkunftslotterie an diesem Abend ein ganz anständiges Hotel mit einem schönen Pool erwischte und ist eine Runde ins Wasser gehüpft.

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Nach 201 Kilometern jubelt ein Spanier: Ruben Plaza Molina sichert sich den Sieg auf der 16. Etappe der Tour de France. Simon Geschke riskiert viel - und wird Vierter.

Er hat sich ausgiebig massieren lassen. Und vor allem hat er sich ein Video angeschaut, das ihm seine Frau aus der Heimat aufs Handy geschickt hat und auf dem sein sechs Monate alter Sohn zu sehen ist, wie er auf der Terrasse im Planschbecken planscht. Und wenn du das sieht, so sagt das der gebürtige Thüringer, der inzwischen in Frankfurt lebt, "dann ist alles andere ohnehin egal".

John Degenkolb, 26, hat ein starkes Radsportjahr hinter sich, er hat im Frühjahr Mailand - Sanremo gewonnen und den Kopfstein-Klassiker Paris - Roubaix, woran auch jetzt noch ein Bändchen am rechten Handgelenk erinnert. Ein Etappensieg bei der Tour hingegen steht noch aus, aber damit will es nicht recht klappen.

2, 4, 4, 4 und jetzt wieder eine 2 bei dem vom Profil her wohl aussichtsreichsten Abschnitt sind die Platzierungen für Degenkolb, der kein reiner Sprinter ist, sondern eher ein Mann für die mittelschweren Etappen. Aber das Gefühl der knappen Niederlage kennt er bei der Frankreich-Rundfahrt schon aus den Vorjahren, da ist er insgesamt dreimal Zweiter geworden. Wie er sich da fühlt? "Fragt mal den Peter Sagan, wie der sich fühlt, der ist jetzt schon 15 Mal Zweiter geworden", antwortet er.

Am Montag wurde Sagan dann wieder nur Zeiter. Im vergangenen Jahr hätte sich Degenkolb wohl noch nicht so gelassen gegeben nach einem verpassten Etappensieg. Aber er hat seine Erfolge im Frühjahr gefeiert, die in der internationalen Szene mehr zählen als ein Etappensieg bei der Tour, der in Deutschland wohl mehr Aufmerksamkeit bekommt, er hat jetzt einen Sohn - und ein Stück weit schützt ihn diese Haltung auch in seiner diesjährigen Lage. Denn Degenkolb ist in einer anderen Rolle bei der Tour als 2013 und 2014.

Damals hatte er seinen Kompagnon Marcel Kittel in der Mannschaft, der für Giant immer schon früh Etappensiege einfuhr und für eine zufriedenstellende Tour sorgte. Aber Kittel fehlt diesmal, das Team hat ihn wegen Formrückstandes nicht nominiert, und es ist müßig zu spekulieren, ob er der Dominanz von Greipel etwas hätte entgegensetzen können. Der Zeitfahrspezialist Tom Dumoulin, der zum Auftakt in Utrecht Platz vier belegte und in der ersten Woche durchaus aufs Gelbe Trikot schielen durfte, stieg nach einem Sturz aus. Und Warren Barguil ist zwar ein großes Kletter- und Rundfahrtalent und in der Gesamtwertung vergleichsweise gut platziert, aber er ist eben noch ein Talent.

Eigentlich ist Degenkolb der Kapitän und der Mann, der den Etappensieg einfahren soll, den eine jede Mannschaft so gerne möchte, um die Tour als erfolgreich verbuchen zu können. In diesem Jahr will es Giant sogar noch ein bisschen mehr als andere es wollen, denn es fährt das erste Jahr mit einer deutschen Lizenz und einem deutschen Co-Sponsor, da würde ein Tageserfolg helfen. "Ich bin der Einzige, der sich Vorwürfe macht", sagt Degenkolb. "Die Jungs sind happy, dass ich jeden Tag motivierende Worte finde."

John Degenkolb gehört zu den wenigen Fahrern, die sich in den vergangenen Jahren nicht nur auf dem Velo, sondern auch mit Worten zu profilieren versuchten. Schon früh sprach er sich für die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes aus. Als es im vergangenen Jahr wegen diverser Positivfälle Debatten um die Lizenz für das Astana-Team gab, monierte er, solche Dinge müssten doch zügiger zu regeln sein. Und als er nun über die Dominanz von Tour-Spitzenreiter Christopher Froome sprechen soll, sagt er: "Es geht mir auch so, dass ein komisches Bauchgefühl da ist, und es ist wichtig, kritische Fragen zu stellen." Dass das im Zweifel auch die deutschen Fahrer betrifft, ist Degenkolb auch bewusst.

"Schauen wir mal, was auf dem Kopfsteinpflaster passiert", sagt der Kopfsteinpflaster-Experte

Immerhin wird er in den nächsten Tagen kaum in die Verlegenheit geraten, sich über einen neuerlichen zweiten Platz zu ärgern. Es geht jetzt in die Alpen, vier schwere Etappen stehen an, und dann in Paris gibt es wohl noch einmal einen Sprint. Eigentlich ist André Greipel gerade kaum zu schlagen, der Rostocker ist so stark wie noch nie in seiner Karriere, er hat in Valence bereits seinen dritten Tagessieg gefeiert und ist auch für die Champs-Élysées der Favorit. "Aber dann schauen wir mal, was auf dem Kopfsteinpflaster passiert", scherzt Degenkolb, der Kopfsteinpflaster-Spezialist.

Zu seinem Leidwesen sind die Pflaster in Paris jedoch nur ein paar Hundert Meter lang und deutlich feiner als die groben Klötze im Wald von Arenberg, wo Degenkolb im Frühjahr so stark auftrumpfte. Es ist wahrscheinlicher, dass er sein starkes Radsportjahr nicht bei der Tour de France abrundet, sondern in ein paar Wochen auf dem anspruchsvollen Parcours bei der Straßen-WM in Richmond.

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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