Stefan Ortega bei Manchester City:Der Torwart mit der Cruyff-Drehung

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Stefan Ortega (Mitte, gelbes Trikot) lässt Stürmer Jean-Philippe Mateta von Crystal Palace gekonnt stehen. (Foto: Frank Augstein/AP)

Mit einer technisch eleganten Aktion außerhalb seines Hoheitsbereichs sorgt Stefan Ortega für Aufsehen. Steht bei Manchester City zum Saisonfinale sogar ein spektakulärer Torwartwechsel bevor?

Von Sven Haist, London

Das Ballgeschick von Stefan Ortega würde vermutlich auch als Feldspieler für Aufmerksamkeit sorgen. Dass er jedoch nicht zur Spezies der Offensiv-Virtuosen oder Dribbelkünstler gehört, sondern bisher in Anführungszeichen nur Ersatztorwart von Manchester City ist, macht ihn bisweilen zur Attraktion in der Premier League - so, wie am Samstagmittag beim Auswärtsspiel seines Klubs gegen Crystal Palace.

Beim Stand von 1:1 löste Citys Rodrigo kurz vor der Halbzeitpause eine unübersichtliche Situation im eigenen Strafraum mit einem Rückpass zu Ortega auf. Dabei übersah der Mittelfeldspieler, dass sich Palace-Stürmer Jean-Philippe Mateta bereits in der Nähe des Torhüters befand. Dadurch bestand für Ortega bei der Klärungsaktion vor dem Tor die Gefahr, seinen Gegenspieler anzuschießen. Deswegen entschied sich der 31-Jährige reaktionsschnell, Mateta auszuspielen statt den Ball zur Seite abzuwehren. Er stellte im Fünfmeterraum seinen Körper zwischen Ball und Angreifer, täuschte einen Befreiungsschlag vor, um die Kugel dann geschickt mit rechts hinter sein Standbein zu ziehen und dynamisch die Richtung zu wechseln.

Mit diesem Manöver erwischte er Mateta auf dem falschen Fuß: Der Franzose lief ins Leere und wirkte so verblüfft ob des Tricks, als wäre der Ball plötzlich zauberhaft verschwunden. Diesen brachte Ortega daraufhin mit links aus der Gefahrenzone. Fast hätte sein etwas zu hoher Pass für Mitspieler Kevin De Bruyne sogar einen Konter eingeleitet.

Der Stammtorwart war länger ausgefallen, nun könnte Ortega gegen Real Madrid im Tor stehen

Ein solcher Move wurde einst zu Ehren des Wunderfußballers Johan Cruyff als "Cruyff-Drehung" benannt. Der Niederländer hatte die Bewegung perfektioniert und sie in gewisser Weise stilbildend gemacht. Cruyff hätte selbst wohl die größte Freude an Ortegas Aufführung gehabt. Die Szene verbreitete sich im Internet an diesem Wochenende so schnell wie kein anderer Fußballclip. Auf Citys X-Profil hatten sich tags darauf zwei Millionen Menschen das Video angesehen - das damit weitaus höhere Aufrufe erreichte als die bisweilen ebenso hochwertigen Treffer von City. Doppeltorschütze De Bruyne sowie Rico Lewis und Erling Haaland sorgten für das standesgemäße 4:2 (1:1).

Mit der artistischen Rettungsaktion hat sich Ortega, der bei beiden Gegentoren chancenlos war, in Stellung gebracht für eine der spannendsten Personalentscheidungen bei City in dieser Saison. Nachdem Stammtorwart Ederson zuletzt einige Wochen ausgefallen war, untermauerte er durch mehrere Spitzenleistungen seine Ambitionen auf den Status der Nummer eins. Erstmals seit dem Wechsel von Bundesliga-Absteiger Arminia Bielefeld zu City 2022 bekam Ortega gegen Palace den Vorzug vor Ederson - obwohl dieser voll einsatzfähig gewesen wäre und auch nicht geschont wurde. Nach dem Spiel sagte Trainer Pep Guardiola, dass Ederson sich zwar gut fühle, aber ihm Rhythmus fehle.

Die Aussage deutet mindestens daraufhin, dass ein möglicher spektakulärer Torwartwechsel bei City vor dem Viertelfinal-Hinspiel gegen Real Madrid in der Champions League nicht auszuschließen ist. Denn an der Form von Ederson dürfte sich in den wenigen Tagen bis Dienstag kaum etwas ändern. Zudem wäre es ungewöhnlich, mit ihm für das Real-Spiel zu planen, ihm aber davor nicht die bemängelte Spielpraxis zu gewähren. Auf die Nachfrage, ob der Deutsche im Tor bleibt, reagierte Guardiola ausweichend: Er müsse "darüber nachdenken" - und fügte an, er sei "wirklich zufrieden" mit Ortega, der ein "außergewöhnlicher Torwart" sei.

Zwischen den City-Keepern besteht die Regelung, dass Ederson in der Premier League und Champions League zum Einsatz kommt, Ortega in den nationalen Pokalwettbewerben. Aber Ortega wurde auch immer signalisiert, der jeweils bessere Torwart nehme die profilierte Stellung in der Mannschaft ein. Bisher gab Ederson mit seinen meist anstandslosen Leistungen kaum Anlass für einen Wechsel. Im März leistete sich der manchmal ungestüm agierende Brasilianer jedoch zwei unüberlegte Aktionen in Serie: Gegen Manchester United räumte der 30-Jährige außerhalb seines Strafraums mit einer Grätsche den Stürmer Alejandro Garnacho ab. Weil er gerade noch den Ball erwischte, kam er ohne möglichen Platzverweis davon. Eine Woche später verursachte er gegen Liverpool auf ähnliche Art einen Elfmeter, bei dem er sich selbst verletzte.

Diese Aktionen stehen quasi im Kontrast zur Besonnenheit, die Stefan Ortega seitdem in den vergangenen viereinhalb Pflichtspielen bewiesen hat. Und kaum eine Szene veranschaulicht dies besser als Ortegas Cruyff-Drehung.

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