Powell darf doch starten:Allüren einer Sprintnation

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Nicht ohne Asafa Powell: Der Weltverband IAAF diszipliniert vor der WM Jamaikas Leichtathletik-Funktionäre. Die merkwürdige Doping-Angelegenheit aber geht weiter.

Thomas Hahn

Abends um sechs hat es Nick Davies dann geschafft. Da geht die Flügeltür zum Medien-Raum im Berliner Kongress-Hotel auf, und eine Delegation jamaikanischer Verbandsvertreter tritt ein. Nick Davies hatte zwischenzeitlich richtig verzweifelt gewirkt, er ist der Sprecher des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, und als solcher ein wichtiger Adressat für die wichtigsten Leichtathletik-Fragen vor der WM-Eröffnung in Berlin am Samstag und beim 47. IAAF-Verbandstag.

Jamaikas Top-Sprinter Asafa Powell (l.) kann nun doch gegen Tyson Gay an den Start gehen. (Foto: Foto: Reuters)

Und die wichtigsten Fragen drehten sich eben um Jamaika: um die fünf freigesprochenen Dopingfälle. Und um jene disziplinarische Maßnahme des Verbandes JAAA, wonach der frühere 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell, 100-Meter-Olympiasiegerin Shelly-Ann Fraser mit vier weiteren Athleten die WM verpassen sollten. Aber Davies konnte dazu nichts sagen, weil jemand wie JAAA-Präsident Howard Aris nichts dazu sagte. Bis sich eine Wende ereignete.

Aus Sicht der IAAF ist die Hauptnachricht des Mittwochs die Verabschiedung der neuen Fehlstartregel gewesen. Mit 97 zu 55 Stimmen nahmen die Kongress-Delegierten den Antrag an, von 2010 an keinen Fehlstart mehr zu erlauben, um die Zeitpläne fürs Fernsehen etwas vorhersehbarer zu gestalten. Aber der Aufreger vor dem WM-Beginn waren eindeutig die Jamaikaner.

Sie befinden sich im Jahr eins nach ihrem epochalen Olympia-Erfolg von Peking mit elf Medaillen, sechs Siegen, drei Weltrekorden sowie einem Aufstieg in die ganz exklusive Beletage des Kommerzsports durch Usain Bolt. Sie sehen sich beträchtlichem Interesse ausgesetzt, und mit dieser Prominenz tun sich die karibischen Sportverwalter schwer, was wohl auch daran liegt, dass sie gar nicht jedes Geheimnis ihres Erfolgs preisgeben wollen. Aber dass sie damit ihren eigenen Weltverband IAAF in Verlegenheit stürzen war neu.

Verwirrung stiftet zum einen Jamaikas seltsamer Fall von Teamdoping, der die National-Sprinter Yohan Blake, Marvin Anderson, Allodin Fothergill, Lansford Spence und Sheri-Ann Brooks betrifft. Anfangs war zu lesen, die fünf seien bei Jamaikas Meisterschaften auf Methylxanthine getestet worden, eine Stimulans-Gruppe, die allerdings nicht auf der Dopingliste steht. Mittlerweile hat ein Vertreter der jamaikanischen Anti-Doping-Kommission Jadco erklärt, dass es um das amphetamin-ähnliche Methyl-Hexanamin geht, und trotzdem sprach die Jadco-Disziplinarkommission Blake, Anderson, Fothergill und Spence mangels Schuldnachweis frei, nachdem vorher schon die Commonwealth-Games-Gewinnerin Brooks wegen eines formalen Fehlers bei der Öffnung der B-Probe straffrei ausgegangen war.

Jetzt hat Jadco Einspruch gegen die Entscheidung ihrer eigenen Disziplinarkommission eingelegt. Wie die Farce weitergeht, ist unklar. Selbst IAAF-Generalsekretär Pierre Weiss wirkte etwas verwirrt durch Jadcos Informationspolitik: "Bis jetzt", sagte er am späten Mittwochnachmittag, "haben wir noch keine offizielle Antwort auf die Fragen, die wir Jamaika vor einer Woche gestellt haben."

Aber wenn man Weiss richtig verstand, steht die Chance nicht schlecht, dass die beanstandeten Athleten starten können in Berlin, was fast zu einer echten Groteske geführt hätte, wenn die IAAF nicht eingeschritten wäre. Bis Mittwochnachmittag war die JAAA-Führung nämlich wild entschlossen, die Gruppe um Powell, lauter hochdekorierte und offiziell als sauber geltende Sprinter, aus dem Team zu werfen.

Unterschiedliche Ausrüster

Stephen Francis, Coach der Gruppe vom Klub MVP aus Kingston, war schon vor zwei Jahren unzufrieden mit der Auswahl des Vor-WM-Trainingslagers durch den Verband JAAA. Francis nörgelte auch vor Olympia. Und dieses Jahr ließ er seine Leute einfach in Italien trainieren statt mit ihnen nach Herzogenaurach zu reisen, an den Standort von Jamaikas Team-Ausrüster Puma, wo JAAA sein Teamtrainingslager abhielt.

Francis ist der Gegenspieler zum einflussreichen National- und Bolt-Coach Glen Mills, MVP Konkurrent des Bolt-Vereins Racers Track Club, für den auch zwei der positiv Getesteten, Blake und Anderson, rennen. Und fünf von sechs Francis-Läufern stehen beim Puma-Rivalen Nike unter Vertrag. Als die Sanktion des Verbandes ruchbar wurde, sprach Francis prompt von Sabotage durch die JAAA - jedenfalls war der Ärger groß.

Am Mittwochmorgen erreichte IAAF-Wettkampfdirektor Paul Hardy ein Brief von JAAA, wonach Powell, Fraser sowie Melaine Walker, die Olympiasiegerin über 400 Meter Hürden, Shericka Williams, Olympia-Zweite über 400 Meter, Brigitte Foster-Hylton, Olympia-Sechste im Hürdensprint, und 400-Meter-Läuferin Kaliese Spencer von ihren Startplätzen zu streichen seien. Hardy schrieb zurück. Tenor: Seid ihr euch ganz sicher? Und die IAAF-Spitze nahm während des Kongresses die Jamaikaner zur Seite. "Die Entscheidung wirkt sich auf die Außenwirkung der WM aus", sagte Weiss. Die IAAF-Vertreter überzeugten die JAAA, dass eine WM ohne Powell, Fraser und die anderen um viele Attraktionen ärmer sei. Und am Abend konnte Weiss vermelden: Sie werden in Berlin rennen.

Howard Aris ist ein ruhiger, freundlicher Mann. Und als er endlich auf dem Podium vor der internationalen Presse sitzt, spricht er in so gesetzten Worten, dass man sich fragt, warum er sich so um eine Aussage gewunden hatte. Er erklärt, das Pflichttrainingslager sei JAAA aus Prinzip wichtig und als Anlaufstelle für die Dopingfahnder mit ihren Vor-WM-Tests. Und die Doping-Angelegenheit? Das sei nicht Aris' Thema, weil er als JAAA-Chef mit der Jadco nichts zu tun habe, sagt Generalsekretär Weiss. Es ist kein sehr ergiebiger Auftritt. Aber immerhin ein Auftritt. Und mehr hat IAAF-Sprecher Nick Davies ja auch gar nicht gewollt.

© SZ vom 13.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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