WM-Achtelfinale:Portugal legt eine Galavorstellung hin - auch ohne Ronaldo

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Die Portugiesen leben im WM-Achtelfinale ihre Lust am Fußball aus und lassen sich von der Schweiz nicht dabei stören. Ronaldo-Ersatz Goncalo Ramos trifft beim 6:1 gleich dreifach - für Ronaldo bleibt nur ein Abseitstor übrig.

Von Philipp Selldorf, Doha

Als Cristiano Ronaldo das letzte Mal bei einem großen Turnier nicht von Anfang an in Portugals Nationalelf mitspielen durfte, war die Welt noch in Ordnung: Das Smartphone hatte noch nicht in die Evolution der Menschheit eingegriffen.

Bei der Euro 2008 hatte Luiz Felipe Scolari den jungen Ronaldo im kaum noch brisanten letzten Vorrundenspiel gegen Turniergastgeber Schweiz pausieren lassen. Mehr als 14 Jahre mussten seitdem vergehen, bis ein Kollege Scolaris es wagte, den Nationalhelden auf die Bank zu setzen, und jawohl: ausgerechnet die Schweiz war wieder der Gegner. Ronaldo hatte sich den Bankplatz verdient, als er auf seine Auswechslung gegen Südkorea mit Gezeter reagierte - wahrlich kein adäquates Dankeschön für die Geduld, die Trainer Fernando Santos bis dahin mit ihm aufgebracht hatte.

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Diesmal war es für den 37-Jährigen wirklich eine schmerzliche Auszeit. Es ging um den Einzug ins Viertelfinale, und die Kollegen legten ohne ihn eine Galavorstellung hin. Als Ronaldo endlich eingewechselt wurde, führte Portugal 5:1. Während das Publikum, das zuvor in Sprechchören den Einsatz ihres Lieblingspopstars gefordert hatte, mit ungeheurem Gejohle dessen Ankunft bejubelte, verließ der eigentliche Star des Abends den Rasen: Mittelstürmer Goncalo Ramos, bisher lediglich in zwei Kurzeinsätzen zu sehen, hatte mit einem Hattrick und einem großen Auftritt geglänzt. Die Partie war dadurch frühzeitig entschieden, den Schlusspunkt setzte der eingewechselte Leao mit dem 6:1, für Ronaldo blieb lediglich ein Abseitstor übrig. Das Fachpublikum pfiff den Schiedsrichter aus, als er den Treffer ordnungsgemäß aus der Wertung nahm.

Dabei hatten zunächst nicht nur die Zuschauer auch ohne den alten Meister ihren Spaß - der portugiesischen Mannschaft ging es ebenso. Einen alten Meister hatten sie ja trotzdem in ihren Reihen: Der 39 Jahre alte Pepe übernahm von Ronaldo die Armbinde des Kapitäns, und ein wichtiges Tor steuerte er auch bei. Er war der kahle Kopf einer Mannschaft, die ihre Lust am Spiel auslebte und sich von ihrem Gegner überhaupt nicht stören ließ.

Beim Viertelfinale gegen Marokko soll Ramos wieder frisch bei Kräften sein

Dabei hatten die Schweizer das Spiel ambitioniert begonnen. Wie in den Begegnungen der Vorrunde nahmen sie nicht die lauernde Rolle des Außenseiters ein. Breel Embolo drängte mit beachtlichem Steh- und Durchsetzungsvermögen vorwärts, aber als Sturmspitze wurde er zu oft alleingelassen. Die Portugiesen wirkten zunächst etwas passiv, doch offenbar befanden sie sich bloß in der Aufwachphase.

Den Wecker betätigte recht plötzlich der bei Benfica Lissabon tätige Mittelstürmer Goncalo Ramos. Auf Zuspiel des brillanten Joao Felix drehte er sich um Verteidiger Fabian Schär und jagte den Ball auf kürzestem Weg in die Torecke (17.). Yann Sommers Reaktion? Keine. Der Ball war, wie die Fifa wissen ließ, mit 106 Kilometer pro Stunde unterwegs.

Den Portugiesen verschaffte die Führung eine Euphorie, die nicht typisch ist für ihr Wesen und ihr Spiel. Sie waren jetzt die klar überlegene Elf, die Schweizer mussten achtgeben, die Partie nicht in dieser Phase schon abzugeben. Sommer rettete gekonnt gegen Otavio - und war zehn Minuten später doch wieder machtlos, als Pepe zwischen den Innenverteidigern Schär und Akanji am höchsten stieg und den Kopfball zum 2:0 setzte.

Die Hoffnungen der Schweizer, beim Stand von nullzwei noch lange nicht verloren zu haben, wurden gleich nach der Pause schnell enttäuscht. Goncalo Ramos fünfzehnminütige Sternstunde begann: Tor zum 3:0, Vorlage zu Guerreiros 4:0, Tor zum 5:1. Seine Auswechslung war kein Akt der Undankbarkeit, sondern eine Auszeichnung: Beim Viertelfinale gegen Marokko soll Ramos wieder frisch bei Kräften sein, um Portugals Sturm anzutreiben. Für Ronaldo bleibt dann wohl wieder nur ein Platz auf der Ersatzbank - neben dem Platz in den Herzen der arabischen Fans.

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