Polen:Eine Nationalmannschaft namens Lewandowski

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Alleinunterhalter: Robert Lewandowski (vorne) schaffte es mit Polen noch nie über eine Gruppenphase bei einer WM oder EM hinaus. (Foto: Adam Warzawa/dpa)

Noch mehr als bei vergangenen Turnieren ist der Stürmer des FC Bayern für Polens Erfolg verantwortlich - auch, weil der Trainerwechsel offenbar mit ihm zu tun hatte.

Von Sebastian Fischer, Sankt Petersburg

Robert Lewandowski hat in den vergangenen Monaten, in denen er zahlreiche Titel gewann, den Tor-Rekord von Gerd Müller brach und zum besten Spieler der Welt gekürt wurde, logischerweise Außergewöhnliches geleistet: 41 Treffer hat er in einer Bundesligasaison erzielt, davon viele in wichtigen Spielen, was auch seinen letzten Kritikern die Argumente raubte. Sieben Tore hat er aufgelegt, ein Indiz für seine fußballerische Weiterentwicklung zum mannschaftsdienlichen Angreifer. Und er hat es geschafft, zwölf Pokale neben sich in seinem Bett für ein Foto zu verteilen, was für überdurchschnittliche Organisationsfähigkeit spricht.

Die Aufgabe allerdings, die dem 32 Jahre alten Stürmer des FC Bayern nun bevorsteht, könnte die schwierigste sein: Tore schießen, Tore vorbereiten und organisieren, alles gleichzeitig? Ungefähr so sieht sein Job-Profil in der polnischen Nationalmannschaft aus, die er als Kapitän anführt, und die an diesem Montag in Sankt Petersburg gegen die Slowakei ins Turnier startet.

Die polnischen Anhänger begleiten den Auftakt mit einer ordentlichen Dosis Skepsis, das letzte Testspiel dient dafür als Beleg. Es gelang, gerade so mit einem Ausgleichstreffer kurz vor Schluss, nur ein wenig inspiriertes 2:2 gegen den Nicht-EM-Teilnehmer Island. Andererseits tritt Polen erstmals mit einem Weltfußballer an. Muss da nicht was gehen?

Nun ist es natürlich so, dass in Polen die Qualitäten Lewandowskis nicht erst bekannt sind, seit sie ihm 2020 offiziell zum Weltruhm verholfen haben. Polens Fußballer des Jahres war er erstmals 2011, damals als Bediensteter von Borussia Dortmund, seitdem hat er an zwei Europa- und einer Weltmeisterschaft teilgenommen. Nur einmal, bei der EM 2016, schaffte es die Auswahl über die Gruppenphase hinaus. Damals, als erst im Viertelfinale gegen Europameister Portugal im Elfmeterschießen Schluss war, schoss Lewandowski nur ein Tor. Dem ehemaligen Dortmunder Jakub Blaszczykowski, mit Lewandowski in einer Art Privatfeindschaft verbunden, gelangen zwei Treffer.

Lewandowski stützt den neuen Nationaltrainer - Polens Expertenriege ist da skeptischer

Die Hoffnung war es diesmal, ihm wieder ähnlich talentierte Spieler zur Seite zu stellen, die ihn entlasten. Doch just Arkadiusz Milik von Olympique Marseille und Krzysztof Piatek von Hertha BSC, die jeweils an seiner Seite hätten stürmen können, fallen verletzt aus. Ansonsten sind kaum Spieler von internationalen Topklubs im Aufgebot eingegliedert. Lewandowski weicht, anders als in München, oft sogar ins Mittelfeld zurück. Die Zeitung Gazeta Wyborcza schrieb zuletzt, wenig schmeichelhaft: "Wenn Lewandowski das Trikot der Nationalmannschaft anzieht und sich für ein paar Cent abschwitzt, fliegt er ein paar Stockwerke tiefer." Bei den Nationalmannschaften müssten eben "im Extremfall die Stars auch mit Stümpern zusammenarbeiten".

Die Verantwortung des Stürmers für Polens Erfolg ist diesmal auch aus einem anderen Grund noch etwas größer, nicht nur, weil er vielleicht so gut wie nie ist und damit im Team eine Ausnahmeerscheinung wie selten zuvor. Es geht, so lautet die Erzählung in Polen, auf Lewandowskis Einfluss zurück, dass der Verband zu Jahresbeginn den Trainer wechselte. Paulo Sousa, als Spieler unter anderem bei Borussia Dortmund und als Coach zuvor bei Girondins Bordeaux, übernahm den Job von Jerzy Brzeczek. Letzterer, Blaszczykowskis Onkel, war durchaus erfolgreich. Aber er soll an seinem wichtigsten Spieler gescheitert sein.

Als Brzeczek im vergangenen September seine Biografie veröffentlichte, hieß es darin, dass Lewandowski "schwierig" sei. Er habe zu Beginn versucht, den Nationaltrainer "einzunorden". Er wollte prüfen, "ob ich Ahnung vom Fußball hatte oder nicht", schrieb Brzeczek: "Und alle sahen dabei zu." Im Januar war seine Zeit als Trainer zu Ende. Verbandschef Zbigniew Boniek, vor Lewandowski wohl Polens größter Fußballer, ist ein großer Fan des Stürmers vom FC Bayern.

Sousa, 50, war als eine seiner ersten Amtshandlungen zu Besuch in München. Wenn er über Lewandowski spricht, klingt es so: "Er ist ein sehr sensibler Junge, er will immer groß auftreten. Er weiß, wie man den Unterschied macht und er wird ihn auch machen." Lewandowski, der sich mit Brzeczeks Vorgänger Adam Nawalka so gut verstanden haben soll, dass die beiden bei der WM 2018 angeblich zweitweise das Training der Mannschaft gemeinsam beobachteten, tritt nun auch wieder als Unterstützer seines Nationalcoachs auf. Der wiederum hat das durchaus nötig. Denn Sousas taktische Ideen gelten als bisweilen experimentell. Und Polens Expertenriege nutzt nicht selten die Gelegenheit, den Gelehrten aus dem Ausland zu kritisieren. Franciszek Smuda, Nationaltrainer von 2009 bis 2012, nannte Sousa zuletzt einen "Quacksalber".

Bei all seiner Bedeutung für den möglichen Erfolg: Lewandowski werden sie in Polen für einen etwaigen Misserfolg der Mannschaft eher nicht verantwortlich machen.

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