Auch modisch ist Pierre-Emerick Aubameyang ein sagenhafter Verwandlungskünstler, da kommt in der Bundesliga sonst wohl keiner mit. Am Mittwochabend fiel der Stürmer von Borussia Dortmund überraschend dadurch auf, dass er beim 1:0-Erfolg in der Champions League gegen Sporting Lissabon schick gekleidet auf der Tribüne saß. Er trug einen grauen Mantel mit hochgestelltem Kragen und passendem Hut, den er festhielt, als er aufstand und den Treffer des Kollegen Adrian Ramos würdigte. Nachher stieg der Dressman Aubameyang in seinen feuerroten Ferrari und fuhr nach Hause - er hatte soeben eine gut sichtbare Strafversetzung hinter sich gebracht.
Kaum drei Tage später durfte der französische Gabuner mit spanischer Mutter am Samstagnachmittag im Hamburger Volksparkstadion dann wieder das gelb leuchtende Trikot mit der Nummer 17 zur Sturmfrisur anziehen und mitspielen. Seine Rückkehr auf den Rasen gestaltete er so: In der 4., 23. und 27. Minute besorgte Aubameyang nach jeweils gruseligen Aussetzern der Hamburger Verteidiger lässig die Dortmunder Tore eins, zwei und drei. Ein Hattrick in kaum einer halben Stunde, das war schon mal sehr ordentlich. Das 0:4 ließ der Afrikaner dann nach dem nächsten Unfall des HSV in der 48. Minute folgen. Das alles geschah vor den Augen der Legende Uwe Seeler, der in 476 Spielen für den alten HSV 404 Tore geschossen hatte und nun seinen 80. Geburtstag feierte. Vor allem gelang es aber vor den Augen des etwas jüngeren Thomas Tuchel, seinem Trainer.
Nach der Länderspielpause kommt der FC Bayern vorbei
Bereits beim ersten dieser Treffer lief der Schütze zu Tuchel und sagte: "Sorry again", noch mal sorry. Wenn man Aubameyangs Bericht nachher richtig verstand, dann erwiderte Tuchel: "Two more goals", noch zwei Tore. Aubameyang: "Okay!" Es wurden sogar noch drei Tore. Denn der schnellste Angreifer des Bundesliga wollte weniger dem Jubilar Seeler imponieren, obwohl er als einziger so richtig verstand, wie man einen alten Torjäger beeindruckt. Der begnadigte Aubameyang wollte Buße tun.
Tuchel hatte den Freund spontaner Ideen zuletzt deshalb ins Publikum verbannt, weil er kurz vor dem Match gegen Lissabon nach Mailand geflogen und spät zurückgekommen war. Ein Beweisfoto auf Instagram zeigte Aubameyang in einem Mailänder Restaurant. "Ich habe einen Fehler gemacht und wollte mich bei der Mannschaft und dem Trainer entschuldigen", erläuterte der Weltbürger jetzt bestens gelaunt auf Englisch. Fehler seien menschlich, "das war meine Reaktion". Man darf die Entschuldigung als eindeutig gelungen bezeichnen, das sah auch Tuchel so. "Vier Tore sprengen jede Erwartungshaltung", sagte der Trainer. "Es ist fantastisch, einen Spieler wie Auba zu haben."
Mit skurriler Unterstützung des HSV trug der geläuterte Auba erheblich dazu bei, dass sein BVB nach vier Bundesligaspielen mal wieder gewann und sich mit 18 Punkten wieder der Spitze nähert. Den Sieg habe man heute dringend gebraucht, fand Tuchel. Nach der Länderspielpause kommt in 14 Tagen der FC Bayern vorbei, da ließe sich der Rückstand weiter verkürzen - und Aubameyangs Vorsprung ausbauen. Elfmal hat er in dieser Saison getroffen, so oft wie der Kölner Anthony Modeste, sein Münchner Rivale Robert Lewandowski ist mit sieben Toren Dritter. Auch um dieses Dauerduell wird es gehen, wenn sich die beiden in Dortmund begegnen, sofern der flinke Aubameyang nicht vorher wieder irgendwohin verschwindet. Den Ball, den er viermal ins Netz getreten hatte, klemmte sich der amnestierte Überflieger unter den Arm und nahm ihn sehr zufrieden mit.