Ovtcharov verliert Tischtennis-Halbfinale:Vom Weltmeister zurechtgewiesen

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"120 Prozent" wollte Dimitrij Ovtcharov abrufen und damit ins olympische Tischtennis-Finale einziehen. Sein Plan ging nicht auf. Der Chinese Zhang Jike zeigt Ovtcharov, dass die Zeit des jungen Deutschen vielleicht erst noch kommt. Dem Weltmeister genügen dazu ganz kleine Gesten.

Jürgen Schmieder, London

Mitte des zweiten Satzes sah Zhang Jike zu Dimitrij Ovtcharov. Er lächelte und hob den Finger, während sein Trainer hinten wild jubelte. Zhang hatte gerade einen spektakulären Ballwechsel für sich entschieden, er hatte den deutschen Tischtennisspieler hin- und hergejagt und am Ende mit einer schnellen Rückhand vollendet. Zhang jubelte nicht martialisch, die kleine Geste sollte Ovtcharov zeigen: Kein Problem, ich habe dieses Halbfinale im Griff. Am Ende gewann der Chinese mit 11:9, 11:3, 5:11, 11:9 und 11:8.

Hat seine Außenseiter-Chance im Halbfinale nicht genutzt: Dimitrij Ovtcharov unterliegt. (Foto: dpa)

Dimitrij Ovtcharov hatte extra das Olympische Dorf verlassen, um sich auf den Finaltag im Tischtennis vorzubereiten. Er hatte nicht den Fehler machen wollen, den Timo Boll vor wenigen Tagen begangen hatte. Der war nach dem Drittrunden-Match vom Messegelände an der Themse zurück ins Olympische Dorf gefahren, hatte sich ausgeruht, dann 30 Minuten lang durch den Londoner Verkehr zurückgefahren - und verlor im Achtelfinale. Ovtcharov dagegen war am Mittwoch lieber in ein Hotel in der Nähe des ExCeL Centre gezogen.

"Es ist ein straffes Programm mit zwei so wichtigen Spielen am selben Tag", hatte Bundestrainer Jörg Roßkopf gesagt, "ich kenne diesen Zeitplan von 1996. Das ist alles sehr stressig." Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta hatte er die Bronzemedaille gewonnen. Der Trainer hatte bereits vor den Wettkämpfen betont, dass es im deutschen Team nicht nur Timo Boll gebe, sondern dass auch der zweite deutsche Spieler zu den Favoriten auf eine Medaille gehöre. Boll übrigens war in der Halle, um Ovtcharov zu unterstützen.

Ovtcharov hatte sich bislang im Turnier aggressiv und nervenstark präsentiert. Er agierte stets nah an der Platte, setzte seine Gegner unter Druck und blieb auch auch in kniffligen Situationen gelassen. Die ersten beiden Spiele hatte er ohne Satzverlust gewonnen, im Viertelfinale besiegte er den Dänen Michael Maze nach sieben Sätzen, der letzte Durchgang endete 11:9. "Ich weiß, dass der Fokus nach Timos Aus auf mich gerichtet war", sagte Ovtcharov nach dem Viertelfinale, "ich bin der letzte Europäer im Turnier, das macht mich sehr stolz."

Im Halbfinale wartete der Chinese Zhang Jike, von dem vor dem Turnier behauptet wurde, dass er eigentlich nur von einem Spieler besiegt werden könne: dem anderen chinesischen Spieler Hao Wang. China durfte ja im Gegensatz den Spielen von Peking nur zwei Akteure nominieren, das waren dann die beiden, die in der Weltrangliste ganz oben stehen.

Im Verlauf des Wettkampfes hatte sich Zhang einmal wacklig präsentiert, gegen den Weißrussen Wladimir Samsonow, er hatte viele Fehler gemacht und auch Probleme mit seinem Aufschlag gehabt. Nicht nur deshalb sagte Roßkopf vor der Partie: "Klar kann man den schlagen - wer im Halbfinale ist, der kann jeden schlagen."

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Drei Medaillen, zwei davon Gold: Schwimmerin Ranomi Kromowidjojo ist die erfolgreichste Athletin aus den Niederlanden. Serena Williams deklassiert ihre Gegnerin Maria Scharapowa im Tennis-Finale und gewinnt zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen in Wimbledon, Triathletin Nicola Spirig siegt im Fotofinish.

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Roßkopf verwies auch darauf, dass Ovtcharov erst zweimal gegen Zhang verloren und ihn ein Mal bei einem wichtigen Turnier besiegt hatte. Das war im Jahr 2009, weshalb Ovtcharov vor dem Halbfinale schnell mal eine eigentlich unmögliche Rechnung aufstellte: "Wenn ich 120 Prozent abrufe, dann habe ich eine kleine Chance." Auch Adrian Crisan, der im Achtelfinale Timo Boll besiegt hatte, sagte vor der Partie: "Ovtcharov ist der Außenseiter, aber er hat eine Chance."

Ovtcharovs Markenzeichen ist der Rückhandaufschlag aus der tiefen Hocke heraus, vom Time-Magazin im Jahr 2008 in einer Liste mit den besten Sport-Erfindungen auf Rang 36 geführt. Seine Hand, so war damals zu lesen, tanze dabei, die unheimliche Bewegung verblüffe den Gegner.

Diesen Aufschlag präsentierte Ovtcharov immer wieder - und Zhang hatte zunächst doch Probleme mit den kniffligen Eröffnungen. Bei Angaben des Chinesen geriet der 23 Jahre alte Ovtcharov sofort in die Defensive, Zhang machte bei seinen Angriffen keinen Fehler. Den ersten Durchgang verlor er knapp mit 8:11.

Im zweiten Durchgang agierte der Chinese noch konzentrierter, aggressiver und kreativer - das war auch der Moment, in dem er die kleine Botschaft an Ovtcharov sendete und den Satz mit 11:3 gewann. Ovtcharov ließ sich zunächst nicht beunruhigen, spielte weiter seine Rückhandaufschläge - reagierte nun jedoch aggressiver, wenn er retournieren musste. Er gewann souverän mit 11:5.

Der vierte Satz war dann äußerst knapp, Ovtcharov verlor am Ende, weil der Ball an die Netzkante flog und von dort aus nicht auf die Platte tropfte. Auch der fünfte Durchgang war umkämpft, doch gewann der Chinese die prägenden Punkte, er spielte die Aufschläge von Ovtcharov humorlos zurück und siegte souverän mit 11:8.

"Dimitrij hatte seine Chance, wie man auch am Ergebnis erkennen kann", sagte Trainer Jörg Roßkopf nach der Partie, "er hat ein paar leichte Fehler mit der Rückhand gemacht, was natürlich auch daran lag, dass der Chinese aggressiv und fast fehlerfrei gespielt hat. Wenn Ovtcharov den vierten Satz gewonnen hätte, dann hätte das Spiel neu angefangen, aber diese Punkte hat er nicht gemacht."

Ovtcharov spielt am Nachmittag gegen den Taiwanesen Chuang Chih-Yuan um die Bronzemedaille. Er wollte nach dem Halbfinale nichts sagen, er ging sogleich hinüber in sein Hotel. War ja kein weiter Weg.

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