Es könnte dennoch für manch einen Sportfunktionär à la Vizer ein willkommener Anlass sein, die friedenstiftende Wirkung von Sport-Großereignissen zu betonen. Und hat Putin nicht sogar gegen den Willen des eigenen Geheimdienstes veranlasst, dass in Sotschi wie damals in Peking 2008 Protestzonen ausgewiesen werden? IOC-Chef Thomas Bach erklärte dazu, er habe sich sehr darüber gefreut und schloss: "Jeder kann seine freie Meinung äußern." Wo diese Zonen liegen sollen, und wer darin seine freie Meinung äußern soll, ist unklar. In Peking traute sich jedenfalls niemand, das Regime dort offen zu kritisieren.
In welche Länder Olympische Spiele oder eine Fußball-Weltmeisterschaft vergeben werden, das entscheidet jeweils ein kleiner Kreis Sportfunktionäre des IOC oder der Fifa, um die sich regelmäßig düstere Geschichten rund um Korruption und Mauscheleien ranken. Wie konnte es etwa dazu kommen, dass das IOC die Winterspiele 2014 an einen subtropischen Luftkurort an der russischen Schwarzmeerküste gab?
Im Juli 2007 kam das IOC in Guatemala-Stadt zusammen. In Sotschi und Umgebung stand damals nichts, was an Wintersport erinnerte, die Bewerbung bestand mehr oder minder aus einem Trickfilm. Das russische Rahmenprogramm war indes vom Feinsten: In einem extra errichteten Eislaufstadion zeigte Einkunstlauf-Olympiasieger Jewgenij Pljuschtschenko sein Können, in der Nähe des IOC-Hotels lockte eine riesige Party mit Wodka und Kaviar, dazu waren sehr hübsche Russinnen eingeflogen worden. Sogar Putin selbst kam, der am Vorabend der Abstimmung entgegen den Ethik-Regeln noch mit diversen Mitgliedern des IOC gespeist haben soll. Sotschi gewann.
Attitüde einer Kolonialmacht
Seither freute sich Russland auch über den Zuschlag für die Fußball-WM 2018, die WM 2022 vergaben die Fifa-Männer nach Katar, wo ausgebeutete Wanderarbeiter unter Lebensgefahr in glühender Hitze Stadien bauen, die dann auf erträgliche Temperaturen heruntergekühlt werden sollen. In Brasilien, Austragungsort der WM 2014 und der Olympischen Sommerspiele 2016, schwelt indes der Unmut der Bevölkerung, weil die Sportveranstaltungen Milliarden verschlingen, währenddessen viele Menschen in Armut leben. Die Fifa wird dort als Kolonialmacht empfunden, weil sie dem Veranstalterland einen Knebelvertrag vorlegt, der dem Weltverband die Steuern erlässt und die Rechte seiner Sponsoren absichert gegen die vielen einheimischen Kleinunternehmer.
Weil die Fifa in Brasilien mit einigen Problemen zu kämpfen hat, sagte Generalsekretär Jérôme Valcke einmal: "Das mag jetzt vielleicht verrückt klingen, aber manchmal ist weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser. Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt, vielleicht wie Putin sie 2018 hat, ist es für uns Organisatoren leichter als etwa in Ländern wie Deutschland, in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden muss."
IOC-Chef Thomas Bach hat sich zu solchen Aussagen noch nicht verstiegen, doch mit Kritik an Putins Wirken hält auch er sich zurück. Zuletzt lobte er den Stand der Olympia-Vorbereitungen, die "hervorragenden Sportstätten" und das "ausgezeichnete Athletendorf". Der erfahrene Sportpolitiker bietet all seine diplomatischen Kräfte auf, um das IOC aus den politischen Debatten herauszuhalten. Schließlich ist auch er ein Kind des Systems, in dem nicht nur Putin seine Macht ausspielt.
Sportaccord-Chef Vizer zum Beispiel kam kurz vor Bach ins Amt. Seine stärksten Wahlhelfer waren: Scheich Ahmad al-Sabah aus Kuwait, der wenig später im Hintergrund der Königsmacher für Bach sein sollte. Vizers zweiter Unterstützer hieß Wladimir Putin. Vizer nennt Putin seinen Freund. Der Scheich und Russlands Präsident wirken seit Jahren massiv in die Sportwelt hinein, nutzen ihre Kontakte und nicht zuletzt ihre Milliarden aus dem Öl- und Gasgeschäft.
Nicht nur in Brasilien steigt deshalb das Unbehagen gegenüber den großen Sportverbänden und ihren Veranstaltungen. In der Schweiz und in Bayern wurden zuletzt per Bürgerentscheid Olympia-Bewerbungen abgelehnt. Das Image wird zunehmend schlecht, was alsbald die Sponsoren und zahlenden TV-Sender beschäftigen dürfte. Auch sie will Putin mit seiner Symbolpolitik besänftigen.