Olympische Spiele:Vierte Welle statt fünf Ringe

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"Wenn Sie fragen, ob Olympia und Paralympics um jeden Preis stattfinden sollten, würde ich sagen: nein." - Toshihiro Nikai, Generalsekretär von Japans rechtskonservativer Regierungspartei LDP. (Foto: Zuma Wire/Imago)

Die Nummer zwei der japanischen Regierungspartei denkt laut über die Absage der Olympischen Spiele nach. Damit dürfte Toshihiro Nikai vielen im Gastgeberland aus der Seele sprechen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Am Donnerstagnachmittag versuchte Toshihiro Nikai wieder einzufangen, was ihm am Vormittag zu einer möglichen Absage der Olympischen Spiele in Tokio entglitten war. Aber Nikai, 82, Generalsekretär von Japans rechtskonservativer Regierungspartei LDP, ist kein besonders gewandter Politiker. Er ist bekannt für markante, mitunter etwas rustikale Aussagen. Etwas zurückzunehmen, ist nicht seine Stärke. Und weil er als einer der wichtigsten LDP-Strategen gilt, der nichts ohne Hintersinn sagt, brachte Nikai seine Bemerkung nicht mehr raus aus den Medien. "Wenn es unmöglich wird, dann sollten wir sie absagen", hatte er bei der Aufzeichnung einer Fernsehsendung gesagt, "was ist der Punkt Olympias, wenn sich dadurch die Infektionen verbreiten?"

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Man darf annehmen, dass jeder halbwegs vernünftige japanische Regierungsvertreter dieser Tage so denkt über das Riesenereignis, das am 23. Juli im Tokioter Olympiastadion mit 11 000 Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt eröffnet werden soll. Tokios Politik-Elite muss die Möglichkeit, dass die Spiele ausfallen könnten, allmählich zumindest mal andenken. Und zwar nicht nur deshalb, weil die neueste Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo diese Woche zeigte, dass weiterhin 72 Prozent der Befragten gegen das Weltsportfest in diesem Sommer sind. Sondern weil es gerade keine Anzeichen darauf gibt, dass Japans Pandemie-Management das Coronavirus rechtzeitig klein kriegt.

Seit am 22. März die vorerst letzte Notstandserklärung für Tokio und drei anliegende Präfekturen endete, sind die Infektionszahlen so angestiegen, dass Shigeru Omi, Vorsitzender im Coronavirus-Subkomitee der Regierung, von einer "vierten Welle" spricht.

Für sechs Präfekturen gilt aktuell der Semi-Notstand

Für sechs Präfekturen inklusive Tokio und Osaka gilt schon wieder ein Semi-Notstand. Die Präfektur Osaka meldete am Donnerstag 1208 neue Corona-Infektionen - Rekord. Die Etappen der Olympischen Fackelstaffel dort wurden abgesagt oder in abgesperrte Areale verlegt. Schon ist die Rede davon, dass eine neue Notstandserklärung nötig werden könnte. Toshio Nakagawa, Chef des japanischen Medizin-Verbandes, sagt: "Ein Zusammenbruch des medizinischen Versorgungssystems hat schon begonnen." Laut Kyodo sind in Osaka über 90 Prozent der Betten für Patienten mit schweren Symptomen belegt. Japanweit gab es am Mittwoch mit mehr als 4300 Neuinfektionen so viele wie seit dem 23. Januar nicht mehr. In Europa sieht die Krise immer noch schlimmer aus. Aber Japan schottet sich ja auch weitgehend gegen Einreisende aus dem Ausland ab. Das geht bei Olympia nicht mehr so richtig.

Die Vorbereitungen auf die Spiele laufen indes weiter. Am Mittwoch gab es eine kleine Zeremonie zum Beginn des 100-Tage-Countdowns. Tokios Gouverneurin Yuriko Koike versprach wieder sichere Spiele. Der aktuelle Semi-Notstand, der bis 11. Mai dauern soll, sei "eine sehr wichtige Periode, um den Kampf gegen das Coronavirus zu gewinnen". Solche Perioden hat Koike während der Pandemie schon oft ausgerufen. Sie dürfte allmählich auch spüren, dass professioneller Optimismus allein nicht weiterhilft in dieser Phase. Eher schon ein Wunder. Und wenn keines kommt?

Toshihiro Nikai hat diese Frage beantwortet, als er von der möglichen Absage sprach. Medien berichteten. Die Opposition regte eine Debatte an. Reform-Minister Taro Kono, zuständig für das staatliche Impfprogramm, sagte im Fernsehen, die Spiele würden "auf jede mögliche Art" stattfinden, was interessant war, weil Kono selbst im Januar aus der Regierungslinie ausgeschert war und gesagt hatte, Tokios Olympia könne gut oder schlecht ausgehen.

Und Nikai? Die LDP stehe felsenfest zu den Spielen, ließ er in einem Statement zur Beschwichtigung verbreiten: "Ich meinte nur, wenn Sie fragen, ob Olympia und Paralympics um jeden Preis stattfinden sollten, würde ich sagen: nein." Schon das klang anders als jene Gewissheit, die Japans Regierung sonst immer zur Schau stellte.

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