Olympique Lyon:Wie damals auf dem Bolzplatz

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Feinste Technik weltweit: Dzsenifer Marozsan, hier im Spiel gegen den FC Bayern. (Foto: Panoramic / Imago / Pool / Uefa)

Dzsenifer Marozsán hofft mit Olympique Lyon auf ihren fünften Champions-League-Titel. Für beide Teams geht es um die Vollendung der Saison durch das Triple.

Von Anna Dreher, San Sebastián/München

Für Dzsenifer Marozsán hätte das Finale der Champions League am Sonntag in San Sebastián ursprünglich ein Abschiedsspiel sein sollen. Noch mal die ganz große Bühne zum Abschluss eines ruhmreichen Kapitels. 2016 hatte sie als Olympiasiegerin den nächsten Schritt ihrer Fußball-Karriere angetreten. Vom 1. FFC Frankfurt wechselte sie aus der Bundesliga zu Olympique Lyon, dem erfolgreichsten Team Europas. Schon ihr erstes Jahr zeichnete den trophäengesäumten Weg vor, den sie mit diesem Klub gehen würde: auf Anhieb Leistungsträgerin, Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League sowie als Fußballerin des Jahres in Frankreich ausgezeichnet. Aber so langsam, fand Marozán drei Jahre später, war es doch wieder Zeit für einen Wechsel, Zeit für neue Impulse.

Marozsán wollte gemeinsam mit Lyons Torhüterin Sarah Bouhaddi im Sommer 2020 zu den Utah Royals in die National Women's Soccer League (NWSL) wechseln. Das wurde im Frühjahr bekannt. Alle US-Weltmeisterinnen spielen in ihrer heimischen Profiliga. Marozsán findet die NWSL vor allem wegen der sehr körperbetonten Spielweise spannend, sie wollte dort ihre Athletik verbessern.

In die USA zu gehen, ist ein nachvollziehbarer Schritt für zwei Spielerinnen, die im europäischen Frauenfußball mit ihrem Klub alles gewonnen haben, was es zu gewinnen gibt - einiges davon mehrmals. Die Coronavirus-Pandemie aber brachte diese Pläne durcheinander. Und Lyons Präsident Jean-Michel Aulas - der die Nummer 10 für eine der wichtigsten seiner Spielerinnen hält - überzeugte Marozsán, 28, und Bouhaddi, 33, von einer Vertragsverlängerung. Die Mittelfeldspielerin gab Ende Juni bekannt, dass sie für drei weitere Jahre unterschieben hat.

Gegen den VfL Wolfsburg könnte Olympique Lyon am Sonntag (20 Uhr, Sport1) zum fünften Mal in Serie und zum siebten Mal insgesamt die Champions League gewinnen. Für beide Teams geht es um die Vollendung der Saison durch das Triple. Die Rivalität ist von gegenseitigem Respekt geprägt. Lyon gilt als der Klub, der im Frauenfußball Maßstäbe setzt; Wolfsburg hält im Rahmen seiner Möglichkeiten mit. Zum vierten Mal stehen sich die beiden beim Höhepunkt dieses Wettbewerbs gegenüber. Zweimal triumphierte dabei Olympique (2016, 2018), einmal der VfL (2013). Wer dieses Jahr siegt? Schwer zu sagen. Während Wolfsburg die letzte Pflichtspielniederlage 2019 im Champions-League-Viertelfinale gegen Lyon (2:4) hinnehmen musste und eine äußerst konstante Saison absolviert hat, ist Lyon die mangelnde Spielpraxis durch die lange Corona-Pause anzumerken. Vor allem beim 2:1 gegen den FC Bayern zum Auftakt des Finalturniers blieben Marozsán und ihre Mitspielerinnen unter ihren Möglichkeiten. Aber sie sind individuell besser und erfahrener.

Marozsán brächte ein Sieg gegen einige ihrer deutschen Nationalmannschaftskolleginnen ihren fünften Champions-League-Titel. Besonders war vor allem jener im vergangenen Jahr, als sie in ihrer Geburtsstadt Budapest in der 5. Minute das Führungstor schoss. Nach einem Hattrick von Ada Hegerberg stand es schon nach einer halben Stunde 4:0 gegen den FC Barcelona. Das Spiel endete 4:1.

Statt selbst zu treffen, setzt Marozsán aber noch lieber andere in Szene. Sie ist diejenige, die aus dem Zentrum heraus die Kreativität bringt; diejenige, die ein so gutes Verständnis und Auge für das Spiel hat, dass sie aus allen möglichen Positionen feinste Vorlagen geben kann - und in Sachen Technik als unerreicht gilt. Als Amandine Henry, im defensiven Mittelfeld selbst eine der weltweit Besten sowie Leistungsträgerin Lyons, einmal zu Marozsán befragt wurde, sagte sie: "Ich würde ganz einfach sagen, dass sie in Bezug auf Technik und Können die beste Fußballerin der Welt ist. Sie ist stark, sie hat eine großartige Übersicht, und sie ist selbstlos." Und: "Sie ist wirklich bescheiden, bodenständig und denkt immer an andere Menschen."

Ihre Kindheit, erzählte Dzsenifer Marozsán vor ein paar Jahren, habe sie auf dem Bolzplatz mit ihrem Bruder verbracht. Sie sei immer das einzige Mädchen gewesen. Ihr feines Gefühl für den Ball habe sie aus dieser Zeit, mit den Jungs auf der Straße. Auch an dieses Kapitel wird sie denken, wenn sie am Sonntag die Hymne der Champions League im Estadio Anoeta hört.

© SZ vom 30.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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