Olympia:Wintersportriese Deutschland wankt

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Sotschi (dpa) - Der Wintersportriese Deutschland kehrt von den Olympischen Spielen in Sotschi stark angeschlagen zurück. "Die Ziele haben wir definitiv nicht erreicht", resümierte Chef de Mission Michael Vesper.

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Sotschi (dpa) - Der Wintersportriese Deutschland kehrt von den Olympischen Spielen in Sotschi stark angeschlagen zurück. „Die Ziele haben wir definitiv nicht erreicht“, resümierte Chef de Mission Michael Vesper.

Mit 19 Edelplaketten verfehlte das deutsche Team nicht nur das 30-Medaillen-Ziel deutlich, sondern landete weit abgeschlagen nur auf Platz sechs des Medaillenspiegels. Der Doping-Fall Evi Sachenbacher-Stehle kostete zudem viel an Reputation in der olympischen Welt, in der sich die Deutschen gern als Vorkämpfer gegen Sportbetrug präsentieren.

„Die Bilanz ist in der Tat enttäuschend“, bekannte Vesper. Auch Silber und Bronze durch die Snowboarderinnen Anke Karstens und Amelie Kober im Parallel-Slalom sowie Rang zwei durch die Biathlon-Staffel der Männer konnten am Schluss-Wochenende das schlechteste Olympia-Abschneiden seit der Wiedervereinigung und den Spielen 1992 in Albertville nicht verhindern. „Es sieht mit diesen drei Medaillen etwas besser aus. Schöner wäre am Ende eine Zahl mit einer „2“ davor gewesen, meinte Vesper.

Trotz Doping-Peinlichkeit und historischem Tief freute er sich auf die Willkommensfeier am Montag am Münchner Flughafen, bei der Bundespräsident Joachim Gauck die Olympia-Heimkehrer erwarten wird. „Nach dem Schock hat sich die Stimmung gebessert. Trotz allem haben wir eine gute Vorstellung gezeigt“, sagte Vesper. „Der Bundespräsident kann uns mit positiven Gefühlen empfangen.“

Zur Olympia-Halbzeit hatte Vesper nach „elf herausragenden Tagen“ und acht Goldmedaillen noch von „Frühlingsgefühlen“ geschwärmt. Am Ende verglich er sich mit einem frustrierten Stadionbesucher der unvergesslichen Partie Deutschland-Schweden. „Ich komme mir vor wie bei einem Fußballspiel, bei dem man 4:0 führt und mit einem 4:4 nach Hause geht“, sagte er.

„Jede Medaille hat zwei Seiten. Wir haben beide kennengelernt“, meinte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Dazu gehörte neben der sportlichen Misere der Doping-Sündenfall von Sachenbacher-Stehle, die positiv auf ein Stimulanzmittel getestet und disqualifiziert wurde. Sie will es unwissentlich durch verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel in ihren Körper aufgenommen haben.

Die Affäre wird nach den Spielen die Justiz beschäftigen. Der DOSB erstattete Anzeige gegen unbekannt, um zu erfahren, wie es zum Doping kam und ob Hintermänner beteiligt waren. Die Staatsanwaltschaft München hat schon Hausdurchsuchungen durchgeführt um Beweise zu sichern. Ein Sprecher der bayerische Behörde betonte, dass sich die Ermittlungen nicht gegen die Sportlerin richtet. „Es ist klar, dass das Umfeld untersucht werden muss, wer das Zeug besorgt hat und mit welchen Kenntnissen“, erklärte Vesper.

DOSB-Chef Hörmann zeigte sich schockiert, weil gegen alle Empfehlungen verstoßen worden sei. „Das hätte in dieser Weise nicht passieren dürfen“, betonte er. „Wir hätten der Mannschaft diesen Fall gerne erspart. Das Bild ist davon beeinträchtigt.“ Der 53-jährige Unternehmer, keine 100 Tage im Spitzenamt, wird aber vor allem damit zu tun haben, den deutschen Wintersport wieder stark zu machen.

Schließlich ist die Kluft zu den drei Topnationen von Sotschi enorm: Gastgeber Russland holte 33 Medaillen (13 Gold/11 Silber/9 Bronze), Norwegen 26 (11/5/10) wurde Zweiter. Sogar die Niederländer liegen mit 24 Medaillen noch vor dem deutschen Team. „Wir stehen vor der klaren Aufgabe, die Dinge zu analysieren“, sagte Hörmann und mahnte angesichts der ersten kritischen Stimmen aus der Heimat: „Wir sind wir offen für alle konkreten Vorschläge. Es sollte aber nicht der eine über den anderen reden.“

Gegen die Kritik, der DOSB hätte mit dem 30-Medaillen-Ziel den Mund zu voll genommen, setzte sich Vesper zur Wehr. „Es war nicht unrealistisch, das Potenzial war da, zumindest das untere Ziel von 27 Medaillen zu erreichen“, sagte er. Immerhin habe das deutsche Team auf den Rängen vier bis acht das Soll erfüllt: Mit mehr als 50 Top-Acht-Plätzen bewegte man sich auf dem Niveau von Vancouver.

Die alpinen Skirennfahrer, Nordischen Kombinierer, Rodler und Skispringer haben ihre Medaillenversprechen eingelöst oder sogar übertroffen. „Viermal Gold und einmal Silber im Rodeln: Da ist für uns noch mehr drin, da heißt es die Stärken stärken“, sagte DOSB-Leistungssportdirektor Bernhard Schwank.

Allerdings reist er mit großen Sorgen zurück. Im Eisschnelllauf gab es erstmals seit 50 Jahren keine Medaillen, im Skeleton rast man hinterher, im Bob erwiesen sich Materialprobleme als Bremse, im Shorttrack gab es nichts Zählbares. Bei den Trenddisziplinen sorgten die Snowboarderinnen im Olympia-Finish gerade noch für Treffer. „Wir sollten nicht zu kritisch und negativ auf die schauen, die lange sehr erfolgreich waren“, warb Hörmann um Verständnis.

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