Olympia: Unfälle im Bob:Maulkorb an der Unglücksbahn

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Nach elf Stürzen im ersten Bobtraining wird den Sportlern vom Weltverband nahegelegt zu schweigen. Im Whistler-Eiskanal fährt weiter die Angst mit.

F. Heckenberger

René Hoppe sitzt zu Hause in Floh-Seligenthal in Thüringen. Der Anschieber im Bob von André Lange musste kurz vor den Olympischen Spielen passen, eine Wadenverletzung machte seine Teilnahme unmöglich. "Dabei hatte ich mich so auf die sehr schöne Bahn in Whistler gefreut. Da geht's richtig ab", sagt Hoppe - er meint das positiv, er meint die sportliche Herausforderung. Doch mittlerweile bekommt solch ein Satz wie "Da geht's richtig ab" schnell einen schalen Beigeschmack.

Kopf über: Der slowakische Zweibob mit Pilot Milan Jagnesak als einer von zehn Gestürzten. (Foto: Foto: AFP)

Vor einer Woche ist der georgische Rodler Nodar Kumaritaschwili im Whistler Sliding Center ums Leben gekommen. Der schnellste Eiskanal der Welt ist zur Unglücksbahn geworden, auf der jede Fahrt genau beäugt, jeder Sturz analysiert wird und jede Äußerung eines Sportlers besonderes Gewicht bekommt. Es ist eine angespannte Situation, die vor den am Wochenende beginnenden Bob-Wettbewerben zu eskalieren droht.

Die Diskussion um die Sicherheit der Strecke ist neu entflammt, seit am ersten Trainingstag der Bobfahrer acht, am zweiten Tag noch einmal drei Bobs stürzten. Darin saßen Außenseiter wie der Australier Duncan Harvey, aber auch erfahrene Piloten wie Europameister Beat Hefti aus der Schweiz, der mit Prellungen und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht wurde.

Auch der Deutsche Karl Angerer stürzte und sagte nach seinem missglückten Training: "Die Bahn ist zu rund für uns, die Kurveneingänge sind schwer zu finden. Uns reißt es aus der Kurve weg." Thomas Florschütz aus Riesa beschreibt die Atmosphäre so: "Bei uns kann man an der Mimik ablesen, was los ist." Der Name Nodar Kumaritaschwili ist allgegenwärtig, und die Szene spaltet sich in Besorgte und in Beschwichtiger.

Der italienische Bremser Samuele Romanini vertrat das Lager der Draufgänger und sagte der Vancouver Sun: "Bob ist wie Formel 1 auf Eis", Solch ein Sport brauche schnelle Bahnen wie die in Whistler. Der deutsche Cheftrainer Raimund Bethge äußert sich zurückhaltender, sieht aber keinen Grund für Panik: "Bei neuen Bahnen sind Stürze in der Regel normal. Hier in Whistler natürlich aufgrund der schnellen Geschwindigkeit und des großen Gefälles."

Thomas Schwab sieht das etwas anders, der Sportdirektor des deutschen Bob- und Schlittenverbandes BSD ist einer der engagiertesten Kämpfer für mehr Sicherheit im Eiskanal von Whistler: "Die Bahn hier ist am oberen Limit", sagt er und mahnt eine Entschärfung der Kurvenkombination elf bis 14 an: "Da muss das Eisprofil jetzt angepasst werden."

Die Organisatoren deckten die Bahn mit Planen ab, um zu Verhindern, dass durch Abschmelzen Unebenheiten entstehen. Zudem wurde das Eis an einigen Stellen angepasst. Doch nicht wenige Trainer und Sportler halten das für zu wenig. "Wir waren ganz schön nah an der oberen Kante. Da muss etwas gemacht werden", sagt Kevin Kuske, der Bremser im Bob von André Lange.

So zögerlich Änderungswünsche an der Strecke umgesetzt werden, so rigoros versuchen die Verantwortlichen die Kritik einzudämmen. Der Bob- und Skeleton-Weltverband FIBT reagierte in dieser Woche zuerst mit einen Maulkorb für Athleten und Trainer: Die Probleme auf der Bahn dürften von Sportlern nicht öffentlich diskutiert werden.

Nach heftigem Protest ruderte der Verband nun zurück: "Es gibt keine Order, wir haben nur darauf hingewiesen, dass die Athleten sich auf ihren Sport konzentrieren sollen", sagte das britische Präsidiumsmitglied Paul Pruszynski - eine Aussage, die tiefe Einblicke gewährt in das Bild, das die FIBT von ihren Sportlern hat: Bitte möglichst schnell, aber möglichst schweigsam.

Auf der ursprünglich für Geschwindigkeiten um die 130 Kilometer pro Stunde konzipierten Bahn rasen die Bobs mit 150 hinunter. Der vermeintliche Sicherheitsvorteil eines weitgehend geschlossenen Gehäuses wird bei den Bobfahrern durch das große Gewicht der Gefährte relativiert - besonders bei den Viererbobs, wo sich jede Abweichung von der Ideallinie schneller auswirkt und schwerer zu korrigieren ist als etwa bei den Skeleton-Piloten, bei denen es deutlich weniger Stürze gab.

"Im Zweierbob wird es eng, im Viererbob noch enger", sagt der zweimalige Olympiasieger Christoph Langen, der die Fahrten für das Fernsehen beobachtet. Hinzu kommt, dass die Bob-Wettbewerbe wegen des langen Anlaufs nicht, wie bei den Rodlern, von weiter unten gestartet werden können.

Dass die Strecke eigentlich deutlich langsamer geplant war, gibt der deutsche Designer Udo Gurgel, der das Sliding Center entworfen hat, offen zu und bietet indirekt Einblicke, wie die Organisatoren der Spiele mit Warnungen und Sicherheitsbedenken umgehen. Jeder Veranstalter wolle die schnellste Bahn haben. "Dass das unterschwellig mitläuft, ist klar", sagt Gurgel.

"Der Anspruch der Veranstalter ist es, die schnellste und beste Bahn zu haben. Das ist keine offizielle Bestellung. Das wird aber so diskutiert." Auch aus Sotschi, dem Ausrichtungsort der Winterspiele 2014 habe er schon solche Signale erhalten, sagt Gurgel. Dann soll es für die Bahn allerdings eine vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 137 km/h geben. "Die Bahnen werden natürlich für die Maximalbelatung eines Viererbobs berechnet", sagt Gurgel: "Dass ein Bob aus der Bahn fliegt, ist deutlich unwahrscheinlicher als bei den Rodlern oder den Skeleton-Fahrern."

Vor den Bob-Wettbewerben in Vancouver versuchen die Organisatoren, die Gemüter zu beruhigen. Sie haben zusätzliche Trainingseinheiten angesetzt, damit sich die Piloten besser auf die Bahn einstellen können und verweisen darauf, dass Stürze im Training gar nicht ungewöhnlich seien: Bei den Spielen 2002 in Salt Lake City habe es an den ersten beiden Trainingstagen 16 Stürze von Zweierbobs gegeben. Zudem hatte das Training im Whistler Sliding Center spät in der Nacht stattgefunden und einige Fahrer seien wegen des bevorstehenden Olympia-Auftritts wohl übermotiviert gewesen.

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