Olympia:Sotschi 2014: Die Spiele der zwei Wahrheiten

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Sotschi (dpa) – Wladimir Putin gab sich bei seinem olympischen Propaganda-Projekt in Sotschi locker wie selten: Der Kremlchef klatschte Volunteers ab, trank Schnaps im Österreich-Haus und feierte sogar mit den Amerikanern.

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Sotschi (dpa) – Wladimir Putin gab sich bei seinem olympischen Propaganda-Projekt in Sotschi locker wie selten: Der Kremlchef klatschte Volunteers ab, trank Schnaps im Österreich-Haus und feierte sogar mit den Amerikanern.

Reibungslose Organisation, futuristische Prachtbauten und hochgelobte olympische Dörfer ermöglichten angenehme Spiele für die Athleten, doch die Realität in Russland blieb ausgesperrt. „Es waren ausgezeichnete Spiele. Ich habe keine einzige Klage von Sportlern gehört“, schwärmte IOC-Präsident Thomas Bach, aber der Preis für die aufpolierte Scheinwelt könnte Olympia noch länger schmerzen. Sein IOC und das lokale Organisationskomitee SOCOG standen unter permanentem Rechtfertigungsdruck für Umweltfrevel, Menschenrechtsverletzungen, Sicherheitswahn und Gigantismus. Sotschis Olympia-Macher präsentierten Spiele der zwei Wahrheiten.

Die unbeschwerte Leichtigkeit fehlte nicht erst seit der Gewalteskalation in der Ukraine. „Sollen wir lächeln, wenn es in der Ukraine soviel Blut und Opfer gibt? Das ist einfach unmöglich!“, sagte der ukrainische Alpin-Coach Oleg Mazozki dem TV-Sender 1+1. Erst nach einem Krisengipfel konnten Mazozki und Slalomfahrerin Bogdana Mazozka von einer frühzeitigen Abreise abgebracht werden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) überzeugte die ukrainischen Athleten zudem, keinen Trauerflor zu tragen. Zehn Tage früher hatte es vier norwegischen Langläuferinnen für eine schwarze Armbinde aus Anteilnahme gerügt. Dies sei menschlich nicht nachvollziehbar, schimpfte nicht nur Norwegens Spitzenfunktionär Inge Andersen.

Es waren Kulissenspiele. Putins Gefolgsleute wickelten das belastete und hermetisch abgesperrte Olympia-Fest unter Palmen ab. Die russischen Fans berauschten sich vor allem an sich selbst. Auch ohne das wichtigste Gold, das die enttäuschenden Eishockey-Stars im Viertelfinale gegen die Finnen verspielten, schafften die Gastgeber den angestrebten Spitzenplatz im olympischen Weltsport. Russland gewann nicht zuletzt dank Athleten-Importen wie dem gebürtigen Südkoreaner Victor An (dreimal Gold, einmal Bronze) mit 33 Medaillen (13/11/9) erstmals seit Lillehammer 1994 wieder die Nationenwertung vor dem norwegischen Team (11/5/10). Norwegens 40 Jahre alter Biathlon-Held Ole Einar Björndalen ist mit jetzt 13 Medaillen (8/4/1) erfolgreichster Athlet in der Geschichte der Winterspiele. „Putin hat mit Sotschi einen Sieg errungen“, dichtete die „Moscow Times“. Von den 2876 Athleten aus 88 Ländern haben 26 Nationen Medaillen gewonnen und damit eine bemerkenswerte Universalität demonstriert. Eiskunstlauf-Zar Jewgeni Pluschenko, die 17 Jahre alte Adelina Sotnikowa, Skandal-Olympiasiegerin im Eiskunstlaufen, und Bob-Oldie Alexander Subkow mit Doppel-Gold berührten die Seelen ihrer Landsleute. Nach der Eishockey-Pleite weinten viele Russen.

Auch die Tränen im deutschen Team haben eine Geschichte. Der positive Dopingfall und Olympia-Ausschluss der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle sorgte für helle Aufregung in der deutschen Delegation – das Fiasko der Skijägerinnen, die erstmals ohne Olympia-Medaille blieben, auch. Es lief einiges schief im deutschen Team. Im Zweierbob, Curling, Shorttrack, Skicross und Eishockey hagelte es Enttäuschungen, die Eisschnellläufer kehrten sogar erstmals seit 50 Jahren ohne olympisches Edelmetall in die Heimat zurück. Die streitbare Claudia Pechstein war mit ihren 41 Jahren noch die Beste. „Da musste die Alte wieder herhalten“, sagte die Berlinerin und erklärte, bis Pyeongchang 2018 weitermachen zu wollen.

Erste Strukturdebatten zu Reformen im deutschen Hochleistungssport offenbarten: Es fehlt an Trainern, Konzepten und Geld. „Wir hatten in Sotschi keine Olympia-Touristen dabei“, erklärte der Chef de Mission des deutschen Olympia-Teams, Michael Vesper. Mit 19 Medaillen (8/6/5) kam die 153-köpfige Mannschaft auf die schlechteste Bilanz seit der Wiedervereinigung und beendete die Sotschi-Mission auf Platz sechs des Länder-Klassements. In den Zielkorridoren zwischen DOSB und Fachverbänden waren bei optimalem Verlauf aller Projekte 27 bis 42 Medaillen festgehalten worden. Die magischen Gold-Momente von Alpin-Star Maria Höfl-Riesch, Kombinierer Eric Frenzel, Skispringerin Carina Vogt, den Rodel-Assen um Felix Loch und des Skispringer-Teams überstrahlten viele Ernüchterungen.

Putin hatte ganz andere Sorgen. Die Konflikte in der Ukraine mit mehreren Dutzend Toten und mehr als 1000 Verletzten warfen dunkle Schatten auf seine Spiele. Der Ex-Geheimdienstchef wollte durch Sotschi 2014 Russlands Zukunftsfähigkeit beweisen, nach innen und nach außen. 51 Milliarden Dollar haben der Kreml und die Oligarchen in das Großprojekt fließen lassen und es zur Modernisierung des angestaubten Kurorts an der Schwarzmeerküste genutzt.

51 Milliarden Dollar für den olympischen Vergnügungspark und spektakuläre Bilder, die weltweite Rekordquoten im TV und in der digitalen Welt einbrachten. Viele Russen sind der Überzeugung, der eigentliche Zweck der Spiele sei gewesen, die Reichen noch reicher zu machen. Die russischen Bürger müssen dagegen mit Kürzungen der ohnehin geringen Sozialleistungen rechnen. Auch das ist Nachhaltigkeit genauso wie die Weiternutzung des Olympia-Parks, in dem bis 2020 die Formel 1 und 2018 die Fußball-WM gastieren.

DOSB-Chef Alfons Hörmann lobte die ersten Winterspiele in Russland als die besten überhaupt - die BBC erklärte Sotschi 2014 „zur teuersten Sünde der olympischen Geschichte“. Für Menschenrechtler oder Umweltaktivisten blieb der Hochsicherheitstrakt verschlossen, die offiziell eingerichtete Protestzone 18 Kilometer außerhalb Sotschis für kritische Demonstrationen wie erwartet unbenutzt.

„Wir haben außergewöhnliche Rekordspiele gesehen“, tönte SOCOG-Chef Dmitri Tschernyschenko. Auch das IOC, das Putin so bereitwillig die Bühne zur Selbstdarstellung überließ, zog eine positive Bilanz. Die neuen Mixed-Staffeln im Rodeln und Biathlon und der Teamwettbewerb im Eiskunstlaufen kamen überall gut an, die glanzvolle Olympia-Premiere der Slopestyler war sofort ein Hit. Die Ohnmacht der Ringe-Organisation im schwierigen Joint Venture mit dem Kreml wollte Bach nach seiner ersten großen Bewährungsprobe als IOC-Präsident nicht mehr groß kommentieren. Nachhaltigen Schaden der problematischen Allianz schloss der Franke öffentlich aus. Schließlich war er bei Olympia Putins Ehrengast.

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