Olympia: Österreich:"Diese Ohrfeige schallt laut um die halbe Welt"

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Austrias Alpin-Männer fahren zu einem historischen Debakel. Zum Feiern müssen die Österreicher sogar zu den Deutschen gehen.

Thomas Hummel

Am Freitagabend in der Zeit im Bild 2, dem österreichischen Pendant zu den Tagesthemen, hing bereits der Trauerflor unsichtbar im Bild. Die adrette Moderatorin im grauen Sakko wählte drastische Worte: Ein fast historisches Debakel habe es für die österreichischen Ski-Herren im olympischen Super-G gegeben. "Das ÖSV-Quartett wird geradezu demontiert, ist meilenweit von Medaillen entfernt, fährt das schlechteste Super-G-Ergebnis seit 16 Jahren ein und hält damit nach wie vor bei einem Medaillenstand von genau: Null."

Benjamin Raich. (Foto: Foto: dpa)

Österreich ist ein Wintersportland, betonen die Österreicher immer wieder. Hier feiert das Sieben-Millionen-Volk seine Siege und holt sich sein sportliches Selbstbewusstsein. Der Österreichische Skiverband (ÖSV) gehört zu den einflussreichsten Organisationen im Land, sein Präsident Peter Schröcksnadel zu den bekanntesten Personen Österreichs. Doch jetzt hat es in Whistler Mountain ausgerechnet die ÖSV-Heiligtümer erwischt: In den schnellen Männerdisziplinen Abfahrt und Super-G gab es keine Medaille. Das ist zu vergleichen mit dem Vorrundenaus der DFB-Elf bei der WM in Südafrika. Die Bronzemedaille für Elisabeth Görgl in der Frauen-Abfahrt ist da nur ein kleiner Trost.

Und sind die Österreicher bei Wintersport-Erfolgen stolz wie sonst kaum eine Nation auf ihre Sportler, schlägt die Stimmung bei Misserfolgen gerne in Hohn, Spott und Sarkasmus um. Die Zeitung Der Standard schreibt nach dem Super-G, in dem Benjamin Raich als Bester auf Platz 14 landete: "Die Ohrfeige, die Österreichs Speed-Herren an diesem sonnigen Tag in Westkanada erhielten, schallte laut um die halbe Welt und zur besten Fernsehzeit natürlich auch in die österreichischen Wohnzimmer." Der ORF nennt das Ergebnis eine "sprichwörtliche Watschn" und befand: "Der sehr anspruchsvolle Kurs ist für unser Quartett eine Nummer zu groß."

Der einzige Lichtblick im Alpenland ist an diesem Freitagabend, dass auch das andere kleine Alpenland diesmal keine Medaille gewinnen konnte. Auch die Schweizer fuhren im Super-G zu langsam. Da zünden die Österreicher schon mal zum Dank eine Kerze an, denn bei der Abfahrt mussten sie ja nicht nur Mario Scheibers vierten Platz bedauern, sondern auch noch den Schweizern beim Jubel über Didier Défagos Sieg zuschauen. So viel Unglück war in den vergangenen Jahren selten über den stolzen ÖSV hereingebrochen. Und zu allem Überfluss fliegt ja auch noch Simon Ammann den österreichischen Skispringern davon.

Dass die österreichischen Speed-Fahrer in Whistler nicht so gut abschneiden würden wie ihre großen Vorgänger hatte sich dabei angedeutet. Noch vor wenigen Jahren hatten die Österreicher so viele Weltklasse-Abfahrer im Team, dass sie einen Tag vor der Olympia-Abfahrt noch gegeneinander antreten mussten, um die vier Starter zu ermitteln. In Kanada waren alle froh, dass Michael Walchhofer mit 34 Jahren immer noch fuhr. Walchhofer galt als Mitfavorit in Abfahrt und Super-G, brach aber unter dem Erwartungsdruck eines ganzen Landes zusammen: Zehnter in der Abfahrt, gar nur 21. im Super-G. Mario Scheiber, 20. im Super-G, sagte: "Ihr müsst einmal einsehen, dass es nicht mehr so ist wie vor sieben, acht Jahren."

Wie im deutschen Fußball, so reagiert die Öffentlichkeit in Österreich bei Misserfolgen mit einer Trainerdiskussion. "Das ist ohne Zweifel ein Debakel, wir haben überhaupt nichts heruntergebracht. Das war ein richtig schlechter Tag von uns", gab sich ÖSV-Herren-Cheftrainer Toni Giger kleinlaut, "in all den Jahren im Weltcup habe ich so ein Super-G-Ergebnis und solche Fahrten noch nicht gesehen."

Österreich ist im Ski Alpin eben die Nation, das am meisten Aufwand betreibt, das jeder schlagen will. Die Sportler werden so intensiv betreut wie in keinem anderen Land. Und während etwa der deutsche Skiverband für die Disziplinen Skisprung, Ski Alpin und Skicross einen Pressesprecher in Whistler hat, stehen allein für die österreichischen Ski-Alpin-Läufer vier Pressesprecher zur Verfügung. Wer die bisweilen sehr selbstgewisse Alpin-Großmacht Österreich schon immer mal ein wenig ärgern wollte, der sieht nun seine Gelegenheit. Als bei der Feier für Maria Rieschs Goldmedaille ein paar österreichische Journalisten auftauchten, hörten sie: "Jetzt müsst ihr schon zu den Deutschen gehen, um Medaillen zu feiern." Das tat weh.

In den technischen Disziplinen Slalom und Riesenslalom wird Österreich wohl wieder Grund zum Jubeln haben, dort hoffen sie auf eine Reihe von Favoriten. Doch selbst der schönste Slalom-Sieg kann in dem kleinen Land das Debakel vom Whistler Creek in den Speed-Läufen nicht mehr vergessen machen. "Dass es jetzt für die nächsten Rennen nicht leichter wird, ist auch klar, das ärgert jeden, jeder ist angefressen", sagte ÖSV-Alpinchef Hans Pum.

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