Olympia: Nach Tod der Mutter:Trost im Ritual

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Trotz des Todes ihrer Mutter tritt die Kanadierin Joannie Rochette beim Eiskunstlaufen an. Kein Zuschauer muss deshalb ein schlechtes Gewissen haben.

René Hofmann

Michael Schumacher hatte einen Helm, hinter dessen Visier er sein Gesicht verbergen konnte, damals, im April 2003, beim Großen Preis von San Marino in Imola, einem Rennen, das er mit Trauerflor aufnahm. In der Nacht zuvor war Elisabeth Schumacher im Alter von 55 Jahren gestorben. Ist das pietätvoll, fragten damals viele: Das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, nur Stunden nach dem Ableben der Mutter? Sie hätte es gewollt - so verteidigte Schumacher sich damals.

Mit der gleichen Begründung trat in der Nacht zum Mittwoch die Kanadierin Joannie Rochette bei den Olympischen Spielen in Vancouver zur Kurzkür der Eiskunstläuferinnen an. Nur wenige Tage zuvor war ihre Mutter einem Herzinfarkt erlegen. Beim Eiskunstlaufen gibt es keine Helme.

Joannie Rochette konnte sich nirgends verstecken. Sie zeigte sich und ihr Können. Und ihre Mutter, die für den Anlass eigens in die Stadt gekommen war, wäre mit Sicherheit stolz gewesen. Als die Musik zu Ende war, wurde Joannie Rochette von ihren Gefühlen überwältigt. Sie weinte.

Der Sport ist ein Spiel, eine Feier des Lebendigen. Der Tod wird in dieser Welt konsequent ausgeblendet. Deshalb gibt es auch kein richtig oder falsch, wenn er doch einmal einbricht. Niemand kann nachvollziehen, was ein Athlet empfindet, der unmittelbar vor einem Wettkampf einen nahen Verwandten verliert.

Ein Urteil verbietet sich deshalb. Manch einer findet Trost in den gewohnten Ritualen, manch einer Ablenkung, ein anderer wird völlig aus der Bahn geworfen. Jeder Weg ist möglich, wichtig ist nur, dass ihn der Betroffene selbst und frei wählt.

So war es bei Joannie Rochette. Das Nationale Olympische Komitee Kanadas bot ihr an, sich zurückzuziehen. Bis zur letzten Minute hätte Joannie Rochette ihren Auftritt absagen können. Doch sie entschloss sich zu laufen. Das Internationale Olympische Komitee befreite sie von allen öffentlichen Verpflichtungen.

Ganz ausschließen aber lässt sich die Öffentlichkeit bei einem solchen Ereignis nun einmal nicht. Joannie Rochette wusste das, weshalb auch keiner ein schlechtes Gewissen haben musste, der ihr zusah. Es war ihr Weg. Wenn sie ihn weitergeht, kann er sie sogar zu einer Olympiamedaille führen.

Bei Michael Schumacher war das damals so, im April vor bald sieben Jahren in Imola: Er gewann das Rennen. Sein Bruder Ralf wurde Vierter.

© SZ vom 25.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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