Olympia:Mo Farah dachte: "Das war's"

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Erneut der Beste: Mo Farah. (Foto: Srdjan Suki/dpa)

Ein Sturz, der große Favorit kullert über die Bahn. Da scheint das Rennen über 10.000 Meter bereits verloren. Wie Mo Farah seinen Olympiasieg dennoch verteidigen konnte.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Und dann dachte sich der Langstreckenläufer Mo Farah: "Das war's."

Es war bis zu diesem Vorfall ein unspektakuläres Rennen gewesen, das olympische Finale der Männer über 10 000 Meter. Farah, vor vier Jahren in London über dieselbe Distanz erfolgreich, fiel erst mal an die letzte Stelle, er winkte ins Publikum, viele Briten waren am Samstagabend ins Olympiastadion gekommen. Die Konkurrenz belauerte sich, Ellenbogenstupser hier, ein Zwischenspurt da. Nach sechs Kilometern fanden sich die Kenianer und Äthiopier an der Spitze ein, sie mussten das Tempo ein wenig verschärfen, Farah würde sie sonst mit seiner starken letzten Runde schlagen, mal wieder. Und dann kullerte Farah plötzlich über die Bahn, Galen Rupp war ihm in die Füße getreten, sein Trainingspartner aus den USA.

Farah verlor rund 15 Meter auf die Spitze. Er entschied sich, dass das Rennen doch nicht verloren war, ein paar Runden waren noch übrig. Rupp ließ sich zurückfallen, er führte Farah wieder ins Feld, wie ein Wasserträger seinen Kapitän im Radsport; später wurde er Fünfter im Spurt. Die Afrikaner würzten das Rennen mit mehr Tempo. Sie liefen die Runden in 63 Sekunden, aber es war nicht Farah, dem das zu schaffen machte, sondern seinen Widersachern.

Farahs Freude wirkt gedämpft

Die letzte Runde. Paul Kipngetich Tanui drängelte sich frech vor Farah, doch die letzten 100 Meter gehörten wieder dem Briten, mal wieder. 55 Sekunden für die letzten 400 Meter, dagegen kam niemand an, in einem Rennen, das für Farah bereits verloren zu sein schien.

Der Samstag im Leichtathletik-Stadion von Rio führte einige Wettbewerbe im Angebot, die wilde Wendungen boten und daran erinnerten, wie flirrend und vielschichtig dieser Sport sein kann. Da war London-Olympiasieger Greg Rutherford, der erst den Weitsprung anführte, dann bezeugen musste, wie der Amerikaner Jeff Henderson und der Südafrikaner Luvo Manyonga eine Bestmarke nach der nächsten aufeinanderstapelten. Endstand; 8,38 zu 8,37 Meter für Henderson, im letzten Versuch. Im Siebenkampf der Frauen trug die Belgierin Nafissatou Thiam (6810 Punkte) ihren Vorsprung vor Titelverteidigerin Jessica Ennis-Hill aus Großbritannien gerade noch ins Ziel (6775). Über 100 Meter dankte Shelly-Ann Fraser-Pryce ab, Olympiasiegerin von London und Peking, ihre jamaikanische Landsfrau Elaine Thompson (10,71) gewann vor Tori Bowie/ USA (10,83) und Fraser-Pryce (10,86). Und dann war da natürlich Mo Farah, 33, aus London, der stürzte und ganz schön schuften musste, ehe er seine dritte olympische Goldmedaille gesichert hatte.

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Der Brite erlebt einen Schreckmoment, gewinnt aber über 10.000 Meter. Eine Jamaikanerin ist die schnellste Frau der Welt. Carolin Schäfer verpasst Bronze im Siebenkampf.

Farahs Freude wirkte seltsam gedämpft auf der Ehrenrunde. "Paul hat es mir nicht einfach gemacht", würde er später sagen. "Der Sieg in London war mein bester Moment, aber meinen Titel zu verteidigen, ist auch unglaublich." Seine Beisitzer im Pressesaal, Tanui und der drittplatzierte Äthiopier Tamirat Tola, nickten ehrfürchtig. Farahs Gegner mühen sich seit Jahren, zuletzt versuchten es die stolzen Ostafrikaner sogar mit ein klitzekleinbisschen Trash-Talk. Man werde ihn in Rio gemeinsam vom Thron stürzen, verkündeten sie.

Keine Chance. Farah hat seinen Olympiatitel über zehn Kilometer verteidigt, das hatten zuvor nur die Zatopeks, Bekeles und Gebrselassies geschafft. Zudem der Finne Lasse Viren, der 1972 in München ebenfalls auf die Bahn plumpste und Gold gewann. Farah war nicht perfekt durch seine Saison gekommen, er mühte sich durch ein paar Diamond-League-Meetings, aber blieb gesund, wie all die Jahre zuvor. "Ich hatte schon auch Glück", sagte er. "Meine Geheimnisse kann ich nicht verraten, aber ich arbeite sehr hart."

Vergangenes Jahr glaubten BBC und das amerikanische Rechercheportal Pro Publica, ein paar dieser Geheimnisse gelüftet zu haben. Sie präsentierten Indizien, wonach Farahs amerikanischer Trainer Alberto Salazar in seinem Langstreckenprojekt in Oregon nicht nur wissenschaftlichen Erkenntnissen vertraute. Salazar soll unter anderem Galen Rupp mit Doping versorgt haben; Farah wurde nicht beschuldigt.

In der Debatte, die in den folgenden Wochen in Großbritannien tobte, spülte es aber einige unappetitliche Details hervor. Zum Beispiel, dass Farah vor den Spielen in London zwei Trainingskontrollen verpasst hatte, eine dritte hätte eine Sperre nach sich gezogen. Salazar betreut ihn jedenfalls bis heute, obwohl die US-Anti-Doping-Agentur weiter die Vorwürfe untersucht. "Ich stehe für einen sauberen Sport ein, aber am Ende des Tages kannst du nur dich selbst kontrollieren", sagte Farah, als er in Rio auf Salazar angesprochen wurde.

"Aber hey, es kann alles passieren"

Als ihn ein Reporter noch nach Jama Aden fragte, den Somalier, der zuletzt in Spanien bei einer Dopingrazzia verhaftet worden war und Fotos mit Farah in soziale Netzwerke hochgeladen hatte, sagte Farah: "Wenn dich jemand um ein Bild fragt, dann sagst du nicht nein." Der britische Verband hatte zuvor eilig erklärt, Aden habe bei Farahs Einheiten nur "ab und zu eine Stoppuhr gehalten".

Farah schwebt weiter über allem, der Konkurrenz, den Zweifeln. 2017 will er in London noch einmal Weltmeister auf der Bahn werden, bei der Heim-WM, danach geht es hinein in die lukrativen Straßenwettbewerbe. Seine ersten Ausflüge zu den stärkeren Marathonläufern verliefen bescheiden, aber er ist guter Dinge. "Wenn ich an die vergangenen Jahre denke, bin ich jedes Jahr ein wenig stärker geworden", sagte er neulich, "wenn du ein Jahr ohne Verletzungen hinter dir hattest, bist du im nächsten Jahr stärker, so geht das immer so weiter. Aber hey, es kann alles passieren." Manches, weiß Farah, "kannst du als Athlet nicht beeinflussen".

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