Impfen für Olympia:"Gold in den Adern"

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Schon geimpft: die Siebenkämpferin Carolin Schäfer. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Nachricht, den deutschen Olympia-Tross möglichst schnell zu impfen, war ein Segen für die rund 1400 Athletinnen und Athleten. Nun ringen einige um den richtigen Zeitpunkt für den Piks.

Von Volker Kreisl, München

Hochleistungssportler sind akkurate Menschen. Sie stehen morgens pünktlich auf, um einen exakten Trainingsplan einzuhalten. Sie teilen das ganze Jahr vor einem Großereignis in einzelne Phasen ein, in denen sie genau wissen, wann sie sich anstrengen und wann sie entspannen, welche Kalorien sie zu sich nehmen dürfen, wie viele Vitamine einen Vorteil bringen, wann Zucker streng verboten ist. Top-Sportler, insbesondere Olympiafahrer, sind also Menschen, die Pläne lieben und Ungewissheit hassen.

Insofern waren die Nachrichten dieser Woche ein Segen für die rund 1400 Athletinnen und Athleten samt Betreuerstab, die ab Mitte Juli nach derzeitigem Planungsstand wohl an Olympia und Paralympics in Tokio teilnehmen werden: Die Bundesregierung hatte am Montag allen Tokio-Fahrern einschließlich Betreuern zugesagt, vor den Spielen geimpft zu werden, und zwar so schnell wie möglich. Am Mittwoch wurde nachgelegt: Das Bundesinnenministerium kündigte an, dass bereits in den beiden Wochen ab 3. Mai geimpft werden solle. Nach all den Rückschlägen, nach denen die Spiele wegen der ablehnenden Haltung von mehr als 70 Prozent der japanischen Bevölkerung latent fraglich sind, waren dies zur Abwechslung mal gute Nachrichten. Doch leider enthalten sie bei näherem Hinsehen auch reichlich Ungewissheit.

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Kritik üben will natürlich keiner angesichts des wichtigen ersten Schrittes und des Sonderstatus, den die jungen und topfitten Tokio-Gesandten in der Bevölkerung somit genießen. Kurz vor dem Ende einer mittlerweile fünf Jahre langen Vorbereitung "ist nun endlich für die Sportler der Schutz gesichert", sagte Johannes Herber, Geschäftsführer der Sportlervertretung Athleten Deutschland. Und doch sind weitere Probleme nun mal nicht gelöst, viele Zweifel bleiben.

So topfit und widerstandsfähig, wie man vielleicht glaubt, sind Sportler in der höchsten Trainingsphase nicht

Will man das Tempo halten, dann müssen spezielle Impfstellen schnell eingerichtet werden, etwa in den Olympiastützpunkten oder Landessportzentralen. Menschen koordiniert zu immunisieren ist ohnehin schon kompliziert; Olympiafahrer sinnvoll zu impfen, die sich in der heißen Trainingsphase befinden, stellt eine ganz andere Herausforderung dar. "Verantwortungsvoll und professionell" müsse gehandelt werden, forderte DOSB-Präsident Alfons Hörmann, jedoch - was heißt das? Es geht ja um die Daseinsgrundlage der Olympiafahrer, den eigenen Körper.

So topfit und widerstandsfähig, wie man vielleicht glaubt, sind Sportler in der höchsten Trainingsphase nicht. Im Gegenteil, viele werden eher anfällig. Manche Wintersportler verpacken sich vor einer WM bis zur Nase und sind nie ohne Trinkflasche anzutreffen. Aber Erreger gibt es auch im Sommer, und eine Impfung stellt auch eine Belastung dar. "Vor allem in Ausdauersportarten kann bei hoher Belastung das Immunsystem herunterfahren", sagt Herber. Eine Impfung könnte also manchen Triathleten oder Läufer für ein paar Tage niederstrecken. "Es bedarf einer guten Beratung durch die Verbandsärzte", findet Herber. Erste Erfahrungen gibt es schon: "Jeder Körper reagiert anders, manche spüren gar nichts, andere liegen tagelang im Bett", sagt Marathonläufer Richard Ringer.

Die Folge ist logisch: Ein Trainingsstopp wenige Wochen vor Abflug wäre vielleicht nicht mehr aufzuholen, weshalb die frühen Tests im Mai im Grunde die richtige Entscheidung sind. Und doch steht die Mehrheit der Betroffenen vor einem gewaltigen Problem. Geschätzt mehr als die Hälfte der Olympiafahrer muss noch durch Qualifikationen. Und diese ziehen sich teils bis knapp vor den Spielen hin, manche Ausscheidungskämpfe wie etwa im Synchronschwimmen sind bislang noch gar nicht terminiert. Weil der Formaufbau minutiös und in wohl dosierten Phasen vonstattengeht, kann tagelanges Im-Bett-Liegen womöglich den Traum schon in der Qualifikation platzen lassen.

Was da vielleicht ein bisschen überempfindlich klingt, ist nur der realistische Blick von Topsportlern, die vor der großen Chance ihres Lebens stehen, da wird jedes Detail noch besser geplant, was ja auch im Interesse des DOSB und der Fans ist. Die Sorge wegen des passenden Impfzeitpunkts hat wohl auch mit der internationalen Konkurrenz zu tun, denn die ist in manchen Sportarten sehr stark. In vielen Staaten sind die Olympiafahrer längst geimpft, auch weil die Prioritäten dort anders gesetzt wurden. Tom Liebscher, Kanu-Olympiasieger, sagt: "Je unterschiedlicher die Strukturen dort sind, desto schneller wurden die Leute geimpft." Seit Wochen konnten diese Wettkampf-Gegner sorgenfrei trainieren und sind tendenziell den Nicht-Geimpften einen Schritt voraus. Und wenn schon die Stärke der anderen unbekannt ist, dann sollte nicht auch noch eine Impfung Training und Olympiazulassung beeinträchtigen.

Das knifflige Problem des Ringers Frank Stäbler: Er hat immer noch Antikörper

So grübelt gerade jeder über sein persönliches Risiko. Manche kommen schnell zu einer Lösung, andere sind ratlos, wie Frank Stäbler, der dreimalige Weltmeister im Ringen. Er ist zwar schon qualifiziert, hat aber viele andere Faktoren zu bedenken. Stäbler ist ein besonderes kniffliges Beispiel für das Problem der Athleten vor den Pandemie-Spielen 2021. Er hatte sich im Winter infiziert, einen Teil seiner Lungenkapazität eingebüßt und sich dann mit speziellem Atemtraining wieder fit gemacht. Immer noch hat er Antikörper, weshalb er eigentlich eine Impfung samt ungewisser Wirkungen auf seinen schon belasteten Körper vermeiden will. Und das könnte er ja auch, wenn da nicht diese andere Sache wäre, die so wichtig für das ganze System ist und doch eine dauerhafte Bedrohung darstellt: die Möglichkeit eines falschen Positivtests. "In unserem Sport gab es zuletzt Fälle, da wurde einer erst positiv, dann negativ, dann positiv und dann wieder negativ getestet", berichtete Stäbler. Sein Vertrauen ist gerade ziemlich im Keller.

Also doch impfen? Die Siebenkämpferin Carolin Schäfer hatte nach ihrer Immunisierung angedeutet, dass der Effekt nicht nur körperlich sei, sondern auch einen psychologischen Vorteil bringe. Schäfer fühlte sich nach dem Piks, als hätte sie "Gold in den Adern". Ein Problem war gelöst und der Kopf frei für den bevorstehenden Höhepunkt. In diesem Punkt hatte Schäfer nun Gewissheit.

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