Olympia-Hoffnung Britta Steffen:Flummi unter den Sohlen

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Gewissheit nach drei schweren Jahren: Olympiasiegerin Britta Steffen beweist bei den Deutschen Meisterschaften, dass sie doch noch sehr schnell schwimmen kann. Der Druck, als Aushängeschild der deutschen Mannschaft zu den Sommerspielen in London reisen zu müssen, scheint sie nicht zu stören.

Claudio Catuogno, Berlin

Genau genommen hat Britta Steffen das, was in Berlin jetzt ein "Coup" genannt wird, für sich ganz alleine gemacht. Nicht, damit es sich jetzt durch die Schwimmwelt verbreitet wie eine Breaking News. Aber dieser Nebeneffekt ist natürlich nicht ausgeblieben: ein Rennen ganz ohne Zuschauer, ohne Fernsehen, ohne Reporter, und jetzt reden trotzdem alle davon. Am Morgen danach grinst Britta Steffen übers ganze Gesicht und sagt: "Ist doch schön!"

Britta Steffen in Berlin: "Ist doch schön!" (Foto: Bongarts/Getty Images)

Diesen Samstag muss sich die 28-Jährige für Olympia qualifizieren, das ist wie immer eine viel beachtete Sache, mit Live-Übertragung und großen Erwartungen. Steffen ist schließlich die Titelverteidigerin über 50 und 100 Meter Freistil, die Doppel-Olympiasiegerin von Peking, sie soll das Aushängeschild der deutschen Mannschaft werden bei den Spielen in London.

Da kann man schon mal nervös werden, vor allem wenn man, wie Steffen, zur Grübelei neigt. Aber das Problem hat sich jetzt schon erledigt, "ihr seht das ja alle an meiner Laune", sagt Britta Steffen: "Ich bin total gelöst."

Es ist tatsächlich erstaunlich, Britta Steffen springt durch die Schwimmhalle wie ein junges Reh. Im Becken müht sich gerade ihr Freund Paul Biedermann, "ich schau' mir jetzt in Ruhe meinen Paul an, und morgen bin ich dann wieder ganz bei mir", sagt sie.

Wer Steffens Nervosität vor dem ersten Wettkampf kennt, verbunden mit einer Neigung zum Versteckspielen, der kann auf die Idee kommen, sie habe zur Stimmungsaufheiterung ein Britta-Steffen-Double engagiert.

Tatsächlich hat sie es so gemacht: Sie hat vor dem Start der Deutschen Schwimm-Meisterschaften den Terminplan ganz genau angeguckt, sie entdeckte die Wettkämpfe der Vereinsstaffeln am Donnerstagabend, 4 x 100 Meter, und fragte Dorothea Brandt, ihre Kollegin von der SG Neukölln: "Doro, was denkste, sollen wir uns da etwas Vorbelastung holen?" Die Doro war einverstanden, groß rumerzählt haben die beiden ihre Staffelpläne nicht.

Der Trainer Norbert Warnatzsch hat dann verschiedene Optionen durchgespielt. Erstens: "Schnell angehen und Tempo rausnehmen". Zweitens: "Langsam angehen und die letzten 100 Meter voll". Aber weil Warnatzsch zunehmend den Eindruck gewann, dass Steffen solche taktischen Übungen gar nicht mehr braucht, entschied er sich "im letzten Moment", wie er berichtet, für Drittens: "Voll durchschwimmen."

Und weil Britta Steffen als Startschwimmerin antrat (also ohne Wechsel, die das Ergebnis verfälschen), hat ihre 100-Meter-Zeit nun amtliche Qualität: 53,65 Sekunden. Das Resultat hätte Applaus verdient gehabt, wenn es denn jemand bemerkt hätte. Auch am Tag danach hat diese 53 vor dem Komma für Britta Steffen noch den gleichen Effekt wie ein Flummi unter den Schuhsohlen. "Ich bin jetzt die Viertbeste der Welt", wippt sie auf und ab.

In der Olympia-Mission der Britta Steffen stecken viele Geschichten gleichzeitig, ihre zwei Goldmedaillen von 2008 und ihre bis heute gültigen Weltrekorde von der WM 2009 sind ja schon eine Weile her. Es war die Hightech-Ära des Schwimmens, mit Anzügen aus Polyurethan, es war ein anderer Sport; jetzt wird wieder in Badeanzügen geschwommen.

Entspannt, gelöst, glücklich: Britta Steffen am Freitag in Berlin (Foto: dpa)

Dazu kam, was Steffen "meine schweren Jahre" nennt: eine Virusgrippe 2010, fast zwei Jahre ohne echten Wettkampf, dann zu viel Krafttraining, die verkorkste WM 2011 samt überstürzter Abreise aus Shanghai. Eigentlich weiß Steffen seit drei Jahren nicht mehr, wie schnell sie noch ist. Jetzt kann sie wieder alles in Beziehung setzen: Die 53,65 sind ihre drittschnellste bisher gemessene Zeit, wenn man die Resultate im Hightech-Dress samt Weltrekord (52,07) herausrechnet.

In der Weltjahres-Rangliste ist sie jetzt wieder die Nummer vier, wenn auch mit einigem Abstand zur Fabelzeit der Holländerin Ranomi Kromowidjojo (52,75). Aber weil das Startsignal am Donnerstag in Berlin so schnell kam, dass Steffen nicht mal ihre Hände am Startblock hatte, müssen ja auch ihre 53,65 nicht das letzte Wort sein.

Drei Jahre lang hat Britta Steffen ständig erzählen müssen, wie toll es für sie wäre, könnte sie in London noch einmal eine Olympia-Medaille gewinnen. Was man eben so sagt. Jetzt ist aus dem Wunsch wieder eine realistische Zielmarke geworden. So bald wird die Schwimmwelt kein Rennen mehr von Britta Steffen verpassen.

© SZ vom 12.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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