Hockey bei Olympia:Auch die Serienjunkies ziehen mit

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Letzte Bewährungstests unter sich: die deutschen Hockey-Spielerinnen beim Training im Oi Hockey Stadium. (Foto: Maja Hitij/Getty)

Neue Hierarchie, neuer Gemeinschaftssinn: Die deutschen Hockeyspielerinnen strotzen vor Zuversicht - wenn nur nicht Angstgegner Niederlande wäre.

Von Volker Kreisl, Tokio

Irgendwann, man weiß schon nicht mehr, zu welcher Zeit, da hatte sich dieser Gedanke in den Köpfen festgesetzt. Eine Art hartnäckige Infektion war es, von der insbesondere die Abteilung Mittelfeld und Angriff angesteckt wurde. Keine Athletikeinheit, kein spezielles Schläger-Technik-Training, keine Mentalarbeit brachte Linderung. Es blieb dabei: Fast immer, wenn eine Spielerin der deutschen Hockey-Frauen mit dem Ball an der Kelle in Richtung gegnerische Torhüterin zog, wenn sie einen Querpass sauber aufgelegt bekam, direkt vor dem Tor, wenn sie eine Kurze Ecke verwandeln konnte, dann holte sie aus - und im Hinterkopf meldete sich der Zweifel und flüsterte: Diese Torhüterin ist überragend, der Kasten ist klein, der Schläger schwer, denn es sind die Niederländerinnen.

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So verloren die Deutschen seit Jahren gegen ihren Nachbarn, wie die anderen Nationen auch. Auf dem Weg zu großen Turniererfolgen stand jenes Team häufig im Weg, zum Beispiel bei Europameisterschaften, in dem es die Deutschen in sieben Finals sechsmal schlug. Die erfahrene Mittelfeldspielerin Franziska Hauke weiß, welches Grundgefühl sich verfestigte: "Wir haben 50 Chancen und machen einfach kein Tor." Doch jetzt startet ein neues olympisches Hockey-Turnier, und es eröffnet sich eine weitere Gelegenheit, sich von dem Fluch zu befreien. Jedenfalls war man noch nie so nahe dran.

Alle kamen aus ihren Zimmern - das Team ist noch mehr zusammengewachsen

Beide Mannschaften des Deutschen Hockeybundes gelten wie immer als Favoriten für die Medaillen. Am Samstag starten die Männer gegen Kanada (12 Uhr, MESZ), am Sonntag die Frauen gegen Großbritannien (2.30 Uhr, MESZ). Diesmal aber könnte auch Olympiagold in Betracht kommen, die Männer gewannen dies zuletzt 2008 und 2012, die Frauen zuletzt 2004. Bei deren jüngsten Härtetests zeigte der Trend nach oben, und zuvor waren beide Teams bei der EM erst im Finale gescheitert, gegen - wen sonst - die Niederlande. Sie befinden sich also auf dem richtigen Weg, auch die Mannschaft von Frauen-Bundestrainer Xavier Reckinger, was unter anderem am Puzzeln liegen könnte.

Allgemein ist noch nicht abzuschätzen, wie gut sich weltweit die anderen Auswahlen zusammengefunden haben in der Pandemie. Ihr eigenes Team aber, sagt Franziska Hauke, sei wirklich zu einer Einheit gereift, und das ist nicht so selbstverständlich: "Wir sind ja doch eine Frauenmannschaft, da gab es durchaus auch dieses Denken, die oder die ist meine beste Freundin und manche andere eben nicht." Das aber, stellt Hauke fest, "hat sich jetzt positiv entwickelt".

In den Zeiten der Kontaktarmut hatte man die gemeinsamen Momente schätzen gelernt. Auch wenn keine Hockeyspiele anstanden, ergaben sich in den Trainingslagern neue Perspektiven. "Die einzelnen kamen abends aus den Zimmern", erzählt Hauke, "wir haben Gesellschaftsspiele gespielt oder auch gepuzzelt, und da waren dann auch die dabei, die sonst eher Serienjunkies waren." Mit anderen Worten, man hat sich selbst neu entdeckt, in etwa so wie alte Eheleute, die irgendwo im Urlaub festsitzen.

Das Ergebnis ist teils messbar. Wie die meisten Hockeyspielerinnen haben auch die Deutschen mangels Länderspielen in dieser Zeit großen Wert auf das Athletiktraining gelegt. Die Kraft in den Beinen wuchs, die Dynamik beim Laufen und Dribbeln auch, und die Finalteilnahme bei der EM neulich hat diesen Fortschritt bestätigt.

Torschuss-Blockaden lassen sich nicht so leicht wegtherapieren

Einleuchtend ist, dass nach diesem Zusammenwachsen ein neues Führungsmodell ausgebaut wurde. Zugrunde lag ein abrupter Abschied von der Kapitänin. Janne Müller-Wieland hatte im Lockdown längere Zeit bei ihrer Partnerin in England verbracht und wurde letztlich wegen zu deutlicher Trainingseinbußen nicht mehr nominiert. Nun entsteht um Nike Lorenz womöglich ein neues Modell mit mehreren Spielführerinnen. Man könne sich die Aufgaben teilen, sagt Hauke, etwa die Spielvorbereitung, die allgemeine Organisation und die Ansagen auf dem Platz. All dies ist auch im Sinne von Trainer Reckinger, der mündige und entscheidungsfreudige Spielerinnen fördern will. Bleibt nur noch das alte Problem, der Angstgegner Niederlande.

Mentale Blockaden beim Torschuss sitzen tiefer, sie lassen sich nicht so einfach wegtherapieren, glaubt Hauke. Man habe schon vieles probiert, sich psychologisch beraten lassen, auf Coolheit gesetzt, man wollte abgebrühter auftreten, sich selber den Druck nehmen, "das haben wir zur Genüge durchgespielt". Das sind wohl auch die richtigen Ansätze, nur brauchen sie eben Zeit und auch regelmäßige Erfolgserlebnisse.

Konkret für Olympia bedeutet dies, dass die deutschen Hockey-Frauen ihre Kurzen Ecken - eine Art Elfmeter light - auch gegen die Niederländerinnen verwandeln. Damit nämlich würde der Druck von den Angreiferinnen genommen, wodurch diese spontaner, härter, platzierter und befreiter den Ball ins Tor abfeuern könnten, womit der Bann gebrochen wäre.

Es bleiben lauter kleine Schritte, doch Reckingers Team hat weitere Gründe zu glauben, dass es gegen die überragenden Niederländerinnen schon diesmal klappen kann. Oranje ist der letzte Gegner in der Gruppenphase, und geht alles nach Plan, dann wäre man da schon für die K.-o.-Runde qualifiziert und könnte befreit aufspielen, bis zum Schluss sogar - denn begegnen würde man sich erst wieder im Finale.

Und überhaupt, auch die Tendenz, sagt Franziska Hauke, sei auf ihrer Seite. Denn zuletzt war das Team den Niederlanden zwar auch noch unterlegen, aber nur noch knapp, "0:2, 0:1 und nicht mehr 0:5", so wie früher.

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