Olympia: Eishockey:Das Schicksal ist ein Kanadier

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In einer spektakulären Partie besiegt Kanada den Erzrivalen USA 3:2. Ein Gold für ein ganzes Land, ein Gold für Generationen - und ein Gold, das versöhnend wirkt.

Michael Neudecker, Vancouver

Die Reden bei Abschlussfeiern großer Ereignisse wie Olympia sind oft sehr staatstragend, eigentlich immer, und sie sind gerne pathetisch, überhöhend. John Furlong, der Chef des Organisationskomitees Vanoc, aber übertrieb nicht, als er am Sonntagabend sagte: "An unsere letzte Goldmedaille hier werden sich Generationen erinnern." Die letzte Goldmedaille Kanadas bei den Olympischen Spielen 2010 war mehr als nur ein Sieg, es war das Gold im Eishockeyturnier, 3:2 gegen die USA, nach Verlängerung. Und das entscheidende Tor schoss Sidney Crosby, der Held einer ganzen Nation, schon vor diesem Spiel.

Man musste an diesem Sonntagnachmittag nicht im Stadion sein, um zu sehen, wie wichtig dieses Finale für ganz Kanada war, welche Bedeutung die Menschen diesem Spiel beimaßen. Aber wenn man da war, dann konnte man die Bedeutung spüren, und man konnte sie hören. Die Menschen trugen Rot-Weiß-Rot, einige malten ihre Gesichter mit goldener Farbe an, sie schrien und jubelten in einer Lautstärke, die ohrenbetäubend war, und sie hielten Plakate hoch, auf einem stand: "Destiny on ice", Schicksal auf dem Eis. Das Schicksal war am Sonntagnachmittag ein Freund Kanadas.

In der Vorrunde noch hatten sie ja 3:5 verloren gegen die USA, den Nachbarn, den Rivalen, es war eine schmerzhafte Wunde, tief im Herzen. "Bring on the U.S.", schrieb die Vancouver Sun vor dem Finale, bringt uns die USA. Sie wollten allen zeigen, dass "Hockey is our game" nicht nur ein Slogan ist. Und jeder wollte dabei sein, vor Ort, die Ticketpreise schossen in unermessliche Höhen - nicht nur auf dem Schwarzmarkt, sondern sogar auf dem legalen.

Über die offizielle Resale-Homepage von Vanoc verkaufte eine Frau aus Vancouver drei Finaltickets für 18.888 Kanadische Dollar, sie hatte die Karten ursprünglich für 800 Dollar das Stück gekauft. Angeboten wurden außerdem vier Tickets in Sektion 121, Reihe 23, ziemlich gute Tickets - für insgesamt 100.000 Dollar. Der durchschnittliche Resale-Preis bei diesem Spiel lag bei rund 4400 Dollar, das ist dreimal so viel, wie ein Ticket für das Stanley-Cup-Finale einbringt - und immer noch rund 1000 Dollar mehr, als man im Schnitt für eine Karte beim Super Bowl bezahlen muss.

Auf den Straßen Vancouvers feierten die Menschen, eine Menschenmenge, wie sie die Stadt vielleicht noch nie gesehen hat, so glücklich, taumelnd beinahe, vor dem Spiel schon, und nach dem Spiel sowieso. Dazwischen lagen 67 Minuten und 40 Sekunden Eishockey, wie man es bislang selten gesehen hat, so dramatisch. Kanada ging in Führung, nach zwölf Minuten und 50 Sekunden, da explodierte das Stadion zum ersten Mal. Wenn im Canada Hockey Place ein Tor fällt, spielen sie eine sehr laute Schiffshupe ein und schreien die Leute so laut sie können (und es ist beeindruckend, wie laut 19.000 Menschen schreien können), und dann folgt ein fetziger Beat aus den Lautsprechern, dessen Bass so durchdringend ist, dass man beinahe Angst haben muss um die Halle.

Kanada erzielte dann auch noch das 2:0, Corey Perry traf im zweiten Drittel, da schien es schon, als wären die USA geschlagen. Aber die Amerikaner kamen zurück, und dass ausgerechnet Ryan Kesler mit seinem Anschlusstreffer für neue Spannung sorgte, das war eine der schönen Geschichten dieses Nachmittags: Ryan Kesler spielt in Vancouver, er ist einer der Publikumslieblinge hier. Dass er vor dem ersten Aufeinandertreffen noch gesagt hatte, er "hasse" die Kanadier, das haben sie ihm hier längst verziehen - niemand weiß besser als die Kanadier selbst, welche Emotionen in so einem Eishockeyspiel liegen und wie schnell die Emotionen außer Kontrolle geraten können.

25 Sekunden vor Schluss: der Ausgleich

Der Ausgleich, er fiel, als die Menschen schon feierten, sich in den Armen lagen. 25 Sekunden vor Ende, die USA hatten ihren Torwart zugunsten eines sechsten Feldspielers ersetzt, da traf Zach Parise zum 2:2. Und dann, in der Verlängerung, kam Sidney Crosby. Schoss aus ein paar Metern Entfernung aufs Tor, US-Torwart Ryan Miller durch die Beine. "Das Gefühl, das durch meinen Körper ging, als Sid das Tor gemacht hat", sagte Kanadas Torhüter Roberto Luongo hinterher, "mein Gott, das ist unglaublich." Luongo sprach stellvertretend für ein ganzes Land.

Kanada hat jetzt einen Rekord aufgestellt, noch einen: Das Eishockeyteam hat nun achtmal olympisches Gold gewonnen, so oft wie kein anderes. Schon das erste Eishockeyturnier der Olympiageschichte, 1920 in Antwerpen, als Eishockey noch im Rahmen der Sommerspiele ausgetragen wurde, gewann Kanada, auch damals im Finale gegen die USA. "Hockey is Canada's game", es ist wirklich so, spätestens jetzt.

Als Sidney Crosby am Sonntagabend in den Katakomben von Canada Hockey Place stand, um den Hals die Goldmedaille, da wurde er gefragt, was er nun tun werde. "Mit den Jungs rumhängen und es genießen, mit ganz Kanada." Die Nation feiert, sie feiert Sidney Crosby, ihre Mannschaft und ihr Gold, und so, wie es Sonntagnacht auf den Straßen aussah, ist es nicht ganz klar, ob sie jemals wieder aufhören zu feiern.

Im Video: In seiner Abschluss-Pressekonferenz sprach IOC-Präsident Rogge von "außergewöhnlichen Spielen".

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