Olympia 2010: Eröffnungsfeier:Mit schwarzem Trauerschal

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Mit Gefühl und etwas Kitsch begannen die Olympischen Winterspiele. Der Tod eines georgischen Rennrodlers ließ die zelebrierte Gemeinschaft des IOC nur noch enger werden.

H.-J. Jakobs

Olympische Spiele sind wie Weihnachten. Alle fassen sich bei der Hand, und für einige Zeit soll ein bisschen Frieden auf Erden herrschen. Vancouver 2010 spielt mit dem Mythos der fünf Ringe, die fünf Kontinente vereinigen, in einer beschwörenden Konsequenz.

Die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Vancouver war auch eine Orgie des Lichts und der Farben. (Foto: Foto: dpa)

Von "olympischer Waffenruhe" redete Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bei der Eröffnungsfeier, und von der "Magie, auf die wir alle hoffen". Der kanadische Gastgeber-Vertreter John Furlong wiederum lobte die "Magie des Fernsehens", die die Bilder vom Beginn der 21. Winterspiele in die Wohnzimmer der Welt brachte.

Milliarden schauten zu, wie Hunderte in das Stadion BC Place von Vancouver einzogen. Wie die Rituale abgespult wurden in einer Orgie des Lichts und der Farben. Wie der Schauspieler Donald Sutherland, der Ex-Rennfahrer Jacques Villeneuve und andere prominente Kanadier die olympische Flagge ins weite Rund brachten, der Eid gesprochen und die olympische Hymne geschmettert wurde - sowie schließlich die Fackel am Ende einer langen Stafette zu Wayne Gretzky kam, der Eishockeylegende.

Warten auf die Flamme

Diese Show, die immer wieder die Weite und Offenheit Kanadas feierte, konnte auch der Patzer nicht stören, dass sich am Schluss einer von vier Eiszapfen nicht aufrichtete, an denen entlang die Feuerschnur zum Entzünden der olympischen Flamme lief. "Bitte, lass es mit der Flamme hinhauen", rief der TV-Reporter.

Der Tod des georgischen Rennsportlers Nodar Kumaritaschwili im Training, wenige Stunden vor der großen Vancouver-Feier, wiederum schien die olympische Philosophie und die Inszenieurng der Solidarität nur noch zu beflügeln. In einer Schweigeminute gedachten die 55.000 in der Arena des toten Athleten, und in den Reden drückten die Offiziellen angemessen Trauer aus.

Schon im ersten Teil der Drei-Stunden-Show lieferte der Einzug des kleinen, ernsten Teams aus Georgien einen der bewegendsten Momente. Jeder trug einen schwarzen Trauerschal. Es war ruhig im BC Place, und für ein paar Sekunden waren die Jagd nach Ruhm, das Milliarden-Business der Werbeverträge und das elende Thema Doping weit weg.

Auf die unglücklichen Georgier folgten die zahlreichen, gezwungen fröhlich wirkenden Deutschen, deren Sportanzüge alles andere als medaillenverdächtig sind. In wirrer Kombination stehen auf den Jacken dicke Balken von Schwarz, Gelb und Blau (Männer) sowie Rosa (Frauen) zueinander.

Immerhin machte der Fahnenschwenker Andre Lange den gewohnt zupackenden Eindruck. Commonwealth-Staaten wie Australien schafften beim Einzug der Athleten die höchsten Phon-Werte, aber auch Pakistan, Peru und Bermudas, deren Vertreter in Shorts aufliefen, wurden höflich bedacht.

Ein Kleid wie aus dem Windkanal

Hohe Werte im Windkanal muss das royalblaue Kleid erreichen, das sich die Sängerin Nelly Furtado - einer Eisschnellläuferin gleich - über den kurvenreichen Körper gezogen hatte. Vielleicht hat sie Olympia falsch verstanden. Ihren Rockkollegen Bryan Adams jedenfalls übertönte sie mühelos mit ihrem Song, der "one world, one flame" beschwor.

Furtado hat sich mit ihrem Einsatz eine Bronzemedaile verdient, während die durchweg betagten Herren des IOC leer ausgingen. Sie sollten, wie einige andere im Stadion, zu den Musikklängen auf kleinen Trommeln rhythmisch mitschlagen - doch das ist sicherlich schwieriger, als die üblichen Honoratorien-Dinners zu absolvieren.

Gold wert war dagegen die Darbietung des Songs Hallelujah in einem Meer von Lichtstäben auf den Rängen, Silber die Kunst der Sängerin Sarah MacLachlan, während die Nummer mit dem französischen Chanson C'est beau in die Trostrunde muss.

Die Veranstalter setzten mit 4000 Darstellern und 27 Millionen Euro Budget alles in allem erfolgreich auf eine sympathische, gefühlvolle Show, die auf Martialisches verzichtete und fast schon esoterisch in höhere Sphären lockte. Verglichen mit dem Stechschritt chinesischer Soldateska bei der Eröffnungsfeier der Sommerspiele 2008 in Peking war die Zackigkeit der kanadischen Gebirgsjäger, die hier auftraten, leicht erträglich.

Lesen Sie auf Seite 2, wie sich Kanada inszenierte und selbst feierte.

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Großer Raum wurde bei einer Zeitreise durch 12.000 Jahre den Ureinwohnern eingeräumt, den First Nations, deren Chiefs sich in Federkleidung durch die drei Stunden tanzten. Vier große Stammestotem richteten sich auf, dann wieder ruderte ein Ur-Kanadier in einem Kanu, das an Schnüren gehalten wurde, viele Meter über dem Boden.

Es erschien ein Weißer Bär

Sonne, Mond und Sterne gingen auf, und weil Kanadier oft in den Himmel schauen, erschien auch noch ein großer Weißer Bär auf der Bühne, mit vielen Birnchen illuminiert. Hier hatte der Kitsch einen Platz auf dem Treppchen erobert.

Die Lichtkunst erlaubte es, sich kräuselnde Meereswellen mit Orka-Killerwalen auf den Hallenboden zu zaubern, oder große Bäume nach oben schießen zu lassen. Überall in Kanada ist Natur, so die Botschaft dieser Olympia-Party, und überall ist Platz für viele Völker und Kulturen, "A lifetime is not too long to explore this country", verkündete einmal die Stimme aus dem Off: Ein Leben reicht nicht aus, dieses Land zu erforschen.

Immer wieder wurde das Ahornblatt gezeigt, das Nationalsymbol. Eisläufer bewegten sich in drei Kreisen gegengleich über die Bühne, und ein Dichter-Rapper redete von "Träumen fast vom Fließband", die Kanada habe.

Das ist es: Träumen, immer nur träumen, so wie die olympische Idee ein einziger Traum ist, der alle zwei Jahre zum großen Thema der Welt taugt. Von den "Vorbildern, Helden, Giganten" sprach Gastgeber Furlong, von den Sportlern, deren Wettstreit nun alles beherrscht. Und dass alle ein großes Team seien - und in dieser Armee des Friedens gehört der tote Rennrodler dazu.

Im Kampf um den Frieden war er an diesem Abend in Furlongs Worten der "gefallene Kollege".

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