Nordische Ski-WM: Bilanz:"Lecko mio, hey"

Prinz Kircheisen und Sir Martin, die Miri und Marquis de Behle - und insgesamt acht Silbermedaillen. Die Bilanz der Ski-WM in Liberec.

Thomas Hahn

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Der ganze Sport ist eine Oper, zumindest wenn er sich auf der Bühne einer Ski-Nordisch-WM abspielt. Wobei der Plot immer eher schlicht ist, er erinnert an diese klassischen italienischen Stegreifkomödien, bei denen die Zoten wichtiger sind als eine originelle Handlung. Letztlich geht es darum, dass eine Gruppe von Sportlern etwas gewinnen will, es nicht beliebig kann, andere darüber sprechen, und die Sportler dann doch noch etwas gewinnen. Die Geschichte der WM in Liberec wirkte zwischendurch ein bisschen verworren mit ihren vielen verschiedenen Hauptfiguren. Aber immerhin hatte sie einen silbernen Faden.Foto: Reuters

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Prinz KircheisenFolgender Dialog soll sich am Samstag nach der Entscheidung in der Nordischen Kombination zugetragen haben: Tino Edelmann, gerade von der Strecke gekommen: "Und?" Björn Kircheisen, schon länger im Ziel nach einem zehrenden Zweikampf um den Sieg gegen dem Amerikaner Bill Demong: "Was wohl?"Björn Kircheisen hat bei der WM 2007 mal Bronze gewonnen. Das Gerücht, er habe danach eine Allergie bekommen, ist unbestätigt, aber es ist schon auffällig, dass er bald danach mit der Staffel wieder zu Silber griff. Kircheisen ist 25 und hat schon einiges erlebt: 13 Weltcupsiege, 6 Junioren-WM-Titel, 1 Schutzsperre wegen zu hohen Blutwertes. Und viel, viel Silber bei WM und Olympia. Kircheisen war in Liberec der letzte von acht deutschen Silbergewinnerin, und dieser Silbergewinn nach jenem mit der Staffel sein zweiter. Davor in den Jahren 2002, 2003, 2005, 2006, 2007: Silber, Silber, zwei Mal Silber, Silber und Silber. Diesmal schaffte nicht einmal ein Kollege Abwechslung: Tino Edelmann gewann im Massenstartwettkampf ... natürlich. "Eine Silbermedaille ist keine schlechte Medaille", lehrt Kircheisens Kollege Ronny Ackermann, selbst Inhaber von sechs Staffelsilbermedaillen. Doch der hat leicht reden. In Liberec war Ackermann nach langer Krankheit nicht in Bestform - davor war er viermal Weltmeister."Das Goldene fehlt", hat Björn Silber-, pardon, Kircheisen während der WM selbst mal gesagt. Aber nach dem Rennen war er genügsam. Er hatte zuletzt schwere Wettkämpfe, blieb an der Schanze chancenlos wegen Rückenwindes, und war jetzt erst mal ein bisschen stolz. "Ich hab mich ganz gut rausgezogen", sagte Björn Kircheisen, der im Sich-Rausziehen einst große Schwächen hatte. Und dann wollte jemand wissen, welche seiner Silbermedaillen die schönste sei. Da ging Björn Kircheisen im Geiste kurz seinen Silberschatz durch und sagte: "Die sehen natürlich alle schön aus."Foto: Getty

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Der thüringische InfantDas ganze Konzept der Auferstehung könnte nicht funktionieren, wenn davor nicht auch jemand hinabfahren würde, und deswegen war es für die Handlung ganz gut, was Axel Teichmann (links) am Anfang der WM machte. Wie im Leerlauf rannte er durch die Klassisch-Loipe über 15 Kilometer, und beim Jagdrennen vertrug sein Skatingski das schwankende Null-Grad-Wetter nicht. Platz 38 und 30. In der Kitschliteratur wäre das der Moment, in dem Olivia dem empfindsamen Noel sagt, dass sie für immer fort müsse. Es gab keinen Ausweg. Dann kam dieses letzte Gefecht im Teamsprint gegen den Finnen. Mit einem Skispitzenstich ins Ziel sicherte Teichmann Silber, wobei er einen dramatischen Spagat zeigte, der an Oberhofer Schulen als Teichmann-Grätsche gelehrt werden sollte. Es folgte das Staffelrennen, Silber natürlich, und noch ein Hauch von Niederlage gegen Petter Northug, einen Langläufer gewordenen Springbock aus Norwegen, der einfach einen Haken zu viel schlug für das absolute Happy End.Foto: dpa

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Sir MartinPlötzlich erschien auch Martin Schmitt, 31, im sanften Schimmer des Silbermondes. Der Glanz des Zweiten stand ihm gut, er war nicht so hell wie der von vor acht Jahren, als er bei der WM in Lahti zum zweiten Mal Doppelgold gewonnen hatte. Aber er war auch nicht so matt wie die Aura der vierten und fünften Plätze, die Schmitt in dieser Saison häufiger gesammelt hatte. Nun gut, er hatte auch Glück gehabt. Er hatte den richtigen Sprung zur richtigen Zeit. Wind und Schnee erledigten den Rest für ihn. Abbruch nach dem ersten Durchgang. Wenig später berichtete der alte Schmitt in seiner vornehmen Art, dass er glücklich sei. Ehe ihm tags darauf im Teamwettkampf sein eigener Sport mit strammer Faust ins schmale Gesicht schlug.Foto: AP

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UlrikeFür die Gleichberechtigung war auch ein Sendeplatz frei bei dieser WM: Freitagmorgen um halb elf, zur besten Arbeitszeit. Der Andrang war entsprechend, aber da sind Ulrike Gräßler und die anderen Skispringerinnen nicht wählerisch gewesen: Die WM war trotzdem eine große Bühne für das Frauenskispringen, allerdings leider auch für das Kleine-Mädchen-Skispringen. Gleich beim ersten WM-Trainingssprung prallte die Schülerin Natalie Dejmkova, 12, nach 33Metern auf den Vorbau. Das fand niemand lustig, auch Ulrike Gräßler nicht. Immerhin konnte sie den Gedanken des Skisprungdirektors Walter Hofer über ein "weiblicheres Erscheinungsbild" etwas abgewinnen: "Erstmal ist es ja gut, dass er sich überhaupt Gedanken macht über unseren Sport." Für ihre sportlichen Verdienste wurde sie später mit einer WM-Medaille am Bande in der deutschen Wintermodefarbe ausgezeichnet.Foto: dpa

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Die MiriMiriam Gössner, 18, vom SC Garmisch war schon sehr kategorisch, wenn sie über ihre Bestimmung sprach. Sie sei Biathletin und sonst nichts. Hatte es ihr nicht gefallen bei den Langläuferinnen? Jedenfalls war ihr Gastspiel bei den deutschen Langlauf-Frauen etwas delikat. Die durchlebten in Liberec nämlich nicht ihre fruchtbarste Schaffensphase, sahen sich gebremst von Krankheit, Formschwäche, vielleicht auch von den Zweifeln des Bundestrainers Jochen Behle an ihrem Coach Ismo Hämäläinen. Die Stimmung war mittelprächtig, da rückte die junge Gössner in die Rolle des frischen Windes. Fröhlich fegte sich durch den Prolog des Sprintturniers - ehe ihr im Viertelfinale die Teamkollegin Nicole Fessel gleich mal beherzt über die Ski steuerte. Mobbing? Zickenkriegsbeil ausgegraben? Neid auf Miri? Die Geschichte war nicht richtig hart zu kriegen, stattdessen lieferte die jugendliche Heldin zwei Tage später die entscheidende Vorlage für Staffelschlussläuferin Claudia Nystad. "Lecko mio, hey", bemerkte Evi Sachenbacher-Stehle ganz richtig, als sie den forschen Stil der Kleinen sah. Silber, Freude, Friede. Miri gut, alles gut.Foto: dpa

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Marquis de BehleIn jeder vernünftigen amerikanischen Familienserie gibt es einen Fiesling. Warum also nicht auch in der täglichen Langlauf-Soap? Wobei man sagen muss, dass Jochen Behle seine Leute schon von berufs wegen manchmal kritisieren muss. Er ist immerhin der Bundestrainer. Aber vom ersten Tag der Saison an? Direkt vor der WM? Während der WM? Immer gegen den Führungsstil des Kollegen Ismo Hämäläinen gerichtet, der 2007 die Frauen als Disziplintrainer übernahm, nachdem Behle sich mit seinen medienwirksamen Fernkritiken bei denen nachhaltig unbeliebt gemacht hatte? Jedenfalls hatten die Frauen ein bisschen Arbeit mit den Medienanfragen zu den Behleschen Ansprachen. Sie reagierten auf der Loipe und auch außerhalb. Behle musste auch einstecken, zum Beispiel einen Stinkefinger von Claudia Nystad, den die Fingerfertige selbst später natürlich ganz anders gemeint haben wollte. Merke: Langläufer drehen das Geschehen, wie es ihnen gerade passt.Foto: dpa

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Die Stimme von obenAm Ende kommt der Sportdirektor. Oder der Präsident. Und im Falle des Deutschen Skiverbandes in Liberec kamen beide zur WM-Bilanz. Der Sportdirektor Thomas Pfüller sprach milde ("Kein Grund, die Techniker zu verdammen") und mahnend ("Da müssen wir im Nachwuchs deutlich zulegen"). Er bremste Behle: "Es gibt keinen Maulkorb, wir haben uns nur darauf verständigt, dass wir ganz in Ruhe die WM zu Ende bringen." Und er machte die Langläuferinnen auf ein strenges Gericht gefasst: "Sicher wird es nicht so bleiben, wie es ist." Ehe Präsident Alfons Hörmann (links im Bild) sagte, viel wichtiger als Gold sei die "Anzahl der Medaillen". Acht Silberne! Er war zufrieden. "Dafür mag die Silber-WM stehen", sagte er, "es ist nicht leicht zu gewinnen." Und der ganze Krach? "In diesem Metier wird es anders nie gehen. Das Rundherum-Glücklich-Sorglos-Konfliktlos-Szenario kann es eigentlich nicht geben." Präsident Hörmann ist ein Freund der Oper.Foto: dpa

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