Nick Kyrgios:Reif für die Couch

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Och ne, das gibt’s doch gar nicht: Nick Kyrgios versteht im Match gegen Roger Federer die Welt mal wieder so wenig wie sie ihn. (Foto: Jason DeCrow/AP)

In jedem Match ein Mätzchen: Die kuriose Grand-Slam-Woche des 23 Jahre alten Australiers bei den US Open passt bei anderen Spielern in ein ganzes Tennisleben.

Von Jürgen Schmieder, New York

Niemand wird jemals alt und weise, wenn er nicht mal jung und dumm gewesen ist. Das ist eine der wichtigen Erkenntnisse, die einen das Leben so lehrt, wie jene, dass auf Regen die Sonne folgt und dass morgen auch noch ein Tag ist. Der Tennisspieler Nick Kyrgios ist jung, manchmal ist er auch dumm, und er weiß mittlerweile, dass er jung und dumm ist. "Es geht bei mir gerade nicht um Technik oder Taktik, sondern eher um die Psyche", sagte er nach der 4:6, 1:6, 5:7-Niederlage gegen Roger Federer. Er möchte nun endlich älter und weiser werden, so wie einst Federer nach einer Zeit voller Dummejungenstreiche auch älter und weiser geworden ist, und er will wie Federer möglichst viele Turniere gewinnen: "Ich habe doch in meiner Karriere noch überhaupt nichts erreicht", lautete Kyrgios' Erkenntnis. "Das spielt sich alles im Kopf bei mir ab."

Was will der Australier sein: cooler Typ, Entertainer, Profi? Oder alles zusammen?

Der Australier hat eine Grand-Slam-Woche hinter sich, die bei anderen Spielern in ein ganzes Tennisleben passt. Seine Erstrundenpartie gegen Radu Albot (Moldawien) wollte er wegen der Hitze schon im zweiten Satz aufgeben: "Ich bin fertig, ich spüre meine verdammten Beine nicht mehr!", wimmerte der 23-Jährige. In der zweiten Runde gegen Pierre-Hugues Herbert (Frankreich) musste er von Schiedsrichter Mohamed Lahyani mit auffällig aufmunternden Worten zum Weitermachen animiert werden. Lahyani stieg sogar von seinem Stuhl herab und sprach mit Kyrgios, wie ein Vater mit seinem neun Jahre alten Sohn spricht: "Ich will dir helfen. Ich weiß, das bist nicht du." Das sorgte für Debatten über eine mögliche Einflussnahme des Unparteiischen, und natürlich sorgte es mal wieder auch für Debatten über das Interesse von Kyrgios an diesem Sport.

Er ist ein zuverlässiger Höhepunkte-Lieferant, dieser Nick Kyrgios, und es ist verständlich, dass die Leute ihn für einen ungeheuer talentierten Typen halten: Er spielt den Ball durch seine Beine am Gegner vorbei, prügelt seine beidhändige Rückhand in beide Ecken oder übertölpelt Kontrahenten mit unorthodoxen Stopps. Das ist faszinierend anzusehen, doch sind das nicht die Ballwechsel, die eine Partie entscheiden. Die grotesken Fehler, die lustlosen Returns, die abgeschenkten Punkte, all das sieht man nur im Stadion.

Wer also nur Drei-Minuten-Häppchen dieser Partie gegen Federer vorgesetzt bekam, der sah freilich diesen einen Ballwechsel, bei dem Kyrgios ans Netz gelockt wird und den Ball kurz cross übers Netz spielt. Federer erläuft ihn und schubst ihn flach am Pfosten vorbei ins gegnerische Feld - ein Zauberschlag. Kyrgios starrt seinen Gegner an, als hätte er gerade eine Erleuchtung gehabt, dann sagt er: "Das war der geilste Schlag der Geschichte!"

Der Zuschauer mag nun denken: Was für ein tolles Match, und auf der Visitenkarte von Kyrgios, da sollte "cooler Typ" stehen. Auf dieser Visitenkarte steht jedoch "Tennisprofi", auch wenn das mittlerweile doch arg angezweifelt wird. Wenn die Fernsehsender nämlich beschließen, dass die Leute nun lieber Promis auf der Tribüne oder Werbefilmchen sehen sollten, dann führt Kyrgios Selbstgespräche oder teilt den Zuschauern im Stadion mit, dass er nun dringend die Anwesenheit von Lahyani benötige. Es sind jene Momente, in denen Kyrgios eine Partie verliert, weil er seine Nerven nicht im Griff hat. Spektakuläre Schläge nämlich, die kann Federer mindestens genauso, doch was Federer im Gegensatz zu Kyrgios noch kann: eine Partie ohne persönliches Drama beenden.

"Vielleicht poste ich seinen Schlag bei Instagram", sagte Kyrgios, und später lobte er Federer auf sozialen Netzwerken als den größten Tennisspieler der Geschichte. Das ehrt ihn, und es ehrt ihn auch, dass er seine Probleme im psychischen Bereich nun identifiziert und akzeptiert hat, und dass er sie beheben will, ohne sich allzu sehr zu verleugnen: "Ich will schon ich selbst bleiben. Ich will aber mehr erreichen, und ich kann noch mehr erreichen. Ich bin keinesfalls zufrieden." Morgen ist auch noch ein Tag.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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