NHL:Schildkröte mit Reflex

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Philipp Grubauer hält fast alles - wie diesen Puck während der Playoff-Partie gegen Calgary. (Foto: David Zalubowski/AP)

Philipp Grubauer ist in der Form seines Lebens. Als Torhüter der Colorado Avalanche steht der Eishockey-Keeper im Viertelfinale der NHL. Der frühere Bundestrainer Marco Sturm traut dem Team viel zu.

Von Johannes Kirchmeier

Im Spagat lag Philipp Grubauer am Boden, und als Torwart bedeutet das meistens nichts Gutes, gerade in der Verlängerung eines Spiels, das ist im Eishockey nicht anders als in anderen Sportarten. Grubauer also, zur Schildkröte auf dem Eis mutiert, schien geschlagen in diesem Playoff-Spiel am Donnerstag in der nordamerikanischen Profiliga NHL. Calgarys Mikael Backlund musste den Puck ja nur noch über die Torlinie schießen, und er lupfte ihn auch aus zwei Metern Entfernung in Richtung rechtes Eck. Doch die Schildkröte im Tor der Colorado Avalanche hob plötzlich ihr linkes Bein reflexhaft nach oben und wehrte den Schuss und auch Backlunds Nachschuss ab - letzteren schon wieder im Stehen. "Er hatte wohl etwas zu viel Zeit", sagte der gebürtige Rosenheimer Grubauer später.

Eine einzelne Szene vermag nie, eine ganze Playoff-Serie zu entscheiden, aber sie kann den Gegner entnerven. Und die oben beschriebene Sequenz entnervte die Calgary Flames tatsächlich. Sie taten sich ohnehin schwer gegen Grubauer, und der bewies dann auch noch im Liegen den richtigen Instinkt. Wenige Minuten nach dessen Glanztat entschied sein Mitspieler Mikko Rantanen die Partie. Und da Colorado auch die nächste Partie der Best-of-seven-Serie in der Nacht zum Samstag gewann, setzte sich das Team in der ersten Playoff-Runde durch, mit 4:1 Siegen und als achte und damit schlechteste qualifizierte Mannschaft der Western Conference gegen die beste. Was dann auch noch den Columbus Blue Jackets im Osten gegen Tampa gelang - ein Novum.

Im Schnitt 1,9 Gegentore hat Grubauer in fünf Spielen kassiert

Calgarys Johnny Gaudreau, der durch die Hauptrunde mit ganzen 99 Scorerpunkten in 82 Spielen marschiert ist, assistierte in den fünf Partien nur zu einem Tor, unzählige Male scheiterte er an "The Great Wall of Gruby", wie die Denver Post Grubauer zuletzt nannte. Etwa auch per Penalty im entscheidenden Spiel in der Nacht auf Samstag, beim Stand von 0:1 für Colorado. Der Schweizer Stürmer Sven Andrighetto küsste nach dem Spiel Grubauers Helm. Er wusste, bei wem sich bedanken musste.

Als 27-Jähriger ist der Nationaltorwart endlich an seinem großen Ziel, als Nummer eins bei einem NHL-Team darf er die Playoffs bestreiten - und dabei erweist er sich als so stark wie noch nie. 93,9 Prozent aller Schüsse auf sein Tor hat er gehalten, eine der stärksten Quoten der Liga. Das gilt auch für die im Schnitt 1,9 Gegentore, die er in den fünf Spielen kassiert hat. Im richtigen Moment da zu sein, das bezeichnet Grubauer als eine der größten Stärken seines Teams, sie gilt in diesen Tagen auch für ihn.

Im Herzen ist er Oberbayer - das verdeutlicht die Sehnsucht nach Leberkäs'

Und er weiß anders als der Großteil seiner Mitspieler schon, wie man diesen großen Stanley Cup gewinnt. Grubauer holte ihn vor einem Jahr mit den Washington Capitals, noch als Ersatzmann. Im August brachte er den Pokal in seine Geburtsstadt Rosenheim, in der er bei den Starbulls auch mit dem Eishockeyspielen begonnen hat. Im Herzen ist er immer Oberbayer geblieben, auch wenn er bereits mit 16 Jahren nach Nordamerika ging. Über den Winter entwickelt er eine Sehnsucht nach Leberkäse. Und den Washingtonern hat er auch beigebracht, was echte Lederhosen sind. Nur so viel am Rande: Es sind jedenfalls nicht jene, die Nordamerikaner für gewöhnlich in Halloween-Shops kaufen.

Nebenan, in den Sportläden der Shopping Malls kaufen sie in Colorados Hauptstadt Denver vor allem die Trikots von Rantanen und Nathan McKinnon. Die beiden sind die Topscorer des Teams und zählen zu den stärksten Angreifern der Liga. Ihre Tore und Vorlagen sowie Grubauers Paraden könnten die Avalanche in diesem Jahr noch weit führen: "Colorado ist ein Team mit sehr viel Schnelligkeit und Talent. Da kann alles passieren", sagte der ehemalige Bundestrainer Marco Sturm vor dem Playoff-Start. "Sie brauchen einen guten Torwart, und den haben sie mit Grubi als Nummer eins."

Eine schlechte Nachricht wäre ein erneuter Coup der Avalanche im Conference-Halbfinale daher wohl nur für Sturms Nachfolger Toni Söderholm. Der hätte gerne Grubauer oder Thomas Greiss (New York Islanders) als Nummer eins zur WM in die Slowakei (10.-26. Mai) mitgenommen. Doch die erste Playoff-Runde haben nun beide mit ihren Mannschaften deutlich gewonnen. Söderholm sollte also schon einmal seinen Plan B mitdenken.

© SZ vom 21.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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