NHL-Champion Dennis Seidenberg:Der Faustkämpfer aus Schwenningen

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Eigentlich wollte Dennis Seidenberg gar kein Eishockey-Profi werden. Nun hat er als zweiter Deutscher nach Uwe Krupp den berüchtigten Stanley Cup gewonnen. Eine Rückkehr nach Deutschland kann sich Seidenberg nicht vorstellen - mit einer Ausnahme vielleicht.

Als alles vorbei war, schlitterte Dennis Seidenberg auf seinen deutschen Kollegen Christian Ehrhoff zu. Keine ganz einfache Situation, schließlich sind beide privat befreundet - der eine hatte soeben den Stanley Cup gewonnen, der andere die größte Enttäuschung seines Lebens erfahren. Seidenberg erzählte hinterher: "Ich habe ihm beim Handshake kurz für die gute Serie gratuliert, für die Playoffs und die gesamte Saison. Es ist schade, dass einer verlieren musste."

Hoch das Ding: Dennis Seidenberg mit dem Stanley Cup. (Foto: AFP)

Trotz des Pechs seines Kumpels konnte sich Seidenberg ehrlich freuen. "Ich kann es noch gar nicht glauben", jubilierte er am Mittwochabend. Durch ein 4:0 bei den Vancouver Canucks hatten seine Boston Bruins wenige Minuten zuvor den Stanley Cup gewonnen - trotz zweimaligen Rückstands in der Serie "Best-of-seven", trotz des Heimvorteils für Vancouver im entscheidenden Spiel: "Ein Traum ist wahr geworden, ich fühle mich jetzt zwar irgendwie leer, aber überglücklich."

Als Deutscher in der NHL ist Seidenberg natürlich ein Exot - doch er ist keiner, der in seiner Mannschaft einfach mitläuft. Um Seidenbergs Wertigkeit für das Spiel der Boston Bruins zu erahnen, genügt der Blick in die Statistik: Im siebten Spiel bekam er 28:51 Minuten Eiszeit, was für einen Verteidiger viel ist, bereitete sogar die Treffer von Brad Marchand (zum 2:0) und Patrice Bergeron (3:0) vor, was für einen Verteidiger sehr viel ist.

"Am Anfang war ich richtig nervös", sagte Seidenberg: "Aber als der Puck eingeworfen wurde, habe ich mich beruhigt. Wir haben sehr solide die gesamten 60 Minuten durchgespielt."

Es war jedoch ohnehin eine Finalserie nach Seidenbergs Geschmack: Er liebt das physische Spiel, er blockt die meisten Schüsse mit seinem wuchtigen Körper. Und er scheut keinen Faustkampf - wie im Spiel vier gegen Vancouvers Alex Burrows. An der Seite des Slowaken Zdeno Chara, der zu den besten Verteidigern der Welt zählt, blüht Seidenberg regelmäßig auf.

So hat er auch die kritische Eishockeygemeinde in Nordamerika von sich überzeugt. "Dass Boston überhaupt ins Endspiel gekommen ist, liegt zum großen Teil auch an Seidenberg", sagt etwa Lyle Richardson, ein anerkannter kanadischer Eishockeyexperte. Sein Lob schließt jedoch auch Christian Ehrhoff mit ein: "Für mich gehören die zwei eindeutig unter die Top 20 der Verteidiger." In den Playoffs bekam Seidenberg sogar die meiste Eiszeit aller NHL-Spieler. Er sagt: "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine NHL-Statistik anführen werde."

Seidenberg kam recht spät zum Eishockey. Als Uwe Krupp 1996 als erster Deutscher mit der Colorado Avelanche den Stanley Cup gewann, war Seidenberg bereits 15 Jahre alt. "Da habe ich noch Tennis gespielt", erzählt Seidenberg, "und nicht gedacht, dass ich mal in der NHL spielen würde."

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Doch Seidenberg stammt aus Schwenningen, wo immer wieder große Talente entdeckt und gefördert wurden. So auch Seidenberg: Mit 16 Jahren, als Tennis für ihn immer unwichtiger wurde, gab er in der Saison 1997/98 sein Debüt in der zweiten Liga, Seidenberg wechselte anschließend nach Mannheim, wo er drei Jahre später die Deutsche Meisterschaft gewann.

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Mit 20 Jahren hatte Seidenberg demnach alles erreicht, was es im deutschen Eishockey zu erreichen gibt - und wagte den Schritt nach Nordamerika. Im "NHL Entry Draft" 2001 wählten ihn die Philadelphia Flyers. Ihm gelang eine gute Rookie-Saison, verbrachte anschließend ein Jahr in der niederklassigen AHL. Bei einem Trainingsunfall im Januar 2004 brach er sich das Bein und musste ein halbes Jahr aussetzen. Das Karriereende? Seidenberg kämpfte sich zurück. Eine Rückkehr nach Europa stand ohnehin nicht zur Debatte: Seidenbergs Frau ist Amerikanerin, in Deutschland war er seit fünf Jahren nicht mehr.

Danach ging es schnell: Innerhalb von nur vier Jahren spielte er für die Phoenix Coyotes, Carolina Hurricanes und Florida Panthers, bis er 2010 schließlich von den Boston Bruins verpflichtet wurde. "Es ist ein schönes Gefühl, zum ersten Mal in meiner Karriere Sicherheit zu haben", sagte Seidenberg damals, als er bei den Bruins einen Vierjahresvertrag über 13 Millionen Dollar abschloss.

Mit dem Gewinn des Stanley Cups hat Seidenberg nun wiederum alles erreicht - was nun? "Die Ziele bleiben gleich", sagt Seidenberg, "soll heißen: Erneut den Stanley Cup gewinnen. Es hört nie auf."

Eine Rückkehr nach Deutschland kann sich der 29-Jährige nicht vorstellen: "Wahrscheinlich wundert das einige, aber mich zieht im Moment wenig nach Deutschland. Mein Lebensmittelpunkt ist in den USA, hier fühle ich mich sehr wohl. Ich habe aber schon vor, die alte Heimat wieder zu besuchen."

Spätestens im Sommer könnte es soweit sein. Laut Tradition darf jedes Mannschaftsmitglied den Stanley Cup für einen Tag entführen und präsentieren. Uwe Krupp hatte die Trophäe damals mit nach Deutschland gebracht. Vielleicht schwebt Seidenberg Ähnliches vor.

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