Neuausrichtung des HSV:Rezepte für den schläfrigen Riesen

Lesezeit: 3 min

Der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV, Carl-Edgar Jarchow (Foto: dpa)

Beim sportlich schwächelnden HSV steht der Aufsichtsrat unter kritischer Beobachtung - wegen fragwürdiger Personalentscheidungen, Indiskretionen und mangelnder Fußballkompetenz. Einflussreiche Leute wollen deshalb die Strukturen im Verein verändern.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der Hamburger SV, sagt der neue Sportchef Oliver Kreuzer frohgemut, zähle weiterhin zu den ganz Großen des deutschen Fußballs - quasi kurz hinter dem FC Bayern, Borussia Dortmund und Schalke. Seine Aufgabe sei es nun, diesen "schlafenden Riesen" zu wecken.

Das haben in den vergangenen Jahren schon einige versucht.

Unter dem früheren Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer hatte sich der Riese immerhin bewegt, wenngleich in dieser Phase, 2008, der in Dortmund zum Meistertrainer aufgestiegene Jürgen Klopp unter anderem deshalb nicht nach Hamburg kam, weil HSV-Scouts ausfindig gemacht hatten, er sei schlecht rasiert, habe Löcher in den Jeans und sei unpünktlich.

Bei Beiersdorfers Nachfolgern, Bastian Reinhardt und Frank Arnesen, wirkte der Klub dann wie ein Patient, der zu viele Narkose-Medikamente bekommen hat. Dem Ärzteteam, das all diese Präparate verschrieben hat, könnte es jedoch bald an den Kragen gehen. Dies ist, glauben viele im Umfeld des HSV: der elfköpfige Aufsichtsrat.

Dieses Gremium, sagen Kritiker, habe dem Traditionsverein in den vergangenen Jahren Imageschäden zugefügt - nicht nur bei diversen missratenen Bemühungen um einen neuen Manager, von Horst Heldt über Roman Grill, schon einmal Kreuzer und Urs Siegenthaler bis hin zu Matthias Sammer. Zuletzt stellte der aktuelle Vorsitzende Manfred Ertel zum Ärger etlicher einflussreicher Mitglieder einen spöttischen Witz über Bayern-Präsident und Steuersünder Uli Hoeneß ins Internet.

Während etliche Teilnehmer bei der Mitgliederversammlung vor zwei Wochen Ertel zum Rücktritt aufforderten, hat Ernst-Otto Rieckhoff, 61, der frühere Vorsitzende des Gremiums, so viel Beifall bekommen wie noch nie. Er regte nämlich eine gravierende Strukturreform an, die den HSV in Zukunft schlagkräftiger machen soll.

Die Kernpunkte von Rieckhoffs Forderungen: Verkleinerung des Aufsichtsrates von elf auf sieben Mitglieder, weniger Einfluss des Rates auf das operative Geschäft - und sportliche Kompetenz müsse in dem Gremium ebenso festgeschrieben werden wie wirtschaftliche. Zudem wolle er - was bisher undenkbar war - den Verein bei Bedarf für Investoren öffnen, sofern im Einzelfall die Mitglieder dafür stimmen. "Wir müssen billiges Kapital schaffen", sagt der Kaufmann Rieckhoff, "und das billigste Kapital sind nun mal Investoren."

Tatsächlich ist inzwischen beim Gründungsmitglied der Bundesliga eine Debatte darüber entbrannt, wie ein modernerer HSV aussehen könnte. Etliche Mitglieder haben sich bei Rieckhoff am Telefon gemeldet, viele haben Mails geschickt, teils mit eigenen Konzepten. "Ich bin", sagt Rieckhoff, "hochmotiviert." Schon bei der nächsten Mitgliederversammlung im Januar 2014 soll das mit Hilfe von Juristen ausgearbeitete Modell zur Abstimmung stehen.

Dafür soll im Verein offensiv geworben werden - etwa im Seniorenrat und, am wichtigsten, in der 70 000-Mann-Abteilung "Supporters". Rieckhoff, der Anfang der neunziger Jahre auch mal Schatzmeister war, hat selbst erlebt, wie der HSV-Aufsichtsrat versagt hat. "Ich habe die Fehler mitgemacht", sagt er.

Derzeit gibt es in dem Gremium neben Unternehmern und Managern auch eine Rechtsanwältin, einen Schauspieler, einen Volkswirt, einen Rentner und einen Angestellten - aber keinen Fußballfachmann. Manfred Ertel, ein wortgewandter Spiegel-Journalist, stößt als Chef des Aufsichts- rates an seine Grenzen. Sein Mantra, die Kontrolleure verstünden sich bestens, ist wohl eher ein Wunschtraum.

Ernst-Otto Rieckhoff weiß, dass einige der Aufseher miteinander zerstritten sind. Und er hat selbst erlebt, wie viele Ratsmitglieder in der Vergangenheit mit "gezielten Indiskretionen" an die Öffentlichkeit gegangen sind und manchen Transfer auf diese Weise zerstört haben. In einem so großen Gremium könnten sie sich "in der Anonymität gut verstecken", begründet Rieckhoff seinen Antrag auf Verkleinerung des Rats.

Je kleiner der Kreis, desto eher könne man die Indiskreten überführen. Zudem soll nach Rieckhoffs Meinung der Aufsichtsrat weniger am operativen Geschäft des Vorstands teilnehmen. Bisher muss nämlich jede Ausgabe von mehr als 500 000 Euro in einer Sitzung vom Aufsichtsrat abgesegnet werden. So seien kurze und schnelle Entscheidungswege kaum möglich, kritisiert Rieckhoff.

Jörg Schmadtke, der dem Gremium kürzlich als Sportdirektor-Kandidat gegenüber saß, sagte danach: "Ich befürchte, dass es der Verein mit seinen jetzt bestehenden Strukturen in der nächsten Zeit schwer haben könnte." Der HSV-Aufsichtsrat Jürgen Hunke hatte zuvor, mal wieder sehr indiskret, ausgeplaudert, der frühere Hannover-96-Geschäftsführer Schmadtke habe während des Vorstellungsgesprächs "nur dagesessen und in seinen Unterlagen geblättert" - Oliver Kreuzers Präsentation war vom Rat hingegen positiver bewertet worden.

Mit Hunke, der einst HSV-Präsident war, hat sich Rieckhoff übrigens schon verabredet. Dass die beiden auf einen Nenner kommen, ist aber relativ unwahrscheinlich. Denn auch Hunke hat ein Modernisierungs-Konzept entworfen. Demzufolge soll der Aufsichtsrat noch stärker werden. Der HSV-Vorstand soll von vier auf fünf Mann vergrößert werden - indem der Aufsichtsratschef dazu stößt. Die Breitensportabteilungen sollten nach Hunkes Vorstellung künftig von einem ehrenamtlichen Präsidenten geführt werden.

Wenn es dumm kommt für den HSV, könnten sich beide Initiativen gegenseitig zerfleischen. Christian Bieberstein, der neue Supporters-Vorsitzende, sagte dem Hamburger Abendblatt, ein Großteil seiner Abteilung stehe "der Bildung einer Kapitalgesellschaft kritisch gegenüber". Und ob die "Supporters" für eine Verkleinerung des Aufsichtsrates sind, ist ebenfalls fraglich. Denn das hieße zumindest theoretisch, dass sie die Vereins-Politik des HSV künftig nicht mehr so stark mitbestimmen dürften wie bisher.

© SZ vom 15.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: