Basketball in der NBA:Wunder statt Wunder

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Lufthoheit: Jimmy Butler erzielte 28 Punkte für Miami und bringt den Außenseiter doch noch ins NBA-Finale. (Foto: David Butler II/USA Today/Reuters)

Die Boston Celtics hatten die Chance, zum ersten Mal in der NBA-Geschichte nach 0:3-Rückstand in den Playoffs noch zu gewinnen. Stattdessen erreicht Miami Heat die Finalserie - vom letzten Endrundenplatz aus.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Verlieren tue nicht weh, sagte der Tennisprofi Mardy Fish einmal. Was dagegen richtig schmerze: dem Triumph nahe zu sein - und dann zu verlieren. Wer die Basketballspieler der Boston Celtics nun in den letzten Minuten der entscheidenden siebten Halbfinalpartie gegen Miami Heat sah, dürfte verstehen, was das konkret bedeutet. Trainer Joe Mazzulla hatte seine Prominentesten vom Feld geholt, warum sollte er sie weiter demütigen? Das Spiel war gelaufen, Miami führte uneinholbar, es war vorbei, 103:84 ging es am Ende aus. Da saßen sie nun also auf der Ersatzbank: Jayson Tatum, Marcus Smart, Derrick White, Jaylen Brown, Al Horford. In ihren Gesichtern waren nicht Wut, Frust, Ärger oder Verzweiflung zu sehen, sondern nur Schmerz.

"Ich bin so enttäuscht wie selten zuvor in meinem Leben", sagte Horford später: "Es nimmt einen ja emotional mit: die Begeisterung, mit der wir nach Boston gekommen sind. Wir haben nicht nur daran geglaubt, sondern fast erwartet, dass wir diese Partie und die Serie gewinnen würden - nach diesem Rückstand. Ich bin dennoch stolz auf uns, auch wenn es jetzt im Moment sehr, sehr wehtut."

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Die Boston Celtics hatten am Sonntagabend die Chance gehabt, sich in die Annalen der nordamerikanischen Basketballliga NBA einzutragen. 0:3 hatten sie zurückgelegen in dieser Best-of-seven-Serie gegen Außenseiter Miami. Das ist in der NBA-Geschichte 150 Mal passiert, 150 Mal hatte es kein erfolgreiches Comeback gegeben. In den bedeutenden Sportligen mit Playoff-Serien hatten das bislang lediglich die Eishockeyvereine Toronto Maple Leafs (1942), New York Islanders (1975), Los Angeles Kings (2014) sowie der Baseballklub Boston Red Sox (2004) geschafft, einen solchen Rückstand aufzuholen.

Hätte Boston die vierte Partie verloren wie die Los Angeles Lakers im anderen Halbfinale gegen die Denver Nuggets, wären Hohn und Spott gewiss gewesen. So aber begann eine lange Reise bis zur finalen Enttäuschung - vergleichbar mit dem, was Borussia Dortmund am Samstag in der Fußballbundesliga durchmachen musste.

Denn Boston kam zurück in der Serie, es war plötzlich wieder das bessere Team, für das es wohl jeder außerhalb von Miami gehalten hatte. Und dann gab es noch diesen Moment am Ende von Spiel Nummer sechs in der Arena des Gegners. Jimmy Butler hatte Miami Heat mit drei Freiwürfen drei Sekunden vor Schluss mit einem Pünktchen in Führung gebracht, und während der Auszeit ermunterte er seine Kollegen, dass nur noch eine gelungene Defensivaktion nötig sei für den Einzug in die Finalserie. "One Stop", sagte Butler, und der gelang Miami tatsächlich - nur: Derrick White tippte den vom Korb abprallenden Ball mit Schlusssirene ins Netz und erzwang die siebte Partie für Boston. In Boston.

Miami, der Außenseiter, als letztes Team in die Playoffs gerutscht, war dem Triumph so nahe gewesen. Man konnte danach Durchhalteparolen von Miamis Trainer Erik Spoelstra hören: "Ich habe keine Ahnung, wie wir das Ding noch gewinnen sollen, aber wir werden es irgendwie schaffen." Ebenso von Butler: "Es ist mir scheißegal, was passieren wird, aber wir werden nach Boston fahren und gewinnen." Eine siebte Partie im "Garden" von Boston stand also an, in einer der lautesten Arenen der USA. Und weil die Celtics nach drei Siegen am Stück noch diesen emotionalen Kick durch den Letzte-Sekunde-Korbleger von White verbucht hatten, war es verwunderlich, dass die Buchmacher überhaupt noch Wetten auf einen Celtics-Sieg annahmen, so favorisiert war Boston.

Miami schreibt die Wohlfühlgeschichte dieser Playoffs

Am Ende der Partie aber, Miami gewann sie völlig verdient, hieß es: Wunder statt Wunder. Der Eintrag in die Geschichtsbücher für Boston blieb zwar aus - dafür aber darf Miami auf der anderen Seite die Wohlfühlgeschichte dieser Playoffs in der Finalserie fortschreiben, die am Donnerstag in Denver beginnen wird. Das Team kommt ein bisschen daher wie diese Ansammlung aus Misfits, also Außenseitern, wie man sie aus Sportfilmen kennt: Anführer Butler wird trotz grandioser Leistungen gerade in wichtigen Momenten bedeutsamer Partien immer noch unterschätzt; bei der Wahl zum wertvollsten Spieler der Saison kam er mit drei Punkten auf Platz zehn. Der 34 Jahre alte Kevin Love, Meister 2016 mit den Cleveland Cavaliers, sieht mittlerweile aus wie ein Bankberater und bewegt sich auch so. Kyle Lowry, 37, Titelgewinner 2019 mit den Toronto Raptors, hat nicht nur ein paar Pfund zu viel auf den Rippen.

Und genau das macht Miami gefährlich, wie diese siebte Partie gegen Boston zeigte. Es ist eine abgezockte Truppe, die sich nicht aus der Ruhe bringen lässt: Sie weiß die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, auf die von Caleb Martin (26 Punkte), Bam Adebayo (zwölf Punkte, zehn Rebounds) oder Duncan Robinson (zehn Zähler). Und sie kann sich in entscheidenden Momenten auf die erfahrenen Anführer Lowry und Butler (28 Punkte) verlassen. In der Finalserie wird Miami wohl auch von Spiel drei an den verletzten Präzisionswerfer Tyler Herro wieder einsetzen.

Herro war 2020 in den Playoffs, damals in der Covid-Blase, zum Spitzenspieler aufgestiegen; und auch einige Heat-Spieler wissen natürlich, wie sich Schmerz bei einer Niederlage vor einem möglichen großen Triumph anfühlt. Miami hatte es damals überraschend in die Finalserie gegen die Lakers geschafft und verloren. Das soll diesmal nicht passieren. "Wir haben gar nichts erreicht", sagt Butler: "Die haben mich nicht geholt, damit wir ins Finale kommen. Ich bin hier, um den Titel zu holen. Ich glaube fest daran, dass wir das schaffen können."

Den großen Schmerz, den sollen dieses Jahr mal die anderen spüren: erst die Milwaukee Bucks in der ersten Runde, dann die Boston Celtics. Und nun womöglich die Denver Nuggets, die zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte im Finale stehen und vom großen Triumph träumen.

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