NBA-Champion Toronto Raptors:Der Typ, der die "Scheiß-drauf-Würfe" versenkt

Lesezeit: 4 min

Kawhi Leonard nach dem Sieg in den NBA Finals. (Foto: AFP)
  • Die Toronto Raptors sind neuer NBA-Champion - als erstes kanadisches Team überhaupt.
  • Ihr bester Spieler Kawhi Leonard tritt ganz bescheiden auf.
  • Er ist kein Lautsprecher oder Müllredner, der andere die Drecksarbeit machen lässt.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Entschuldigung, aber es ist eine bodenlose Frechheit, dass Kawhi Leonard zum wertvollsten Akteur der NBA-Finalserie gewählt worden ist. Der Flügelspieler der Toronto Raptors soll wegen seiner unfassbaren Leistungen natürlich jede Trophäe bekommen, der er habhaft werden kann, Nick Nurse möge zum Trainer des Jahres gewählt werden und Masai Ujiri zum besten Manager dieser Spielzeit. Der wertvollste Akteur beim neuen Meister jedoch, das war dieser 67 Jahre alte Typ mit den beneidenswert vielen weißen Haaren, der nach dem Finalsieg gegen die Golden State Warriors mit besonders viel Champagner übergossen wurde. Das wichtigste Puzzlestück der Raptors, das ist Alex McKechnie, auf dessen Visitenkarte der fantastische Titel "Director of Sports Science" steht.

Die Raptors haben die Finalserie mit 4:2 gegen einen von Verletzungen ausgedünnten und am Ende ausgelaugten Warriors-Kader gewonnen, und im kalifornischen Oakland werden sie nun darüber debattieren, ob sie Kevin Durant nach seiner Wadenverletzung nicht zu früh haben spielen lassen (er riss sich im fünften Spiel die Achillessehne) und ob die Blessur am Knie von Klay Thompson während der sechsten Partie auch auf Überlastung und Ermüdung zurückzuführen ist. Man kann nun fragen, was da falsch gelaufen ist bei den Warriors - man könnte aber auch mal nachsehen, was die Raptors richtig gemacht haben.

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Das Team gewinnt das sechste Spiel gegen die Golden State Warriors und entscheidet so die Meisterschaft mit 4:2 Siegen für sich.

Diese Geschichte dieser Meisterschaft beginnt im März 2018 bei den San Antonio Spurs. Deren Spieler wollten bei einer Aussprache von Leonard wissen, was denn nun los sei mit Schulter und Oberschenkel und ob er denn irgendwann mal aufs Parkett zurückkehren wolle. Leonard fühlte sich missverstanden, von Kollegen, Trainern und der medizinischen Abteilung des Vereins. Er sah keine Vertrauensbasis mehr und verlangte ein Tauschgeschäft nach der Saison. Die Raptors hatten Interesse, sie hatten einen ordentlichen Kader, vor allem aber hatten sie diesen Direktor für Sportwissenschaft, der als Physiotherapeut der Los Angeles Lakers bereits die geschundenen Körper von Shaquille O'Neal, Kobe Bryant und Pau Gasol gepflegt und dort fünf NBA-Titel gewonnen hatte.

Leonard sollte höchstens 60 Partien absolvieren

Manager Ujiri fädelte das Tauschgeschäft ein, er schickte dafür sogar Publikumsliebling DeMar DeRozan nach San Antonio - und er entließ Dwane Casey, der kurz davor zum besten Trainer der abgelaufenen Saison gewählt worden war. Ujiri wollte einen Coach, der die Strategie von McKechnie akzeptierte, auch wenn das höchstwahrscheinlich eine schlechtere Bilanz in der regulären Spielzeit zur Folge haben würde. Nurse, 51, eher bekannt aus der britischen Basketballliga und davor fünf Jahre lang Assistenztrainer der Raptors, war bereit für dieses Experiment, bei dem die 82 angesetzten Saisonspiele lediglich Trainingseinheiten für die Playoffs sein sollten.

Leonard, 27, sollte höchstens 60 Partien absolvieren, er sollte nie an zwei aufeinander folgenden Tagen auflaufen, ein über detaillierte Analyse seiner Muskulatur erarbeitetes Training sollte dafür sorgen, dass er nicht im Dezember oder Februar topfit sein würde, sondern zu Beginn der Playoffs. Genau so war es dann auch: Bei der Wahl zum wertvollsten Akteur der regulären Saison gehörte Leonard - zu Recht übrigens - nicht zu den ersten drei (das waren Giannis Antetokounmpo, James Harden und Paul George), in der Ausscheidungsrunde allerdings war kein Spieler auch nur annähernd so dominant wie der Zugang aus San Antonio.

Es dürfte einige NBA-Akteure geben, Harden und George zum Beispiel, die sich nun im Urlaub fragen, was in aller Welt nach dieser tollen regulären Saison in den Playoffs falsch gelaufen ist. Sie könnten aber auch mal nachsehen, was dieser Kawhi Leonard richtig gemacht hat.

Der ist kein Lautsprecher und Müllredner, er ist nicht auf der Jagd nach persönlichen Rekorden, er lässt auch nicht andere die Drecksarbeit machen, damit er selbst glänzen kann. Er verteidigt leidenschaftlich, übernimmt ohne Gedöns die Verantwortung in wichtigen Momenten wie beim letzten Angriff des entscheidenden Spiels im Viertelfinale gegen Philadelphia (er traf), und auf blöde Fragen von Reportern (zum Beispiel wollte einer nach der blamablen Niederlage im zweiten Halbfinalspiel und dem damit verbundenen 0:2-Rückstand wissen, wohin es denn nun gehen würde mit den Raptors) sagt er solch wunderbare Sätze wie: "Nach Toronto, zu Spiel drei."

Hinter so einem müssen sich die Kollegen nicht kleiner machen, sie dürfen wachsen. Der 25 Jahre alte Pascal Siakam etwa, der in den Playoffs über sich hinausgewachsen ist und über seinen Anführer sagt: "Was ich am meisten von ihm gelernt habe: in jeder Situation ruhig, cool und gelassen zu bleiben." Oder Kyle Lowry, der nach dem Weggang seines Kumpels DeRozan wochenlang kein Wort mit Manager Ujiri gesprochen hatte, dann aber den Sinn des Tausches erkannte - weil DeRozan eher einer für die 82 Saisonspiele ist und weniger für die Playoffs.

Oder die spanischen Veteranen Serge Ibaka und Pau-Bruder Marc Gasol, die nun den ersten großen Titel ihrer Karriere feiern durften. Oder Fred VanVleet, 25, den nach seiner Zeit am College erst einmal kein Profiteam haben wollte, und der nun im sechsten Spiel der Finalserie einen Karriere-Höchstwert von 22 Punkten schaffte und deshalb eine von elf Stimmen bei der Wahl zum wertvollsten Spieler erhielt. Der sagte zum Beispiel auf die Frage nach dem Grund für den Sieg im vierten Spiel gegen die Warriors: "Kawhi ist rausgegangen und hat zwei Scheiß-drauf-Würfe versenkt. Das hat denen gezeigt, dass wir noch da sind."

Was dieser Leonard für ein Typ ist, das war nach dem Ende der Ehrungen zu beobachten. Er hatte ja schon 2014 mit den Spurs die Meisterschaft gewonnen, auch damals war er zum wertvollsten Akteur der Finalserie gewählt worden. Was er denn seinen Kollegen von dieser Erfahrung damals habe vermitteln können, wurde er gefragt. Die Antwort: "Ach, ich habe ihnen gesagt, dass man nun jeden Tag mit den Medien reden muss und dass beim Aufwärmen ein paar Journalisten auf dem Parkett rumlaufen können. Ansonsten: 'Habt Spaß und genießt die Erfahrung!'" Mal ehrlich: Wer will so einen Häuptling nicht im Kader haben?

Genau das könnte nun das Problem der Raptors werden: Leonard kann nun wechseln, wohin immer er möchte, und der gebürtige Kalifornier hat immer wieder mal gesagt, dass er gerne in Los Angeles spielen würde. Sie machen sich darüber nicht allzu viele Sorgen in Toronto. Zum einen hat Leonard ihnen den ersten NBA-Titel für einen kanadischen Verein beschert, zum anderen: Warum sollte der Häuptling wegwollen von Medizinmann Alex McKechnie? Es heißt aus der Umkleidekabine der Raptors, dass Leonard darauf geachtet habe, gleichzeitig mit dem "Director of Sports Science" mit Champagner übergossen zu werden.

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