Nationalmannschaft:Joachim Löw ist zum Realo geworden

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Joachim Löw beim Training in Berlin (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Der Bundestrainer will den Fußball nicht mehr neu erfinden, das Über-Akademische ist raus. Sein Team für die EM wird er auch nicht durch die zwei Freundschaftsspiele finden.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Joachim Löw scheint nicht nachtragend, nicht abergläubisch zu sein, jedenfalls nicht mehr. Anders als viele seiner Vorgänger, die so manchen Länderspielort mit einem Bann belegten, wenn dort etwas schief gegangen war. Aber Löw hat nicht nur eine Wohnung in der Hauptstadt, er preist auch offensiv jene Spielfläche an, auf der für ihn alles einmal schon fast zu Ende war. Berlin, so befand er vor dem Oster-Test gegen England, biete seinen Profis eine "tolle Bühne", um sich für die Europameisterschaft im Juni in Frankreich zu empfehlen. Vier Jahre war die Nationalelf nicht mehr im ach so tollen Olympiastadion; seit dem 16. Oktober 2012, an dem gegen die Schweden einer der kuriosesten Betriebsunfälle der Länderspiel-Historie zu bestaunen war. Im Zeitraffer: 1:0 Klose, 2:0 Klose, 3:0 Mertesacker, 4:0 Özil; aber dann: 1:4 Ibrahimovic, 2:4 Lustig, 3:4 Elmander, 4:4 Elm. Das Echo aus dem Volk, das Löw damals entgegen schallte: Mit dem wirste nix. Mit dem gewinnste nix.

Der Weltmeistertrainer mit 56: Armin-Veh-Rhetorik - aber immer noch Innovationsfreude

Vier Jahre später ist alles anders. Das Volk hat sich ein bisschen geändert, Löw hat sich geändert, und alle führen ihre fußballsportlichen Debatten jetzt auf der soliden Grundlage, dass die Söhne des Landes in Brasilien Weltmeister wurden. Das extreme Viervier gegen Schweden war nicht das Ende, es war ein Anfang. Unter dem Eindruck des Berlin-Schocks (und der kurz zuvor von Betriebsunfällen geprägten EM 2012) hat der Bundestrainer seine Methodik komplett reformiert. Er will den Fußball heute nicht mehr neu erfinden, er sucht keine Revolution der Spiel-Systeme, er will für die Nation keinen neuen Rechtsverteidiger entdecken, das Über-Akademische ist raus.

Löw nimmt das, was die Bundesliga, was die Vereine ihm zur Verfügung stellen. Und dann baut er daraus seine Turnier-Elf. Später, wozu die Eile? Nicht am Samstag in Berlin gegen England oder am Dienstag in München gegen Italien wird er seine Stammelf finden, das kommt frühestens Ende Mai, im Tessin. Löw setzt voll auf die Heilkräfte der finalen Vorbereitungswochen, so wie es vor der WM 2014 war, als er mit mehr Maladen (Neuer, Lahm, Schweinsteiger, Khedira, etc.) als Fitten in Südtirol begann. Die dann aber alle spätestens im Verlauf des Turniers in Brasilien als genesen eingesetzt wurden.

Seit 2012 wurde Löw vom Idealisten zum Realo

Fragen nach der Fitness perlen deshalb am Bundestrainer ab, er nutzt gerade eine Art Armin-Veh-Rhetorik: Alles schon erlebt; alles schon mal da gewesen; er wisse doch genau, was zu tun ist.

Anders als Veh aber, dessen Trainer-Laufbahn jüngst mit seiner Entlassung in Frankfurt im Alter von 55 Jahren womöglich schon zu Ende ging, scheint den dunkelhaarigsten 56-Jährigen des Landes die Innovationsfreude längst nicht verlassen zu haben. Nur eben alles zu seiner Zeit. Löw wirkt dabei wie ein Grüner, der sich seit 2012 vom Idealisten zum Realo gewandelt hat. Er hat gelernt, dass man seine Energien auch zu früh verschwenden kann. Der Rauswurf des Wolfsburgers Max Kruse war jüngst ein erstes pädagogisches Signal, dass langsam die Schrauben angezogen werden, der Rest folgt, im Tessin oder doch erst im Turnier.

Es ist fast zehn Jahre her, dass Löw von Klinsmann übernahm. Die EM wird sein fünftes Turnier, das er alleinverantwortlich coacht, doch keines war wie dieses. Durch die Aufstockung von 16 auf 24 Teams wird die Vorrunde mit der Ukraine, Polen, Nordirland zur Warmlaufphase, die ersten Drei kommen wohl weiter. Dass Löw der vierte Bundestrainer sein könnte, der nach Derwall (EM 1984), Ribbeck (EM 2000) und Völler (EM 2004) eine Vorrunde vercoacht, scheint ausgeschlossen zu sein. Löw, der Bundes-Jogi, arbeitet gerade auf Autopilot. Er ist sich völlig sicher, dass das jetzt so richtig ist.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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