Tennisprofi Mikael Ymer:Nichts mehr zu verlieren

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"Mein Gewissen ist rein": Der 24 Jahre alte Schwede Mikael Ymer fühlt sich ungerecht behandelt. (Foto: Jean-Francois Badias/dpa)

Der schwedische Tennisprofi Mikael Ymer beendet im Alter von nur 24 Jahren seine Laufbahn. Er hätte eine 18-Monate-Dopingsperre antreten sollen - das abrupte Ende der Karriere sorgt für Debatten.

Von Jürgen Schmieder, New York

Draußen, vor der Tennisanlage der US Open, liegen die Trainingsplätze für die weniger bekannten Spieler. Emma Raducanu und Leylah Fernandez etwa hatten 2021 hier trainiert, ehe sie weit genug gekommen waren, um auch die Plätze neben dem Arthur Ashe Stadium nutzen zu dürfen. Hier, vor der Anlage, geht es ruhiger zu, Fans ergattern ab und zu einen Ball, der über den Zaun geflogen ist - nur eines ist gewiss, und da verstehen die Sicherheitsleute keinen Spaß: Auf den Platz selbst dürfen nur US-Open-Teilnehmer, Trainingspartner und Coaches. Und das bedeutet für Mikael Ymer: kein Zutritt.

An diesem Verbot lässt sich erklären, was gerade passiert im Männertennis: Ymer ist ein 24 Jahre alter Schwede, bis zum vergangenen Wochenende war er Tennisprofi, galt als eines der großen Talente dieses Sports. Vor zwei Jahren erreichte er mit einem Sieg über Carlos Alcaraz - diesmal neben Novak Djokovic der große Favorit auf den US-Open-Sieg - das erste große Finale seiner Karriere; in diesem Jahr schaffte er es in Wimbledon durch einen Fünf-Satz-Sieg gegen den an Neun gesetzten Amerikaner Taylor Fritz, nach Zwei-Satz-Rückstand übrigens, bis in die dritte Runde und damit in die Top 50 der Weltrangliste. Warum sollte einer, der gerade die beste Phase seiner Karriere erreicht und bereits Leute wie Alcaraz, Andy Murray, Frances Tiafoe und Gael Monfils besiegt hat, warum sollte er diese Laufbahn beenden?

Im Januar 2022 kam heraus, dass Ymer drei unangekündigte Dopingtests verpasst hatte, der Weltverband ITF wollte ihn daraufhin für zwei Jahre suspendieren. Ymer klagte gegen die Sperre: Für die ersten beiden Verfehlungen übernehme er die Verantwortung, bei der dritten habe sein Manager nur vergessen, beim Challenger-Turnier in Roanne/Frankreich im November 2021 den Wechsel des Hotels rechtzeitig zu melden. "Ich weiß, dass es die Regeln gibt, um die Integrität unseres Sports zu sichern", sagte er damals: "Ich glaube aber nicht, dass ich diese Regeln gebrochen habe; mein Gewissen ist rein."

Ymer klagte gegen die Sperre vor Gericht - und gewann im Juni 2022. Er durfte also weiterspielen und in der Weltrangliste nach oben klettern. Die ITF jedoch klagte gegen diesen Freispruch vor dem Sport-Gerichtshof CAS, und der entschied am 17. Juli: 18 Monate Sperre für Ymer, zu der auch gehört, dass er nicht nur nicht an Turnieren teilnehmen darf - er darf auch nicht Trainingspartner sein, etwa für seinen Bruder Elias, der ebenfalls Tennisprofi ist, auf Platz 188 der Weltrangliste geführt wird und vergangene Woche in der Qualifikation scheiterte. Mikael Ymer indes muss weiterhin für Tests zur Verfügung stehen, will er seine Karriere nach der Sperre fortsetzen.

Schon im Mai hatte er die Nerven nicht im Griff und wurde auffällig

Die Reaktion von Ymer im Juli: "Ich halte die Entscheidung, nochmals gegen mich vorzugehen, trotz des Freispruchs, für unfair." Er sei nie positiv getestet worden, und er habe das Missverständnis des dritten Fehlens schlüssig vor Gericht begründet: "Ich finde es darüber hinaus schwer zu verstehen, wie jemand eine 18-Monate-Suspendierung für eine gerechte Strafe halten kann." Am vergangenen Freitag dann das Karriereende, verkündet auf dem Kurznachrichtendienst X: "Danke für die wunderbaren Erinnerungen. Ich wünsche allen einstigen Kollegen alles Gute."

Man kann das als Frustentscheidung interpretieren; bereits im Mai war er in Lyon auffällig geworden, hatte die Nerven nicht immer im Griff. Nach einer umstrittenen Referee-Entscheidung malträtierte er dessen Stuhl wiederholt mit seinem Schläger; er wurde beim Stand von 5:6 im ersten Satz disqualifiziert und bekam eine Geldstrafe in Höhe von 37 370 Euro; dazu wurden ihm die soeben erspielten 20 Weltranglistenpunkte abgezogen. "Es rechtfertigt nicht, was ich getan habe", aber, so Ymer, die Videos zeigten, "was dazu geführt hat, dass ich so reagiert habe." Eine Lesart also: Ymer beendet lieber im Alter von 24 seine Karriere, als die Sperre abzusitzen.

Es ist aber auch möglich, dass mehr dahintersteckt; es werden Erinnerungen an Footballprofi Rob Gronkowski wach. Der sollte 2018 von den New England Patriots nach Detroit geschickt werden - verhinderte das aber mit der Drohung, seine Karriere zu beenden. Er gewann danach seinen dritten Titel mit den Patriots, beendete dann seine Laufbahn - und gab sein Comeback bei den Tampa Bay Buccaneers. Wieder drohte er damit, die Karriere nicht fortzusetzen; er verschaffte Tampa Bay so eine famose Position bei den Tausch-Verhandlungen und gewann gemeinsam mit Quarterback Tom Brady noch einen Super Bowl.

Was wären Sanktionen gegen einen Zurückgetretenen, der es sich nach Ablauf seiner Sperre anders überlegt?

Beendet Ymer seine Karriere, um den Nebensanktionen der Dopingsperre aus dem Weg zu gehen - also dem Verbot, mit anderen Profis zu trainieren? Was wären Sanktionen gegen einen Zurückgetretenen, der es sich nach Ablauf seiner Sperre anders überlegt und als frischer 26-Jähriger zurückkehrt auf die Tour? Es stehen in den Regelwerken von ITF, ATP und der International Tennis Integrity Agency keine klaren Vorgaben zu dieser Situation; es gibt im Tennis keinen Vergleichsfall (Rücktritt nach Dopingsperre), die ATP lässt eine SZ-Anfrage unbeantwortet.

Das Meinungsspektrum im Presseraum reicht von "Sollte unbedingt unterbunden werden" bis "Respekt für einen derart cleveren juristischen Schachzug". Auch dabei: "Was soll Ymer auch sonst tun?" Er hat nicht viel zu verlieren mit dieser Rücktrittsankündigung, und er wäre wirklich nicht der Erste, der vom Rücktritt zurücktritt. In der Weltrangliste wird er immer noch geführt, aktuell auf Platz 80.

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